,,Schau, dort stehen Pilze!"
,,Ach, Amelie Autumna."
,,Aurelius Aestas. Siehst du, deinen Nachnamen kann ich auch so theatralisch aussprechen."
,,Das ist nicht lustig."
,,Was ist denn? Wieso guckst du so grimmig?"
,,Du weißt ganz genau, dass Pilze erst im Herbst den Boden verlassen und sich zeigen. Du lockst sie nur verfrüht aus ihrer Behausung. Sie würden keine lange Hitzephase überstehen, stattdessen brauchen sie Regen."
,,Dann lässt du es eben etwas regnen. Das ist doch nicht schwer."
,,Du weißt, was ich meine, Amelie. Durch deine Anwesenheit verschnellert sich der Vorgang und ich verliere immer weiter die Kontrolle über die Lage. Lange kann ich dem nicht standhalten und dann muss ich gehen und dir freie Hand lassen."
,,Ich weiß, ich kann nur nicht anders. Ich meine, schau dir dieses Farbenspiel der herbstlichen Blätter mal an! Wie kann man das nicht lieben?"
,,Ich verabscheue es."
,,Was? Wieso das? Ich gebe mir so viel Mühe damit, ich dachte..."
Ich lasse nicht nur meine Hand sinken, mit der ich auf die farbenfrohen Baumkronen gezeigt habe, die seit unserer Ankunft immer zahlreicher in meinen Lieblingsfarben erstrahlen, sondern lehne meinen ganzen Körper gegen einen nahegelegenen Baumstamm. Mir ist egal, dass er dadurch viel mehr meiner Kraft abbekommen wird und bald die ersten Blätter den Boden bedecken werden, damit die Tiere sich vor Hektor verstecken können, etwas anderes nimmt meine Gedanken gänzlich ein. Linus mag mich nicht, er verabscheut meine Kräfte und meine Kunst, er verabscheut mich. Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich kann nichtmal mehr in seine Richtung blicken, zu verletzt bin ich. Vielleicht reagiere ich falsch, aber diese Farben sind Teil von mir und wenn er sie hasst, hasst er einen Teil von mir und dann kann er mich doch insgesamt nicht mögen... ist das etwa das Aus? Ist das mit uns vorbei? Seine Schuhe kommen in mein Blickfeld und sanfte Finger heben mein Kinn an, als die erste Träne mein Auge verlässt und über meine Wange jagt. Der junge Mann streicht sie weg und zieht mich an sich. Weiß er denn nicht, dass ich ihm mit den Blättern gefallen will? Ich befreie all die Nüsse aus ihren meist harten Schalen, um ihm zu zeigen, dass alles einen weichen Kern hat. Er hat mein Herz und ich dachte, ich habe seines und er würde alles an mir lieben.
,,Hey, bitte wein nicht! Ich meinte es nicht so, ich hasse dieses Laub, weil es Teil dessen ist, was uns trennt. Ich bewundere dich für deine Kunst, doch sobald die Blätter fallen, kommt unwiderruflich der Herbst und kurz darauf schon der Winter, das ist nichts für mich und damit habe ich nichts zu tun. Ich hätte es gerne, damit ich dich sehe, aber ich kann nicht. Sei also bitte nicht böse auf mich und hör auch bitte nicht auf, mir jedes Jahr das schönste Blatt per Post zu schicken. Ich habe sie alle aufgehoben."
,,Du sammelst meine Laubblätter?"
Ruckartig stoße ich ihn leicht von mir weg, um in sein Gesicht schauen zu können. Er sammelt meine Blätter? Etwa, weil sie von mir sind? Fühlt er sich mir dadurch etwa so nahe, wie ich mich ihm fühle, wenn ich meine Bücher öffne? Seine Hände liegen auf meiner Hüfte und verteilen ihre Wärme auf meine von einer Jeans bedeckten Haut, wobei seine wärmende Energie noch nie eine Grenze kannte, sie durchläuft mich bei jedem Kuss, oder bei der einen Nacht in Portugal, damals hat sie mich regelrecht zum Leuchten gebracht. Er widmet sich mir, mit Leib und Seele, und er kann eindeutig nicht gut lügen, dann sammelt er die Blätter wirklich. Mein Herz flattert durch die Erkenntnis in meiner Brust, als wäre es eine Fledermaus, die zum ersten Mal ihre Flügel ausbreitet und zu einem Flug ansetzt.
,,Und die Kastanien, die du mal dazu gelegt hattest, ja."
,,Ich habe deine Blumen auch alle behalten. Sie schlummern zwischen den Seiten meiner Bücher, ich trockne sie dort und bastle daraus Schmuck und Blumenkränze und hole mir bei ihnen Trost, wenn ich dich zu sehr vermisse. Sie riechen nach dir."
,,Ich wusste nicht, dass dir die Blumen so viel bedeuten, sonst würde ich dir öfter welche schicken."
,,Und ich hätte nie gedacht, dass du meine Blätter sammelst."
,,Wir können einander eben nach all den Jahren noch immer überraschen, ist das nicht schön?"
,,Das ist eine der Sachen, die ich an dir besonders liebe."
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Abstandsliebe
Paranormal,,Ich vermisse dich jedes Mal mehr, nachdem wir uns getrennt haben. Der Abstand wird immer schmerzlicher, Geliebter." ,,Ich hasse es auch, dass wir einander immer nur aus der Ferne anhimmeln können, aber es geht nicht anders."