13; Linus

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,,Komm schon, du kannst das!"

Schweiß rinnt über meinen Körper und der tobende Wind lässt mich sofort frösteln. Die Zähne zusammenbeißend und die Arme ausgestreckt, stehe ich am Strand vor der Sommerhütte, in der Amelie friedlich schläft, oder vielmehr schläft, denn friedlich können die Träume nicht sein, wenn sie einen solchen Sturm auslösen. Bereits vor wenigen Tagen hatte ich arge Probleme den Sturm zu verdrängen, der sich wegen ihrer Trauer angebahnt hatte, aber es war mir noch gelungen, weil der Sommer noch die Oberhand hat, oder vielmehr hatte. Frustriert lasse ich die Arme sinken und gebe mich dem Wind als Spielball. Er peitscht mir literweise Regen um den Körper und zerrt an meiner Kleidung, um mir unmissverständlich mitzuteilen, dass ich nicht mehr erwünscht bin, meine Zeit ist abgelaufen. Vorgestern gab es die ersten Vorboten, denn die Bäume sind stets früh bereit, sich von ihren Blättern zu trennen, wenn sie Amelie erblicken, aber die Temperatur ist ein treuer Kerl und erst spät zu überzeugen, doch seitdem Amelie hier ist, wird es täglich kälter. Ich hatte an einem Tag noch eine Chance, jetzt nicht mehr.

,,Das darf nicht wahr sein!"

Ich stelle mich erneut in Position, die Position der Sonne hinter den Wolken dabei fest im Griff haltend, aber sogar eine Windböhe jagt mich beinahe ins kühle Nass, das meine Füße umspielt. Verzweiflung ist selten ein guter Ratgeber, aber wenn ich schon den Sturm nicht beenden kann, sollte ich daraus ein Sommergewitter werden lassen und sofort hätten wir kein Problem mehr. Doch selbst dabei scheitere ich. Meine Hände fassen ins Leere. Die Herbstwolken scheinen aus dünnem Nebel zu sein, hauchfeine Tropfen, die einfach zwischen meinen Fingern pulsieren können, ohne abgelenkt zu werden. Mittlerweile habe ich meine Unterlippe mit meinen Zähnen bearbeitet, wobei ich mich mit dem ausgeübten Druck etwas vertan habe und nun den eisernen Geschmack vom Blut wahrnehme. Ich kann nichts gegen dieses Wetter tun, außer ihm zusehen und frieren. Der Herbst lässt sich nicht mehr aufhalten. Manchmal frage ich mich, ob es meiner Vorgängerin auch so geht, wenn sie von mir verdrängt wird, aber meistens leiten wir den Übergang zusammen ein. Ich setze mich nicht einfach durch, so wie Amelie es still und heimlich macht. Jeden Tag schwindet meine Macht und ihre wächst, das ist konträr und soll auch so sein, eigentlich, aber ich hasse es. Ich fühle mich so hilflos hier draußen in dem Sturm. Manche Bäume sind noch gänzlich grün, andere haben beinahe die Hälfte ihrer Blätter im Wind tanzen lassen. Wenn ich nicht bald aufbreche, endet alles im Chaos und viele Bäume entwurzeln, weil der Wind ihnen mit Blättern leichter unter die Äste greifen kann.

,,So ein Mist!"

Wütend auf mich selbst trete ich einen Stein weg, was kurz einen Schmerz durch meinen Fuß jagt, denn ich stehe barfuß im Wasser, aber der Schmerz verflüchtigt sich gleich darauf wieder, anders als die Tränen die über meine Wangen rennen. Ich weiß, dass die Zeit gekommen ist, in der ich packen und mich von Amelie verabschieden muss, aber ich will nicht. Ich hätte mich einfach noch mehr anstrengen müssen, vielleicht sollte ich es erneut versuchen. Aber was soll das bringen? Ich werde auch dann nicht dazu in der Lage sein und ich werde woanders sicherlich bereits erwartet. Hoffentlich war der nächste Frühling nicht so trocken und hoffentlich regnet es mehr im Sommer nächstes Jahr, damit unser Spätsommer länger andauern kann. Ein Quietschen, das selbst der tosende Wind nicht übertönen kann, reißt mich aus meinen Gedanken. Amelie muss aufgestanden sein. Vielleicht spürt sie längst, dass meine Zeit uns rasend schnell davonläuft, vielleicht macht sie sich auch nur Sorgen um meine Gesundheit, auch wenn wir im Grunde genommen gar nicht krank werden können. Ich seufze, eine unbändige Erschöpfung hat mich erfasst und lässt jede Bewegung schwerfällig werden.

,,Was machst du denn da draußen? Komm rein, sonst wirst du noch krank."

,,Ich komme sofort, bleib du im Trockenen!"

,,Als ob ich dich alleine dem Wind ausliefern würde."

,,Was machst du hier im Wasser? Ich sagte doch, dass du drinnen bleiben sollst. Das ist kein Wetter für dich."

,,Leider doch, das weißt du auch, Linus. Genau das ist mein Wetter und es ist meine Schuld. Es tut mir so leid, Liebster."

,,Ich muss packen."

AbstandsliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt