10; Amelie

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,,Linus?"

Eigentlich steht er immer nachts auf, wie es sich für uns auch gehört und leitet den nächsten Tag ein, indem er ihm manche seiner Attribute einhaucht und sich dann erneut hinlegen könnte, aber er bleibt so lange ich ihn kenne immer wach, doch gerade hängt der junge Mann auf dem Küchentisch und schläft. Er hat sich offensichtlich, seitdem wir hier beim Karten spielen eingeschlafen sind, kaum bewegt. Sein Kinn ruht in seiner Hand und seinen Kopf hat er seitlich gegen die Wand gelehnt. Wäre er nochmal wach gewesen, würde ich ganz sicher nicht vor ihm aufwachen und noch sicherer nicht hier in der Küche. Er hätte mich ins Schlafzimmer gebracht, hätte mir die Jeans von den Beinen gestriffen, damit ich es bequem habe und wäre dann neben mir eingeschlafen. Er möchte immer, dass ich es so gemütlich wie möglich habe, das weiß ich. Aber wieso bin ich vor ihm wach geworden? Es erwacht doch immer nur der, der den nächsten Tag einleitet und wir haben doch noch Spätsommer, damit habe ich definitiv nichts zu tun. Vielleicht habe ich aber auch bloß schlecht geträumt und bin daher erwacht. Müde strecke ich mich und begebe mich ins Doppelbett, wohl wissend dass er noch in der Küche schläft, aber man kann ihn nicht wecken, mit gar nichts, das habe ich oft genug schon erlebt, wenn er sich mittags mal hingelegt hatte, da kann ich mir die Mühe auch sparen und einfach schlafen gehen. Es wird bloß ein Alptraum gewesen sein. Unter der dicken, noch sehr kalten Decke verflüchtigen sich alle Gedanken an einen möglichen Herbstanfang und ich versinke wieder in meiner Traumwelt.

,,Wach auf, Amelie."

Seine sanfte Stimme lässt mich verschlafen meine Augen reiben und gähnen. Linus lehnt an der Tür und mustert mich mild lächelnd. Er trägt bereits ein langärmliges graues Hemd mit roten Ornamenten. Ich habe es ihm mal in Rom gekauft und ich liebe diesen Anblick. Es ist ein festliches Kleidungsstück, das er sogar schon in dem ein oder anderen Musical getragen hat, das wir gesehen haben, denn in der Oper trägt er einen Anzug, auch wenn dieser sicherlich schrecklich warm ist, doch er will dort gut aussehen, für mich.

,,Wie hast du geschlafen?"

,,Gut und du?"

,,Als ich aufgewacht bin, lagst du schon im Bett. Warst du etwa nochmal wach?"

,,Ja, ich hatte einen üblen Alptraum."

,,Wieder er?"

Mehr muss Linus nicht sagen, damit sich Flüssigkeit in meinen Augen sammelt. Für ihn wirkt es sicherlich so, als würde ich wegen den Erinnerungen weinen, die sicherlich nicht angenehm waren, aber nach all der Zeit sollte ich nicht mehr weinen und tue es auch nicht, vielmehr ist es der Fakt, dass ich ihn anlüge, um zu vertuschen, dass ich wohl von alleine vor ihm aufgewacht bin, was bedeutet, dass unsere Zeit sich dem Ende zu neigt. Er wird es bald bemerken, das weiß ich und es tut so weh, ihn anzulügen, aber wenn er es nicht weiß, wird er noch etwas bei mir bleiben, ganz sicher. Er ist nunmal der Vernünftigere von uns und nimmt die Zeichen immer sofort sehr ernst. Hoffentlich nimmt er mir meine Entscheidung nicht übel, ich möchte ihn doch nur weiter in meinen Armen halten können. Ich bin doch danach immer eine so lange Zeit alleine. Mit leisen Schritten nähert Linus sich mir und ummantelt mich anschließend mit seiner Wärme und seinen Armen. Er überschüttet mich mit Liebe, Verständis und Vertrauen und ich lüge ihn an. Ich bin eine fürchterliche Person. Wie habe ich ihn nur verdient?

,,Denk nicht an ihn. Er ist längst verstorben und ich lasse nicht zu, dass dir jemals wieder jemand so wehtut."

,,Ich... wie willst du mir denn helfen? Du kannst ja nicht zu mir reisen und sonst etwas mit der Person machen. Ich bin allein, Linus, und du bist es auf deine Weise auch."

,,Ich werde dann einen Weg finden, das verspreche ich dir. Du bist nicht allein, ich bin in Gedanken ständig bei dir."

,,Danke."

,,Das ist doch selbstverständlich, jedenfalls für mich."

AbstandsliebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt