,,Weißt du was? Der Winter kommt eh bald und das Wetter spielt sowieso schon verrückt, da können wir es einfach tun."
,,Wovon sprichst du?"
Bevor sie weitere Fragen stellen kann, hat er seinen Rollkoffer längst losgelassen, ihr Gesicht mit seinen warmen Händen vorsichtig umfasst und seine Lippen auf ihre gedrückt, einfach so und ohne Rücksicht auf Verluste. Viel zu oft hat er diese verführerischen Lippen in den letzten Tagen endlich wieder berühren wollen, was er in den letzten Jahren nie getan hatte, das sein Widerstand einfach nur kapitulieren kann. Der stärkste Wille hat gegen dieses loderne Verlangen keine Chance und muss sich geschlagen geben. Sie lehnt sich gegen ihn, der Kuss wird leidenschaftlicher und trotzdem lösen sie sich so viel schneller von einander als sie es gewollt hätten, da ihnen beiden bewusst ist, dass ihr Handeln schlimme Folgen haben kann, die ihnen erst später vor Augen geführt werden können. Man kann ihnen trotzdem keinen Vorwurf machen, sind sie doch bloß zwei Verliebte, die die Umstände trennen, die seit Jahrhunterden verzweifelt versuchen, einander nah zu sein und dabei schon so lange auf alles Rücksicht nehmen mussten, dass ein Ausrutscher dieser Art wohl gestattet werden muss.
,,Das wollte ich schon viel zu lange machen."
,,Und ich erst."
,,Ich hoffe, es war für dich in Ordnung, dass ich dich so überfallen habe, das war nicht die feine Art, das weiß ich."
,,Ich hätte auch nichts dagegen, wenn du nochmal jegliche Etikette über Bord wirfst und mich erneut küsst, von mir aus auch nicht jugendfrei."
Wer erst den verbotenen Honig probiert hat, kann einem Angebot wie diesem nur schwer widerstehen, doch er küsst dieses Mal nicht ihre Lippen, sondern ihre Nasenspitze, dann ihre Stirn und von dort über ihre Wangen und das feine Kinn zu ihrem Hals. Ihre Hände umklammern seine Arme, während seine Hände ihre Hüfte in der eingenommenen Position halten. Er saugt an der empfindlichen Haut ihres Halses und hinterlässt dort Male, mal mit den Lippen, mal ganz sanft und vorsichtig mit den Zähnen, die sie sicherlich noch eine ganze Weile begleiten werden. Mancher Passagier wirft ihnen angeekelte Blicke zu, denn solche Szenen behält eine Mehrzahl lieber für sich, doch die Beiden nutzen ihre letzte Chance, um sich einander hinzugeben und da sind ihnen mögliche Zuschauer längst egal geworden. Sie keucht leise seinen Namen, den niemand außer er versteht, woraufhin er sich jungenhaft grinsend von ihr löst und hektisch atmet. Sie blicken einander regungslos an, beide lächelnd, dann wird sein Flug erneut aufgerufen. Das war bereits der letzte Aufruf und das Zeichen des Endes. Sie lösen sich langsam und trotten in die vorgegebene Richtung.
,,Hektor hat sich dieses Jahr einfach zu früh angekündigt."
,,Er muss den trockenen Frühling und den heißen Sommer ausgleichen. Die Natur braucht eine Erholphase nötiger als jemals zuvor, das weißt du."
,,Schon, aber ich vermisse dich jetzt schon schrecklich. Der Abschied ist immer so grauenvoll."
,,Sei tapfer. Wir werden uns wiedersehen, nächstes Jahr, was hälst du von Portugal? Dort war ich ewig nicht mehr."
,,In Portugal haben wir uns das erste und letzte Mal geliebt."
,,Das weißt du noch?"
,,Natürlich, das Wetter hat wochenlang verrückt gespielt und ich hatte ziemliche Mühe danach alles zu beruhigen, besonders die Tiere für ihren dringend notwendigen Winterschlaf."
,,Dann ist es beschlossene Sache, wir sehen uns nächstes Jahr in Portugal."
,,Geh bitte nicht! Lass mich nicht alleine. Ich bin einsam ohne dich, Aurelius."
,,Hektor kommt doch bald schon."
,,Er ist nicht du und das weißt du."
,,Ich werde die Tage zählen, bis wir uns wiedersehen."
,,Ich würde dich gerne bei mir behalten."
,,Ich weiß, aber wir sehen uns und lieben uns, das ist alles was mir wichtig ist und jetzt muss ich wirklich gehen, sonst passiert noch etwas Unverzeihliches."
,,Ich weiß, ich liebe dich."
,,Ich dich auch, ewig."
,,Wir sehen uns in Portugal und pass das Jahr über gut auf dich auf."
Er dreht sich nochmal um und winkt ihr zu, dann ist er um eine Ecke verschwunden und mit ihm der letzte Funken Sommer.
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Abstandsliebe
Paranormal,,Ich vermisse dich jedes Mal mehr, nachdem wir uns getrennt haben. Der Abstand wird immer schmerzlicher, Geliebter." ,,Ich hasse es auch, dass wir einander immer nur aus der Ferne anhimmeln können, aber es geht nicht anders."