Kapitel 3 - Ivy

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Verzweifelt starre ich auf den Lageplan in meiner Hand. Ich habe gewusst, dass University Park der größte Campus der Pennsylvania State University ist und habe mich dementsprechend auf eine Menge Studenten, riesige Hörsäle und einen unübersichtlichen Campus eingestellt. Aber, dass ich derart aufgeschmissen versuche meine Orientierung wieder zu finden, damit habe ich nicht gerechnet.

Du hast den Orientierungssinn einer Nuss! hallt Landens spöttische Stimme durch meinen Kopf und er hat Recht.

Ohne Google Maps bin ich schon immer in Pittsburgh aufgeschmissen gewesen, obwohl ich dort mein ganzes bisheriges Leben verbracht habe. Ständig habe ich es geschafft, mich zu verlaufen.

Wenn es um das Erinnerungsvermögen an Straßen und Orte geht, scheinen bei mir ein paar Gehirnverknüpfungen zu fehlen.

Zum Weiß-Gott-wie-vielten Mal wende ich den Plan in meiner Hand und studiere die Schilder der einzelnen Fakultäten, um endlich zu verstehen, wo ich gerade bin.

Ich stehe an einer der unzähligen Löwenstatuen, die auf dem ganzen Campus verstreut sind. Mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass der steinerne Löwe mich höhnisch angrinst.

„Du könntest mir auch einfach den Weg weisen.", zische ich in seine Richtung, schüttle aber gleich darauf lachend den Kopf.

Jetzt rede ich schon mit einer Statue.

Obwohl ziemlicher Trubel auf dem gesamten Unigelände herrscht, da die Einführungstag in vollem Gange sind, habe ich es tatsächlich geschafft, mich in einer Ecke zu verlaufen, in die sich kein anderer verirrt hat.

Eine Meisterleistung.

„Ist dir noch zu helfen?"

Erschrocken wirble ich um meine eigene Achse, mein Blick wandert suchend über die leeren Wege.

Diesen tiefen Bass kenne ich doch. Und tatsächlich, meine Augen treffen auf ein Paar stahlgrauer, die mich für einen Augenblick erstarren lassen.

Erleichtert lächle ich zu Keith auf, der ein paar Schritte näher auf mich zukommt und den Lageplan in meiner Hand skeptisch betrachtet.

Skepsis scheint der Dauerausdruck auf seinem Gesicht zu sein.

„Ich habe mich etwas verlaufen.", gebe ich zerknirscht zu, während ich die Schultern zucke und mir eine meiner schulterlangen blonden Strähnen aus dem Gesicht puste.

„Dir ist aber schon klar, dass du hier nicht in Hogwarts gelandet bist oder? Hier gibt es keine sprechenden Statuen.", erklärt er langsam, als würde er mit einem kleinen Kind reden.

Keiths Stimme und der Ausdruck in seinem Gesicht sind so ernst, dass ich einige Augenblicke benötige, um zu verstehen, dass er einen Witz gemacht hat. Einen Witz auf meine Kosten, aber trotzdem lache ich.

Doch Keiths Mundwinkel zucken kein bisschen und auch in seinen Augen kann ich kaum Belustigung erkennen. Ganz im Gegenteil, erst jetzt fällt mir auf, dass er mehr als abgekämpft und müde wirkt. Obwohl er nach wie vor eine Erscheinung ist, hängen seine Schultern kraftlos herab und seine Haut wirkt irgendwie ungesund blass.

Adams Sorge von gestern fällt mir wieder ein und ich stelle die Frage, ohne noch einmal darüber nachzudenken.

„Alles in Ordnung bei dir? Du siehst müde aus."

An der Art, wie Keith die Lippen zusammenpresst und sich sein Blick verdunkelt, begreife ich, dass ich mich auf gefährliches Terrain begeben habe. Anscheinend bevorzugt er es, nicht angesprochen zu werden.

Ich kann nicht anders, als auf seine abweisende Art mit noch mehr Freundlichkeit zu antworten, weshalb ich mein offenes Lächeln noch breiter werden lasse und hoffe, beruhigend und verständnisvoll auf ihn zu wirken.

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