Kapitel 12 - Ivy

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Ich sterbe.

Ich bin mir wirklich sicher, dass sich so sterben anfühlen muss.

Meine Lungen brennen, während ich keuchend versuche Sauerstoff in meinen Körper zu bekommen. Meine Atemzüge werden immer flacher und jedes Mal jagt ein stechender Schmerz in meine Seite. Der Schweiß rinnt mir über die Stirn in die Augen und mir ist trotz der kühlen Temperaturen unfassbar heiß.

Ich bin völlig am Ende. Meine Oberschenkel brennen und drohen mir jeden Augenblick den Dienst zu versagen.

„Wir haben es gleich geschafft!", dringt Keiths Stimme nur gedämpft zu mir. Mein Keuchen und mein rasender Puls sind viel zu laut.

Das ist heute schon das dritte Mal, dass er mir das versprochen hat, doch der Anstieg will einfach kein Ende nehmen. Ich habe überhaupt nicht gewusst, dass es in der Nähe von State College solche Höhenunterschiede gibt.

Wahrscheinlich hätte ich mir mit dem Auto keinerlei Gedanken darüber gemacht, aber jetzt, da ich jeden Höhenmeter mit dem Bike erklimmen muss, fühlt es sich an, als würden wir uns auf dem Mount Everest befinden.

„Ich..."

Luft! Ich brauche Luft!

„...kann..."

Zu sprechen ist wirklich keine gute Idee, wenn man ohnehin schon unter akutem Sauerstoffmangel leidet.

„... nichtmehr."

Gerade, als ich alle Willenskraft zusammenkratze, um noch eine Umdrehung meiner Beine zu erzwingen, rutscht mein Fuß ganz von alleine vom Pedal und landet knirschend auf dem Schotterweg. Ich muss wirklich aufpassen, dass ich nicht samt des Fahrrads auf dem Boden lande. Meine Energie ist restlos aufgebraucht.

„Du packst das Ivy."

Als ich aufsehe, schaue ich direkt in Keiths Gesicht und traue meinen Augen kaum. Obwohl er immer mal wieder auf mich gewartet hat und wahrscheinlich auch ein langsameres Tempo als sonst angeschlagen hat, liegt ein ziemlicher Abstand zwischen uns. Keith hat das vermeidliche Ende des Anstiegs erreicht, lehnt lässig auf seinem Lenker und sieht nicht im entferntesten so abgekämpft aus, wie ich mich fühle.

Wenn ich mich anstrenge, kann ich ein paar Schweißtropfen auf seiner Stirn schimmern sehen, aber sein Gesicht ist nicht einmal röter geworden. Ich bin ziemlich neidisch, sobald ich auch nur etwas schneller Gehe, wird mein Kopf bereits feuerrot.

Ich versuche schnaufend genug Luft in meinen Körper zu pumpen, um weiterfahren zu können. Mein Puls will sich einfach nicht beruhigen und das Brennen meiner müden Muskeln will einfach kein Ende nehmen.

Als ich erneut zu Keith aufschaue, überlege ich ernsthaft, das letzte Stück zu schieben. Zwar will ich selbst das nicht, mit meinen langsam kapitulierenden Beinen machen, aber die Vorstellung ist besser, als noch einmal meinen schmerzenden Hintern auf den harten Sattel zu hieven.

Doch als mein Blick Keiths stahlgrauen Augen begegnet, packt mich der Ehrgeiz.

Ich bin Ivy Jordan, ich lasse mich nicht so einfach unterkriegen! Es dauert noch eine Minute, bis ich das Gefühl habe, dass sich mein Atem wenigstens etwas beruhigt hat, dann stemme ich mich zurück in die Pedale und versuche das Bike voran zu bringen.

Da ich mitten am Anstieg angehalten habe, ist es umso schwerer wieder in Schwung zu kommen. Angestrengt beiße ich die Zähne zusammen und schließe die Augen.

Erst Rechts. Dann Links. Rechts und wieder links. Und plötzlich geht es wieder voran, als hätte ich neue Energie gewonnen, drücken sich meine Füße in die Pedale.

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