Türchen #23

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Heute ist Silvester. Eigentlich ein schöner Tag, oder nicht? Man sollte sich freuen, das alte Jahr hinter sich lassen zu können, dem Neuen glücklich entgegensehen. Spaß haben. Den Tag stressfrei und besonders ohne Streit verbringen. Normalerweise. Doch ich weiß nicht, was heute los ist. Irgendwie ist bei mir der Wurm drin. Seit ich aufgestanden bin, bin ich schlecht gelaunt. Habe keine Lust auf diesen Tag, auf den Abend. Einfach auf gar nichts. Und das, obwohl ich glücklich sein sollte, mich freuen sollte. Chris und Bonnie sind verlobt. Auf diesen Tag warten beide schon so lange. Alle um mich herum strahlen. Niemand bemerkt, dass sich meine gute Laune scheinbar über Nacht von mir verabschiedet hat und nun in der hintersten Ecke im Keller versteckt hält. Niemand. Außer Silas. Er kann mich lesen, als wäre ich ein offenes Buch. Und ich weiß auch nach all den Jahren nicht, ob ich das gut oder doch eher gruselig finde. Silas braucht mir nicht lange in die Augen sehen und er weiß, ob es mir gut geht, oder nicht. Er liest jedes Gefühl aus ihnen heraus. Doch er spricht mich meistens nicht direkt drauf an. Er nimmt mich in den Arm, wenn es die Distanz denn zulässt. Wartet darauf, dass ich von alleine auf ihn zukomme. Und dafür bin ich ihm unendlich dankbar. Auch Amrei merkt eigentlich immer sofort, wenn bei mir etwas nicht stimmt. Das beruht wie auch bei Silas, auf Gegenseitigkeit. Doch auch sie scheint heute irgendwie mit den Gedanken woanders zu sein. Nicht hier bei uns. Sobald man sie anspricht, schreckt sie aus ihren Gedanken heraus. Schaut dich fragend und ertappt an. Was wohl ihr ihr vorgeht? Sie verrät es mir nicht. Leider. Denn auch wenn ich selbst ziemlich abwesend bin, so weiß ich, wann es ihr gut geht oder eben nicht. Ich höre es an ihrer Stimme, lese es in ihren Augen. Ich kann es fühlen, nein, wir können es fühlen. Oft ist es so, als würden wir irgendwie miteinander verbunden sein. Manchmal kam es schon vor, dass wir uns dann angerufen haben, um zu fragen, ob es dem anderen gut geht. Meistens war dies nicht der Fall.

Was heute mit mir los ist? Ich weiß es nicht. Ich bin genervt. Genervt vom Lachen der anderen, von der Musik, von den vielen Menschen um mich herum. Obwohl ich jeden Einzelnen hier liebe und niemals missen mag.

Es ist bereits nach 20 Uhr. Wir haben uns alle umgezogen. Die Männer tragen alle ein Hemd, dessen Ärmel sie hochgeschoben haben, als hätten sie sich abgesprochen, dazu tragen sie eine Jeans. Amrei trägt ein schönes Kleid. Es ist ein Dunkelgrünes, Langärmliges, welches einen leichten Rollkragen und Applikationen aus Samt hat. Bonnie trägt einen schönen schwarzen Jumpsuit mit Neckholder. Und ich? Ich habe einen schwarzen Rock in Lederoptik an, dazu einen schwarzen langärmligen Body aus einem transparenten Stoff, ebenfalls mit Rollkragen. Darunter habe ich einen schlichten, aber ebenfalls schwarzen, leicht wattierten BH an. Ich liebe dieses Outfit.

Die Musik wird lauter, der Alkoholpegel stiegt. Nur bei Bonnie nicht. Doch sie strahlt pures Glück aus.

Und ich? Ich sitze mit meinem fünften Bier auf der Couch. Beobachte alle, wie sie ihre mittlerweile siebte Runde Bierpong spielen. Die ersten drei habe ich noch mitgemacht und auch wenn es mir immerhin ein wenig Spaß gemacht hat, hat es mir irgendwie Kraft geraubt. Seitdem sitze ich hier und schaue nur zu. Spüre hin und wieder den Blick von Silas auf mir, meide es aber seinen Blick zu erwidern. Die Rechnung habe ich jetzt aber ohne ihn gemacht, denn kaum denke ich diesen Satz zu Ende, setzt er sich auch schon neben mich und legt den Arm um meine Schultern.

»Weißt du was wir jetzt machen werden?«, fragt er mich, doch ich schüttel nur den Kopf. Woher soll ich denn auch wissen, was er sich nun wieder in den Kopf gesetzt hat? Gedanken kann ich leider noch nicht lesen. Wobei, nein, ich glaube, das möchte ich auch nicht können. Ich zucke die Schultern und schaue dann doch zu ihm auf, lande direkt in seinen Augen, die einen Funken Sorge ausstrahlen. »Was denn?«, frage ich, als er nicht weiterspricht. Breit grinst er mich an und lässt mich seinen Blick skeptisch erwidern. »Wir ziehen uns nun einen Pullover und unsere Jacke überund verschwinden. Nur du und ich«, sagt er und steht auf. Kurz schaue ich mich um. Niemand schaut zu uns, alle sind beschäftigt, also ergreife ich seine Hand, die er mir hinhält und lasse mich von der Couch und nach oben in unser Zimmer ziehen. Auch wenn die Schindlers viele Zimmer haben, so reicht es dann doch nicht für jeden und Silas schläft mit bei mir. Er hatte die Wahl, entweder bei mir oder bei Jonas. Aber aus welchem Grund auch immer, verstehen sich die beiden nicht.

DezemberwunderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt