Nun sitze ich hier im Eingangsbereich des Tattoostudios, dass Bonnie gemeinsam mit einem guten Freund, vor drei Jahren eröffnet hat. Die Einrichtung ist rustikal, aber modern und mit der Lichterkette, die an der Deckenleiste einmal komplett herum verläuft, wirkt es gleich gemütlicher.
»Danke«, sage ich, als Bonnie mir die dampfende Tasse Ingwer Tee hinhält. Ohne zu zögern, ergreife ich sie und wärme mir meine kalten Hände daran auf. Ich liebe diesen Tee im Winter einfach, er tut gut, schmeckt super und ist gesund. Gerade jetzt, wo mir der Hals einwenig kratzt, wirkt er Wunder. »Du siehst heute echt wieder fitter aus. Geht es dir denn auch wirklich besser? Sonst verschieben wir das einfach, wenn du magst«, schlägt sie vor, doch ich winke ab. Ich will es einfach heute. Unbedingt. Und da hält mich dieses bisschen Kratzen im Hals nicht von ab. »Es ist alles gut. Ist nur doch der Hals, der ein wenig kratzt. Wir ziehen das heute durch, länger will ich nicht mehr warten«, erkläre ich und Bonnie nickt verständnisvoll. Sie weiß, wie lange ich nach einem passendem Motiv gesucht habe und wie viel länger ich mir dieses Tattoo bereits wünsche. Doch nie hatte ich die springende Idee. Es ist Simple, ja. Aber es ist perfekt. Denn gestern haben wir uns noch dazu entschieden, einen kleinen Kompass einzubauen, der in Richtung Norden zeigt. Ich weiß, ich bin das Berliner Stadtkind, habe keine nordischen Wurzeln, aber es zieht mich immer wieder dahin. Wenn andere in den Süden fahren, in die Sonne, um Urlaub zu machen, dann möchte ich viel lieber an die Nord- oder Ostsee. Die kühle, salzige Meeresbrise in meinem Haar spüren, den Wind, welcher mir in den Ohren pfeift. Im Kapuzenpullover durch den Sommerregen an der Strandpromenade entlang spazieren und durchatmen. Andere Touristen dabei beobachten, wie sie sich ins warme oder unter eine Überdachung flüchten.
Bonnie reißt mich aus meinen Gedanken heraus, als sie vor meinem Gesicht herum schnipst. »Wollen wir denn nach hinten gehen und loslegen, oder magst du hier weiter Tagträumen?«, fragt sie mich belustigt. Als wir hinten in ihrem Raum ankommen, sehe ich, dass sie bereits alles vorbereitet hat. Schnell lege ich meinen Mantel und meine Tasche auf den Stuhl neben der Tür, ehe ich mir meine Schuhe und meine Hose ausziehe. Dann ziehe ich mir dicke Socken über und setze mich auf den Stuhl, dessen Lehne halb herunter gefahren ist. Kaum habe ich es mir so gemütlich wie möglich gemacht, legt Bonnie auch schon los, das Motiv auf mein Oberschenkel zu zeichnen. »Ist die Position gut so?«, fragt sie und ich nicke. »Perfekt. Du kannst du loslegen«, sage ich grinsend. »Ich freue mich schon so darauf, wenn es fertig ist.«
Während Bonnie die Nadel über meine Haut jagt, unterhalten wir uns über alles möglich, wir sehen und hören uns so oft, dennoch gehen uns nie die Themen aus. Das liebe ich sehr an ihr. »Hast du eigentlich schon mit Amrei geschnackt? Also wegen Silvester?«, fragt sie und schaut kurz zu mir auf, als sie die Maschine neu mit Farbe befüllt. »Oh Mist, nein. Das habe ich total vergessen, mache ich später. Sie wollte sowieso, dass ich mich bei ihr melde, sobald das Tattoo fertig ist«, erzähle ich ihr und sie nickt. »Weiß eigentlich Chris davon?«, fragt sie, doch ich schüttel den Kopf. »Nö, aber wir haben vorhin telefoniert gehabt. Er hat gefragt, ob ich morgen Abend zu euch komme. Levin und Silas kommen wohl auch und es wird zusammen gekocht.« Wie er wohl morgen reagiert, wenn er das Tattoo sieht? »Gut, das ich das von dir erfahre und nicht von ihm«, sagt sie lachend. »Typisch Chris halt. Du kennst ihn doch«, sage ich schulterzuckend. »Ja, wem sagst du das?!«, fragt sie reinrhetorisch und mehr zu sich selbst, als an mich. Dann bleibt es eine Weile stumm zwischen uns. Beide hängen wir unseren Gedanken nach, wobei Bonnie sich aufs Tätowieren konzentriert und ich sie dabei beobachte. Ich finde, dass sie ziemlich nachdenklich wirkt. Bereits gestern ist es mir aufgefallen, und hatte das Gefühl, das ihr etwas auf dem Herzen liegt. »Was machst du später noch?«, frage ich deshalb aus dem nichts heraus nach. Verblüfft schaut sie auf. »Nichts, warum? Nur nach Hause und auf die Couch werfen – so war der Plan«, antwortet sie und schaut mich noch immer an, während ich anfange zu grinsen. »Was hast du vor«, fragt sie nach und schaut mich abwartend an. »Wir beide werden in unser Lieblingspub gehen und machen uns einen entspannten Mädelsabend«, sie will bereits ablehnen, das sehe ich ihr an, doch ich unterbreche sie, ehe sie zur Antwort ansetzen kann. »Ich akzeptiere kein Nein«, sage ich breit grinsend und sehe, wie sich ihr Mund wieder schließt. Bonnie atmet tief durch, ehe sie stumm nickt und sich wieder dem Tätowieren widmet.
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Dezemberwunder
FanfictionIst es Zufall? Ist es Schicksal? Ist es Glück? Oder ist es doch einfach nur ein Wunder? Das fragt sich Luna, seitdem sie IHM das erste Mal über dem Weg lief. Oder sollte ich besser sagen: in IHN hineinlief? Das man jemanden wie IHN einmal trifft, is...