Der Sonntag ist angebrochen. Der Himmel hängt dunkel und grau über Berlin. Es ist kalt und nass. Sehr nass. Es regnet. Ununterbrochen, schon seit heute Nacht und es scheint nicht so, als würde es im Laufe des Tages noch aufhören. Die Heizung läuft bereits auf Hochtouren. Die Kerzen auf der Fensterbank und meinem kleinen Couchtisch, tauchen das Wohnzimmer in eine gemütliche Atmosphäre. In einem dicken Pullover und einer Decke eingekuschelt sitze ich auf der Couch und lese in einem Buch. Die leisen Stimmen, die aus dem Fernseher kommen, werden zu einem Rauschen. Kein störendes, eher ein entspanntes. Ich hasse es, wenn in der Wohnung vollkommene Stille herrscht. Deswegen läuft bei mir entweder eine Playlist auf Spotify, das Radio oder der Fernseher.
Erst, als es noch dunkler wird, als es eh den ganzen Tag schon ist, bemerke ich, wie spät es ist. Doch der Regen hat noch immer nicht nachgelassen. Ich schaue aus dem Fenster und beobachte, wie die Regentropfen auf das Fensterbrett draußen prasseln, gegen das Fenster peitschen und wie sie mit einem anderen Tropfen um die Wette ihre Bahnen hinab ziehen. Wie sie sich auf ihrem Weg treffen und vereinen. Scheint, als würde unser Ausflug zum Weihnachtsmarkt, im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen. Schade, ich hatte mich schon so sehr darauf gefreut. Immerhin ist das irgendwie zu unserem Ritual geworden, Sonntags über einen der vielen Märkte in Berlin zu schlendern. Doch bei dem Regen wird es kein Spaß machen, durch die Menschenmassen von Stand zu Stand zu wandern. Wenn es doch nur schneien würde. Damit hätte weder ich noch jemand der anderen ein Problem. Doch das sei uns wohl nicht gegönnt. Schade. Ob wir dieses Jahr mal wieder eine weiße Weihnacht haben werden? Ich hoffe es. Es ist einfach viel zu lange her.
Als es an meiner Tür klingelt, werde ich aus meinen Träumereien gerissen. Schnell lege ich ein Lesezeichen in das Buch hinein, um nicht wieder nach der Seite zu suchen, auf der ich stehen geblieben bin und lege es dann auf dem Tisch ab, ehe ich in den Flur gehe und die Tür öffne.
Bonnie und mein Bruder stehen vor mir, beide haben eine Keksdose in der Hand und grinsen mich breit an.
»Dieses Wetter schreit doch danach, einen Filmabend mit vielen süßen Leckereien zu veranstalten«, sagt Bonnie noch immer grinsend. Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und kommt dann gefolgt von Chris in meine Wohnung hinein, welcher mich mit einem Arm kurz an sich drückt und mir ein leises »Hi« ins Ohr flüstert. Gerade als ich die Tür schließen möchte, höre ich, wie mindestens zwei Leute die Treppen hinauf laufen. »Hey Luna, warte. Willst du uns etwa nicht dabei haben?«, lacht Silas und grinst mich breit an, als ich die Tür wieder weiter geöffnet habe. »Doch, natürlich. Kommt rein«, sage ich lächelnd und bin zu langsam, als ich Silas ausweichen möchte, der gerade dabei ist, so nass wie er ist, mich an sich zu ziehen und fest zu umarmen. Levin sehe ich über die Schulter von seinem Bruder hinweg bloß lachen. Na danke, aber auch. Ich seufze. »Du bist kalt, Silas«, beschwere ich mich. »Und nass«, fügt Levin hinzu. »Es regnet ja auch, schon gesehen?«, fragt er dümmlich nach und zwickt mir in die Seite.
»Mich hat heute Vormittag das Backfieber erwischt. Ich habe Braune Nüsse und Berliner Brot gebacken«, sagt Bonnie, als sie ihre Schuhe gegen dicke Kuschelsocken austauscht und ihren Mantel an meine Garderobe hängt. Und erst jetzt fällt mir auf, dass sie eine größere Tasche als sonst mit dabei hat. Scheinbar wegen des Gebäcks, welches sie uns mitgenommen hat. »Oh, darauf freue ich mich schon«, sagt Silas und will sich ihre Tasche greifen, doch sie kommt ihm zuvor und hält sie, so gut es mit deren Größenunterschied von bestimmt 30 Zentimetern halt klappt, außer Reichweite. Ich muss schmunzeln. Silas kann nie genug vom Weihnachtsgebäck haben, das war schon immer so. Sobald welches in seiner Nähe ist, wird er zum kleinen Jungen. Da merkt man ihm sein alter von 27, gar nicht mehr an und das amüsiert uns immer wieder aufs Neue. Gerade als er wieder nach der Tasche greifen will, haue ich ihm auf die Finger und er schaut mich schmollend an. »Wie alt bist du? 27 oder vielleicht doch erst 7?«, frage ich ihn schmunzelnd und er grinst. »Weiß nicht, auf dem Personalausweis steht was von 27, so sicher bin ich mir da aber manchmal selbst nicht«, sagt er lachend. »Ich glaube da ist sich niemand so sicher«, murmelt sein Bruder leise, gerade noch so verständlich etwas vor sich hin, was ihm ein empörtes »Hey!«, von Silas einheimst. Bonnie und ich nutzen die Chance, in der er abgelenkt ist, und huschen schnell in die Küche. »Ich kann ja mit den beiden schon mal nach einem passenden Film schauen«, sagt Chris, der uns gefolgt ist und schnappt sich Tassen aus dem Schrank, ehe er uns nach unserer Zustimmung wieder alleine lässt.
Während ich aus dem Schrank neben dem Kühlschrank nach Spekulatius, Lebkuchen und Salzstangen herausnehme, hat Bonnie bereits Milch aufgesetzt und Teller wie auch Gläser für die Snacks aus dem Schrank geholt, um alles zu verteilen. Da fällt mir gerade ein, dass ich eigentlich auch noch Mini Marshmallows im Schrank haben müsste. »Nach was suchst du?«, fragt Bonnie mich und runzelt fragend ihre Stirn, als ich kurz zu ihr schaue. »Ich glaube, ich habe noch Marshmallows da, die könnten wir in den Kakao machen«, antworte ich und wühle mich weiter durch meinen Snackvorrat. »Das ist eine gute Idee«, stimmt sie mir zu. Und tatsächlich, hinter zwei Nutellagläsern, Lebkuchenund einer Packung Chips, liegt noch eine Packung, die ich stolz in die Höhe halte und breit grinsend Bonnie anschaue, die nur schmunzelt.
Nachdem wir die Teller auf ein Tablett gestellt haben, geht Bonnie damit bereits zu de Jungs. Währenddessen greife ich nach dem Stövchen, welches auf der Fensterbank steht und dann zur Kanne, in die ich die heiße Schokolade eingieße. Im Augenwinkel nehme ich wahr, dass Bonnie wieder zurückgekommen ist. »Wir haben die Löffel vergessen«, sagt sie und öffnet im selben Moment die Schublade neben dem Herd, um uns welche herauszunehmen. Als wir dann gemeinsamins Wohnzimmer gehen, scheint es, als hätten sich die Jungs für einen Film entschieden. »Liebe braucht keine Ferien«, prangt auf dem Fernseher und der Playbutten wartet nur darauf, betätigt zu werden. Sie sind vollkommen in ihrem Gespräch vertieft, das sie garnicht bemerken, das wir den Raum betreten. Schnell musste ich sie unterbrechen, als ich bemerkte, worüber sie sprechen. »Oh, ihr habt euch schon entschieden?«, frage ich in die Runde und unterbreche die Jungs in ihrem Gespräch, welches nicht für Bonnies Ohren gedacht ist. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Erschrocken, aber auch erleichtert, schaute mein Bruder auf, und ich sah, wie er versuchte, sich nichts anmerkten zu lassen, als er Bonnie hinter mir erblickt. Ob ihm das so gut gelingt, wie er denkt, weiß ich nicht. Aber Bonnie achtet gar nicht auf die Jungs und scheint auch irgendwie mit ihren Gedanken woanders zu sein. Ich hoffe, dass sie keinen Verdacht schöpft. Dennoch bin ich froh, meinen Bruder und unsere Cousins unterbrochen zu haben, denn sonst hätte Bonnie jetzt vielleicht von ihrem Antrag erfahren, der sie demnächst erwartet. »Oh, endlich«, sagt Silas und grinst uns breit an. »Und ihr habt sogar an Marshmallows gedacht. Wunderbar«, sagt er und greift bereits nach dem Gebäck, noch ehe Bonnie den Teller vor ihm abgestellt hat. Sie schmunzelt. »Da ist aber jemand wieder ungeduldig«, sagt sie und schaut Silas dabei an. »Na hörma, ich warte hier seit Stunden auf etwas zu beißen«, sagt er empört und grinst sie dann an. Dieser Idiot, immer muss er maßlos übertreiben. Ich schüttel den Kopf. Wenn es jemanden gibt, der ungeduldig ist, dann ist es definitiv Silas. Ich kenne niemanden, bei dem diese Eigenschaft stärker ausgeprägt ist und der zusätzlich auch noch immer so übertreiben muss.
Bonnie setzt sich zu Chris, welcher es sich im Eck der Couch gemütlich gemacht hat, und kuschelt sich mit dem Rücken an seine Brust. Kurz beobachte ich die beiden. Sie greift nach der Decke, die auf der Rückenlehne, neben ihr liegt und legt sich diese über die Beine, Chris legt seine Arme um sie und drückt ihr einen liebevollen Kuss auf den Hinterkopf, während er sie noch fester an sich zieht. »Komm, Luna«, sagt Levin und zieht mich auch schon zwischen sich und seinen Bruder auf die Couch. Kaum sitze ich, wirft Silas auch schon meine grüne Lieblingskuscheldecke über unsere Beine und legt einen Arm um mich.
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Dezemberwunder
FanfictionIst es Zufall? Ist es Schicksal? Ist es Glück? Oder ist es doch einfach nur ein Wunder? Das fragt sich Luna, seitdem sie IHM das erste Mal über dem Weg lief. Oder sollte ich besser sagen: in IHN hineinlief? Das man jemanden wie IHN einmal trifft, is...