Das Café war den ganzen Tag brechend voll. Meine Füße tun weh und ich bin müde. Am liebsten würde ich hier und jetzt einschlafen aber das geht schlecht. Bei Kevin wäre das wahrscheinlich nicht mal ein großes Problem aber Jasmin würde mich umbringen. Ich drehe das geöffnet Schild um und binde meine Schürze ab. „Danke", murmelt sie als ich das Portmonee auf den Tresen lege. Ich glaube fast, dass ich mich verhört habe. Jasmin sagt nicht „Danke", das tut sie nie. Wer ist das und was hat er mit meiner Chefin gemacht. Etwas Perplex sehe ich sie an. „Alleine hätte ich das heute nicht geschafft und jetzt wo Kevin krank im Bett liegt, hätte er mir auch nicht helfen können." Sie lächelt zaghaft und reicht mir meinen Teil der Trinkgelder. Ich stecke das Geld ein. „Ist doch kein Problem, das ist mein Job." Ich lächle zurück und nehme meine Sachen vom Haken. Es ist bereits dunkel draußen und ich muss den ganzen weg alleine laufen.
„Ich kann dich mit nehmen, wenn du magst?" Bietet sie mir an und zieht die Augenbrauen nach oben. Ich lächle. „Das ist nett aber mach dir keine Umstände, ich hab's ja nicht weit." Jasmin plötzliche Nettigkeit ist mir suspekt. Ich will mich in nichts stürzen, dass ich später bereuen könnte. Deswegen lehne ich ihr Angebot ab und stapfe in den Schnee. Zurzeit schneit es fast anhaltend. Würde mich nicht wundern, wenn die Straßen bald komplett zu sind. Ich stopfe mir die Kopfhörer in die Ohren und vergrabe meine Hände wieder in den Taschen meines Mantels. Die Musik lenkt mich von der Tatsache ab, dass ich es nicht mag alleine unterwegs zu sein, wenn es dunkel ist. Mein Blick liegt auf meinen Stiefeln, die im tiefen Schnee versinken. An manchen stellen hat sich niemand dafür verantwortlich gefühlt den Schnee zu schippen weshalb man da fast darin versinkt.
Als ich Zuhause ankomme, atme ich erleichtert aus. Das beklemmende Gefühl, dass mich immer verfolgt, wenn ich im Dunkeln alleine unterwegs bin, fällt von mir ab. Stattdessen macht sich Wärme breit. Meine Wangen piksen dank der Temperatur Unterschiede einen Moment. Kaum das ich meine Sachen ausgezogen habe, beginnt mein Handy zu klingeln. Es ist Miri. Verwundert sehe ich auf mein Telefon. Wir haben seit dem Essen mit Dylan nicht mehr miteinander geredet. Irgendwie waren wir beide sauer aufeinander. Ich mehr auf mich als auf sie.
„July?" Fragt sie gleich ins Telefon als ich abhebe. „Ja", antworte ich. „Hast du die Zeitung gelesen?" Will sie wissen. Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Wer liest denn heute noch die Zeitung?" Feixe ich lachend. Ganz so Unrecht habe ich nicht. Ich kenne niemanden außer meinen Vater, der noch die Zeitung liest. „Jules", meckert sie. „Leonie Hoffner", meint sie dann. Der Name sagt mir etwas, zuordnen kann ich ihn aber nicht. „Hol die Zeitung und geh auf die dritte Seite", redet sie weiter. Ich gehe in die Küche, wo Papa seine Zeitung immer liegen lässt und blättere die dritte Seite auf. „Ach du scheiße", entfährt es mir. Gott sei Dank ist niemand da der meine Ausdrücke hören kann.
„Sie wurde vergewaltigt", murmle ich. Ich betrachte das Foto, dass Leonie zeigt und jetzt wird mir auch klar woher ich sie kenne. Sie war öfter auf den Partys von Dylan und seinen Freunden. Wir haben nie miteinander geredet. „Und das mitten im Park, nachts.. Jules das ist so gruselig. Das hätte eine von uns sein können", der Ekel ist ihr anzuhören. Ich nicke benommen während ich mir den Artikel durchlese. Und dann trifft es mich wie der Blitz. Das war die Nacht, in der ich Dylan geholt habe. Nachts, betrunken, aus dem Park.
**
Ich weiß nicht was es ist, aber ich kann mich nicht zurückhalten. Wütend beschreibt nicht einmal annähernd was ich fühle. So viel hat er getan, so viele Dinge, die ich ihm immer wieder verziehen habe, weil ich ihn liebe aber wie könnte ich ihm etwas so ekelhaftes verzeihen. Wie könnte ich mir jemals mein Spiegelbild anschauen und es nicht hassen?
Wie eine Verrückte klopfe ich immer wieder gegen seine Tür. Mir ist egal was seine Nachbarn denken. Sicherlich können sie mich hören.
Kurz bevor ich losbrüllen möchte, öffnet sich die Tür und ein mehr als verwirrter Dylan starrt mich an. Mein Blut kocht, es kocht so sehr, das ich ihn mit aller Kraft nach hinten schubse, die Seite die ich aus der Zeitung gerissen habe immer noch in meiner Hand. Dylan taumelt nach hinten, braucht einen Moment bis er verarbeitet was hier gerade passiert. Der Ausdruck in seinem Gesicht verwandelt sich in Wut, sie funkelt in seinen Augen auf und entfacht ein Feuer. Ich habe diesen Blick schon zu oft gesehen, als dass er mir jetzt noch Angst machen könnte.
„Was hast du getan?!" Schreiend drücke ich ihm die Zeitung entgegen. Meine Stimme zittert, kurz davor zu brechen. „Wie kann man nur ein Monster sein", verzweifelt fahre ich mir durch die Haare und schaue zu Boden. Wie soll ich ihm je wieder in die Augen schauen können wenn alles, was ich sehe, Ekel in mir auslöst.
Dylan überfliegt die Zeilen des Zeitungsberichts, fährt sich währenddessen abwesend durch die Haare.
„Das war die Nacht", sage ich. „Ich habe dich aus dem Park geholt, ich habe dich betrunken abgeholt und du hast..."
„July", unterbricht er mich, doch ich schüttle den Kopf. „Das war diese Nacht. Du bist so ein widerlicher Mensch Dylan. Reichen dir die ganzen Schlampen nicht, mit denen du dich vergnügst? Wie krank kann man sein!"
Alles in mir schreit danach ihn umzubringen, ich will ihn nicht mehr sehen. Es tut weh, alles, was er getan hat, tat mir weh aber das?
„Du glaubst doch, nicht dass ich das war?" Brüllt er über meine Stimme hinweg und bringt mich damit zum Schweigen. Sein Kopf ist rot, seine Augen fixieren mich.
„Du warst dort", brülle ich genauso laut zurück. „DU WARST DORT, VERDAMMT."
Mein Hals schmerzt, weil wir beide so laut schreien. Tränen laufen aus meinen Augen wie aus einem See.
Alle Gefühle, die in mir aufkommen, betäuben den Schmerz, der mich durchfährt fast. Aber nur fast, denn das Ziehen oberhalb meiner Augenbraue durchfährt mich wie ein Blitz. Bevor ich überhaupt verarbeiten kann was passiert ist, packt Dylan mich an den Oberarmen und presst mich gegen die Wand. Sein Kiefer ist angespannt, seine Augen toben vor Wut und sein Griff um meine Oberarme wird immer fester.
„Ich war das nicht!" Sein Gesicht ist meinem so nah, dass ich zusammenzucke. Zitternd hänge ich an der Wand, sicher, dass ich fallen würde, würden seine Arme mich nicht festnageln. „Was stimmt mit dir nicht, dass du mir so etwas vorwirfst?!"
„Du..", meine Stimme ist lange nicht mehr laut. Schluchzend will ich mich aus seinem Griff winden, doch stattdessen verstärkt sich sein Griff nur. „Du warst da", wiederhole ich flüsternd. Plötzlich lässt er mich los, so unerwartet, dass meine Beine einfach nachgeben und ich auf dem knarrenden Holzboden lande.
„Du gehst besser bevor ich mich verliere", knurrt er gefährlich ah an meinem Ohr. Nickend wische ich mir die Tränen vom Gesicht und sammle meine Mütze auf, die heruntergefallen zu sein scheint.
„Wir reden, wenn du wieder klar geworden bist." Mit diesen Worten schubst er mich vor die Tür und knallt diese laut hinter mir zu. Verwirrter als ich gekommen bin gehe ich wieder, denn ich weiß nichts. Nicht ob er es getan hat und auch nicht, ob er die Wahrheit sagt.
DU LIEST GERADE
JULY
General Fiction// Spin off zu GREY! // Ich war eine Marionette, hing an den Fäden in deiner Hand, bis du sie durchgeschnitten hast. Deine Hand, sie war ein Ort, warm und voller Sicherheit bis sie dir ausgerutscht ist. Und trotzdem hing ich an den Fäden, mit alle...