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„Und du wirst gefälligst da sein, Jules." Meine Teetasse wackelt auf dem Tisch und schwappt über, weil Dylan seine Hand so fest auf die Platte haut. Ich schlucke und sehe auf den gelblichen Fleck, den der Tee auf dem perfekt weißen Tisch verursacht hat. Von mir kommt lediglich ein sachtes Nicken, ehe ich den Blick vom Tisch abwende und auf die Seite sehe. Ich will ihn nicht ansehen, ich hasse es, wenn er so ist, wenn er wütend wird. „Gut", gibt er zufrieden zurück und greift nach meiner Hand. Beinahe würde ich dem Verlangen nachgeben, meine Hand zurückzuziehen, doch ich traue es mich ja doch nicht. „Schau mich an." Sachte legt er seine Hand auf meine Wange und hebt meinen Kopf an, sodass ich gezwungen bin ihn anzusehen und ich frage mich, ob er die Angst in meinen Augen nicht sehen kann oder ob er sie ignoriert.

In seiner Stimme ist plötzlich kein funken Bosheit mehr zu hören, es ist als wäre er ausgewechselt. Ein kleines Lächeln zeichnet sich auf Dylans vollen Lippen ab. „Ich liebe dich", er beugt sich vor, um mir einen Kuss auf den Mund zu geben. In seiner Geste liegt soviel harsches, obwohl er es gut meint. Dylan meint es immer nur gut. „Ich liebe dich auch", flüstere ich als er von mir ablässt und lege meine Stirn an seine. Ich rieche das Parfüm, welches ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe und schließe die Augen.

Manchmal habe ich das Gefühl, er ist nicht mehr dieselbe Person wie noch vor ein paar Monaten, aber verändern wir uns nicht alle? „Das wird toll werden, meine ganze Familie kommt und sie können alle mein wunderschönes Mädchen ansehen", sagt er stolz und steht auf. Sein Mädchen klingt immer wieder wie das größte Kompliment. Dylan nimmt meine Hand und zieht mich ebenfalls von meinem Stuhl. Ich lehne mich gegen seine Brust, schließe die Augen und atme tief ein und aus. Wie oft habe ich mir genau das gewünscht. Starke Arme, die mich zusammenhalten, mich beschützen.

Keine zwanzig Minuten später bin ich auf dem Weg nachhause und spüre, wie die Erleichterung mich überrollt. Ich sollte eigentlich jede Minute genießen, die ich mit Dylan habe, ich sollte traurig sein, wenn ich nachhause muss. Aber ich bin es nicht und das ist falsch. Ich merke wie das schlechte Gewissen mich überkommt. Dylan hat es wieder geschafft mich zu überreden, was bedeutet, dass ich mit ihm zur Weihnachtsfeier seiner Familie gehe, anstatt mit meiner besten Freundin über das Wochenende wegzufahren. Marissa wird wütend sein und ich kann es ihr nicht mal übel nehmen. Ich wäre an ihrer Stelle auch sauer. Aber sie versteht nicht, dass es Dinge gibt, die ich nicht ändern kann. Ein Streit mit Dylan, ist das letzte, was ich gebrauchen kann, zwischen all dem Stress mit der Uni. Außerdem weiß ich, wie wichtig ihm seine Familie ist und als seine Freundin gehöre ich ja auch irgendwie dazu. Kleine Rauchwolken bilden sich vor meinem Mund während ich die dunklen Straßen entlang laufe. Unglaublich, dass wir schon wieder Dezember haben. Weihnachten steht vor der Tür und damit auch die ganze Familie. Die Straße ist glatt und ich muss aufpassen, dass ich nicht hinfalle.

Schon als ich unsere Straße nach oben laufe, kann ich sehen, dass das Licht brennt. Mama steht in der Küche und kocht, wie sie es immer tut. Kaum das ich die Haustür öffne, steigt mir der Geruch von Hähnchen in die Nase. Ich schließe genießerisch die Augen und hänge Schal und Jacke an den Haken, an dem mein Name steht. Das erinnert mich immer wieder an den Kindergarten, wo jeder seinen Platz hatte, an dem der Name stand und ein Bild angebracht war. Aber Mama denkt nun mal, dass es so ordentlicher ist und wenn es um Ordnung geht, will man mit ihr nicht diskutieren. „Hey Paps", ich lege meine Arme von hinten um Papa, der schon am Essenstisch sitzt und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Seine Bartstoppel kratzen unangenehm. „Nimm deine kalten Pfoten von mir, Spätzchen", er befreit sich von meinem Griff und sieht mich feixend an. Beleidigt haue ich ihm auf die Schulter und gehe zu Mama. „Das riecht fantastisch!" Ich stecke meinen Kopf in den Topf mit dem Gemüse, da verscheucht sie mich schon lachend mit einem Geschirrtuch. Ich lache mit und gebe ihr eine kurze Umarmung zur Begrüßung. „Wie war es bei Dylan?" Will sie wissen und sieht kurz vom Topf mit der Soße auf. „Gut." Ich zucke mit den Schultern und lächle sie an. Mama geht auf, wenn sie kocht. Als ich klein war, habe ich Papa gefragt, warum immer nur Mama kocht. Seine Antwort, dass ihr Essen am besten schmeckt, hat sie mit einem 'Und weil dein Vater uns alle sonst schon lange vergiftet hätte' quittiert. Und tatsächlich lassen seine Kochkünste zu wünschen übrig. Pancakes und Eier mit Speck kann er, doch den Rest überlässt er wissentlich Mama.

„Da ist sie ja, die schrecklichste Schwester aller Zeiten!" Die belustigte Stimme meines Bruders kommt aus dem Wohnzimmer. Ich drehe mich zu ihm um und zeige ihm grinsend den Mittelfinger. Grey kommt in die Küche gelaufen und lehnt sich an den Tresen. Als Kind fand ich es immer doof einen Bruder zu haben. Nie gab es Geburtstagsfeiern nur für mich und meine Freundinnen, stattdessen war es ein wildes Getümmel aus Cowboy und Prinzessinnen Feiern welche, rückblickend betrachtet, nur aus gegenseitigen Streitereien bestanden. Zudem zieht er mich bis heute noch damit auf, dass er der ältere von uns beiden ist, obwohl wir Zwillinge sind. Wegen zwei dämlichen Minuten. „Weißt du", beginne ich und verschränke die Arme vor der Brust. „Wenigstens bin ich kein äußerlicher Unfall, so wie du." Ich sehe ihn Siegessicher an, während Mama um mich herum geht und verschiedene Utensilien zusammensucht. „Wir sind Zwillinge", betont er und steckt seine Hände in die schwarze Jeans. „Wenn ich hässlich bin, bist du es auch", er streckt mir die Zunge raus. Beleidigt und aus Reflex greife ich das, was mir am nächsten steht und werfe es nach ihm. Grey weicht dem Becher aus und lacht mich aus.

„Was ist das eigentlich für ein Gefühl, zu wissen das nur eines von drei Kindern normal ist?" James kommt mit einem Buch in die Küche gelaufen und setzt sich zu Papa an den Tisch. Ich strecke ihm die Zunge entgegen woraufhin er nur schmunzelt. James ist der kleinste von uns allen. Na ja, es sind nur zwei Jahre aber immerhin. „Was ist das eigentlich für ein Gefühl, zu wissen, dass man das langweiligste Kind von allen ist?" Fragt Grey. Wir brechen einstimmig in Gelächter aus. Ich glaube, das ist so ein Zwillingsding. Wir lachen über die gleichen Dinge in exakt dem gleichen Moment.

„Es ist ein absolut schreckliches Gefühl, faule Kinder zu haben", wirft Mama ein und trägt ein paar Schalen hin und her. „Tisch decken", fordert sie noch und sieht uns mahnend an. Wir nicken einstimmig und fangen an den Tisch zu decken. Ich betrachte meine kleine Familie und bin ein bisschen glücklicher als zuvor. Was auch immer passiert, niemand kann mir die Menschen wegnehmen die ich am meisten liebe und die mich lieben. Wir sind ein perfekter kleiner Haufen und vielleicht tut mir das Herz gerade ein bisschen weh, weil ich so glücklich bin.

„Du faule Kuh stehst nur rum", meckert Grey und zeigt schmollend mit dem Finger auf mich. Ich lache kopfschüttelnd und verteile weiter das Besteck.

JULYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt