„Ich bin nicht sauer, July", Marissa steht mir gegenüber und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich bin verdammt wütend. Diesen Ausflug planen wir schon seit Monaten und dieser Schmalzkopf Dylan funkt wieder ein Mal dazwischen. Das ist nicht fair und ehrlich gesagt, enttäuscht mich das", sagt sie frustriert und lehnt sich gegen die Wand. Mir war klar, dass ich mir eine Ansage anhören darf. Ich kann ihren Ärger verstehen aber ich kann es eben nicht ändern. Schuldbewusst sehe ich sie an. Heute ist es so kalt, dass ich selbst in meiner dicken Jacke friere. „Es tut mir leid Miri. Ich habs versucht, wirklich." Dylan wird mich umbringen wenn ich ihm Absage. Er wird sowas von explodieren, und auch wenn es hier um meine beste Freundin geht, kann ich nicht absagen. Er wäre enttäuscht.
„Nein", sagt sie entschlossen. Ihre roten Haare wackeln bei jeder Bewegung. „Entweder Dylan oder ich. Du weißt, ich mache das echt ungern, aber Jules ich bin es leid. Er kommt uns immer wieder dazwischen. Es ist, als wollte er das wir keinen Kontakt mehr haben." Sie runzelt die Stirn. „So ist das nicht", versichere ich ihr. „Ich versuche noch mal mit ihm zu reden, ja?" Mir fällt nicht ein, wie ich beide glücklich machen könnte. Dabei sind mir beide unglaublich wichtig.
Ich sehe Marissa an, das sie etwas sagen will, doch sie stoppt und sieht hinter mich. Es dauert nicht lange bis ich begreife. „Honey", raunt Dylan in mein Ohr und gibt mir einen Kuss auf den Hals. Ich lächle zart. „Hey." Mir ist klar, dass Miri nie etwas sagen würde, wenn Dylan dabei ist und ich bin ihr so unglaublich dankbar dafür. Dylan muss nicht wissen, was wir miteinander besprechen und ich weiß, dass er schon das ein oder andere Mal versucht hat, Miri auszufragen. Letztendlich aber auch nur, weil er möchte das es mir gut geht. Er legt seinen Arm um meine Hüfte und stellt sich neben mich. „Marissa", begrüßt er meine beste Freundin, doch es hört sich eher wie eine abfällige Bemerkung an. Sie grüßt ihn in der gleichen Tonlage zurück. Ich weiß, dass die beiden sich noch nie verstanden haben und sich nur gegenseitig akzeptieren, weil es um mich geht. Und manchmal wünschte ich, die beiden würden endlich sehe wie viel der andere Wert ist und sich auch so behandeln. Alles wäre so viel einfacher, wenn die beiden sich verstehen würden.
„Wir müssen jetzt zum Training, also ja, bis dann", Miri lächelt unecht und zieht mich aus Dylans Arm. Ohne ihm Tschüss sagen zu können, lasse ich mich von ihr zum Auto ziehen. Ich werfe einen Blick hinter mich, wo Dylan noch mitten im Gang steht und uns mit starrer Miene hinterher sieht. Oh weh.
Müde und gefühlt erschlagen öffne ich unsere Haustür und hänge meine Sachen an ihren Platz. Gerade nach dem Training fühle ich mich, als wäre mein ganzer Körper aus Wackelpudding. Ich bringe meine Sporttasche in mein Zimmer und lasse mich erschöpft auf mein Bett fallen. Mittwochs ist nie jemand vor mir zu Hause, was gut ist, denn so habe ich ein paar Minuten ganz für mich alleine. Die Stille umhüllt mich wie eine warme Decke an kalten Herbsttagen. Es gibt mir das Gefühl, nicht so hektisch zu sein wieder Rest meines Lebens. Die Uni, das Handball Training, Dylan, meine Familie, dass alles ist so hektisch und laut. Diese wenigen Minuten voller Frieden sind ein kleiner Urlaub. Trotzdem überwinde ich mich irgendwann dazu, aufzustehen und in mein Badezimmer zu gehen. Als Mama und Papa das Haus gekauft haben, war es das Einzige mit eigenem Badezimmer und ich war eben schneller als meine Brüder. Das Einzige, dass ich nicht leiden mag, ist der große Spiegel, der alles zeigt, was ich eigentlich nicht sehen will und trotzdem kann ich nicht wegsehen. Jeder dieser blauen Flecke prangert wie ein Mahnmal an meinem Körper. Sie alle stehen für Fehler, Leichtsinn, Dummheiten, Verachtung und unsagbaren, unsichtbaren Schmerz. Und es schmerzt noch mehr sie anzusehen, zu sehen wie sie die Farbe ändern, als wäre ich ein zerbrochenes Chamäleon und was am meisten schmerzt ist die Gewissheit, dass immer Neue kommen, sobald die alten verblassen. An meinem Körper verblassen, denn auf der Seele sind sie eingebrannt, mit heißem, glühenden Stahl.
Ich versinke in dem Blick auf meinen Körper, der mal soviel schöner war. Es scheint, als wäre jede Art von Liebe gewichen und zurück bleiben nur Blessuren. So viel steckt hinter jedem einzelnen der blau, hellvioletten und auch gelblichen Flecken und vielleicht sind sie nicht nur Blessuren vielleicht sind sie kleine Kunstwerke, entstanden aus einer Liebe, die keine Grenzen mehr kennt.
„July, Schatz?" Höre ich meine Mutter rufen. Sie klopft gegen die Tür, die zu meinem Glück abgeschlossen ist. „Ich will unter die Dusche", rufe ich zurück und drehe das heiße Wasser auf. Es dauert nicht lange und mein Badezimmer wird in warmen Nebel getaucht. Ich genieße die Zeit, in der das Wasser auf meinen Körper prasselt. Sobald ich die Dusche verlasse, ist da wieder die Realität und am liebsten würde ich ewig vor ihr davon laufen. Kleine Wassertropfen fallen von meiner Nase auf den Boden der Dusche, versinken letztendlich im Abfluss. Oh, wie gerne wäre ich ein Teil davon.
Mit nassen Haaren verlasse ich das Badezimmer, den Blick auf meinem beigen Teppich. Es ist so viel kälter in meinem Zimmer, obwohl es vor der Dusche noch eine angenehme Temperatur hatte. Ich hole einen Pullover und eine Leggings aus dem Kleiderschrank. Als ich mich umdrehe, um die Sachen auf mein Bett zulegen, sehe ich Dylan dort sitzen. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe ihn mit großen Augen an. „Hey Babe", er mustert mich von oben bis unten und steht auf. „Hättest du dich nicht bemerkbar machen können?" Der Schreck muss mir anzusehen sein, denn ich kann ihn immer noch fühlen, wie er durch meine Adern kriecht. „Es tut mir leid", er runzelt die Stirn kaum merklich und nimmt mich in den Arm. Ich spüre seine Hand, die meinen Hals hinab fährt, als wollte sie Neuland erkunden. „Ich habe dich vermisst", raunt er und gibt mir einen Kuss, der fast so vorsichtig ist, dass ich ihm die Liebe glauben könnte. Seine Lippen küssen sich meine Mundwinkel herab zu meinem Kinn, bis sie irgendwann an meinem Hals ankommen. Wie in Trance stehe ich inmitten meines Zimmers, während seine Hände mir unter den Bademantel greifen. „Dylan", meine Stimme ist nur ein Flüstern, fast verschwindet sie unter der Lautstärke meines klopfenden Herzens. „Dylan hör auf", ich greife nach seiner Hand, die unter meinen Bademantel wandert und meine Hüfte umfasst. Entgegen meiner Bitte tastet er sich weiter meinen Körper entlang. Gänsehaut überzieht mich. Ich will das nicht. „Hör auf!", fordere ich lauter als zuvor und schubse ihn so gut ich kann von mir weg. Ich sehe die Überraschung in seinem Gesicht, die nur kurz dort verweilt ehe sie von blanker Wut überrollt wird. Es vergehen nur Sekunden, in denen ich ihn ansehe und weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Bis der brennende Schmerz meine Wange durchzieht und mir wieder einen Teil meiner Seele splittert.
Fassungslos halte ich meine glühende Wange. „Du wirst mich nicht abweisen", herrscht er mich an und kommt mir wieder näher um seine Lippen barsch auf meine zu drücken. Dicke Tränen sammeln sich in meinen Augen, nur um in schweren, schwarzen Tropfen auf meine Wange zu fallen. „Shhh", Dylan lässt von meinen Lippen, eine Hand noch immer fest in meinem Nacken. „Nicht weinen." Ein Gespött aus dem Mund des Mannes, den ich liebe. „Ich liebe dich", murmelt er und sieht mich so liebevoll an, dass ich ihm fast glaube. „Ich liebe dich so sehr, meine Jules", wiederholt er die Hand immer noch an der Wange, die so, so schmerzt.
„Ich liebe dich auch", wimmere ich. Es fühlt sich an, als würden sich tausend Nadeln in meinen Mund bohren und ich schwöre, ich kann das Blut und die Bitterkeit schmecken.

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JULY
General Fiction// Spin off zu GREY! // Ich war eine Marionette, hing an den Fäden in deiner Hand, bis du sie durchgeschnitten hast. Deine Hand, sie war ein Ort, warm und voller Sicherheit bis sie dir ausgerutscht ist. Und trotzdem hing ich an den Fäden, mit alle...