12

337 46 31
                                    

"Was hältst du davon wenn du heute bei mir schläfst?" Es ist das erste Mal, dass Dylan wieder mit mir spricht seit dem wir vom Café losgefahren sind. Mittlerweile stehen wir vor meinem Haus. Mamas bunte Weihnachtsbeleuchtung strahlt in den verschiedensten Farben. "Ich denke, das ist keine gute Idee." Sage ich ehrlich. Dylans schwankende Stimmung macht mich fertig. Gerade eben war er noch sauer, hat mich geschlagen, jetzt scheint er die Ruhe selbst zu sein und wirklich zu wollen dass ich bei ihm schlafe.

Sein lautes Seufzen füllt die Stille im Wagen. Nervös spiele ich mit meinen Fingern, den Blick weiter auf Mamas bunte Lichter gerichtet. Seine Hand greift nach meiner, doch ich zucke zurück. Mein Kopf schnellt in seine Richtung und als ich die Verwirrtheit und die Verzweiflung in seinem Gesicht sehe, lasse ich ihn doch gewähren. "Bitte", betont er eindringlich, hebt meine Hand um einen sanften Kuss auf meinen Handrücken zu drücken. Ich schaue ihn an, versuche aus dem schlau zu werden, was er tut. Versuche sein Verhalten zu verstehen aber ich kann es nicht. Jedes Mal wenn ich darüber nachdenke, kommen nur noch mehr Fragen auf.

"Ich muss morgen zur Uni und .." "Ich fahre dich", unterbricht er mich. "Du wirst pünktlich da sein." Ein kleines Lächeln umschmeichelt seine Lippen und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl einen Blick auf den alten Dylan zu erhaschen. "Okay", murmle ich. Sein Lächeln wird größer. Er lehnt sich zu mir rüber und gibt mir einen Kuss.

"Ich hole nur dein Handy und ein paar andere Sachen", lasse ich ihn wissen und steige aus. Kühle Luft schlägt mir entgegen. Mama wird nichts dagegen haben dass ich bei ihm schlafe, das weiß ich. Deshalb sage ich ihr einfach nur kurz Bescheid ehe ich in mein Zimmer gehe und eine kleine Tasche packe. Vielleicht ist es jetzt genau das was wir brauchen. Er scheint sich wieder etwas beruhigt zu haben und das will ich ausnutzen. Ein schöner Abend kann uns beiden nicht schaden.

"Hey Jules", als ich schon wieder aus meinem Zimmer raus bin und fast am Ende der Treppe, höre ich Grey rufen. Er kommt ebenfalls gerade runter. "Hm? Ich ziehe mir meinen Schal wieder über und meine Schuhe an. "Wo gehst du hin?" Skeptisch schaut er auf meine Tasche und dann wieder zu mir. "Ich übernachte heute bei Dylan", erkläre ich ihm. Bevor er noch etwas sagen kann öffne ich die Tür und gehe raus, doch er kommt mir hinterher.

"Darüber wollte ich nochmal mit dir reden", er sieht über meine Schulter hinweg. Ich folge seinem Blick zu ihm. Dylan lehnt an seinem Auto und beobachtet uns. Seinen Blick kann ich nicht deuten, weil es dafür zu dunkel ist. "Worüber?" Ich ziehe die Stirn in Falten. Es ist unglaublich kalt. "Ich..." Er hadert mit sich, fährt sich durch die Haare. "Ich mache mir Sorgen. Du bist so.. Komisch in letzter Zeit. Immer wenn du bei ihm warst."

Seufzend ziehe ich den Reißverschluss meiner Jacke hoch. "Hatten wir das nicht heute Morgen schon? Es ist alles okay." Etwas in mir glaubt mir selbst kein Wort. Aber letztendlich ist alles okay.

"Das ist es nicht", er wird ernster. "Und ich habe kein gutes Gefühl dabei wenn du jetzt zu ihm gehst." Ich lache auf. "Grey bitte. Du musst dich nicht aufspielen. Mir geht es gut. Du konntest Dylan nie leiden."

"Weil ich weiß, was er mit seiner Exfreundin gemacht hat", knurrt er zurück. Ich will nicht an sie denken und an alles was in den Zeitungen stand. Dylan hat sich verändert. So sehr verändert. Grey sieht nur das Schlechte in ihm. "Aber ich bin nicht seine Exfreundin. Er behandelt mich gut und ich will mich nicht vor dir Rechtfertigen müssen."

Greys ständiges Misstrauen geht mir unglaublich auf die Nerven. Er ist mein Bruder, nicht mein Vater. Doch manchmal verhält er sich so und merkt nicht wenn er eine Grenze überschreitet.

"Komm schon, Jules!" Höre ich Dylan rufen. Ich werfe einen Blick hinter mich und beobachte ihn dabei, wie er in den Wagen steigt. "Ich muss jetzt los", mache ich meinem Bruder klar. Frustriert nickt er.

So schnell wie ich kann laufe ich die wenigen Stufen nach unten, werfe die Tasche auf die Rückbank und steige ein. Noch bevor Dylan losfährt sehe ich wie Grey frustriert gegen die Bank auf der Veranda tritt.

Bilder von Dylans Exfreundin Emilia tauchen vor meinem inneren Auge auf. Schnell lasse ich die Bilder wieder verschwinden und konzentriere mich auf Dylans Seitenprofil während er konzentriert fährt. Ich bin nicht Emilia, Dylan würde mit mir nie tun, was er schon mit ihr getan hat. Niemals.

Bei Dylan angekommen gebe ich ihm sein Handy wieder und stelle meine Tasche in den Flur. Es ist angenehm warm und riecht nach Pfefferminz in der ganzen Wohnung. "Tee?" Fragt er schließlich und geht voraus in die Küche. Ich nicke einverstanden und folge ihm. Früher war ich öfter hier, aber früher war alles auch noch ein bisschen anders.

"Ich würde gerne mit dir über etwas reden", beginnt er. Ich schaue auf seine Oberarme und die Muskeln, die sich bewegen. "Worüber?" Will ich wissen. Dabei ist mir klar, dass es nichts Schlimmes sein kann, denn dafür ist seine Stimmung viel zu gut und friedvoll.

"Also ich weiß, das kommt ein bisschen schnell", beginnt er und dreht sich zu mir um. Seine Augen funkeln warm. Erwartungsvoll streckt er seine Arme aus, weshalb ich den Schritt zwischen uns überbrücke und mich an ihn lehne. "Ja?" Frage ich skeptisch und trotzdem grinsend. Gerade wirkt er fast schon schüchtern. "Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, was wäre, wenn wir", er nimmt meine Hand und zieht kleine Kreise mit seinem Daumen.

"Wenn du und ich", trödelt er weiter. "Dylan!", seufze ich ungeduldig und grinse. Er erwidert mein Grinsen und schüttelt den Kopf. Das alles fühlt sich ein bisschen wie früher an; es fühlt sich gut an.

"Was wäre, wenn wir beide zusammen hier einziehen? Wenn du einfach zu mir ziehst?" Begeistert sieht er mich an. Beinahe verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke. "Was? Jetzt?"

Überrumpelt von seiner Frage und perplex starre ich ihn an. "Natürlich, nur wenn du das willst, lass dir Zeit dabei."

Gelassen wendet er sich dem Wasserkocher zu, schaltet ihn aus und befüllt unsere Tassen. Unsicher was ich sagen soll schweige ich ihn an, während der mir meine Tasse reicht. Sie ist so heiß, dass ich sie direkt wieder abstelle. Mit Dylan zusammen ziehen? Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Warum sollte ich jetzt von Zuhause ausziehen? Wir sind zwar schon eine Weile zusammen, aber noch nicht so lange. Er wohnt ja selbst noch nicht allzu lange hier.

Seine Augen folgen mir bei jeder Bewegung. Interessiert und neugierig legt er den Kopf schief. Was ist, wenn er wieder der alte wird? Wenn dass hier wieder zu unserer Normalität werden könnte?

"Ich brauche Zeit um mir darüber Gedanken zu machen", antworte ich ehrlich. Ich will nichts überstürzen. Mir ist klar, wie Dylan ist, seine Laune kann sich jede Sekunde wieder ändern.

Er nickt verstehend und pustet in seine Teetasse. Wie er so da steht, die eine Hand in der Hosentasche vergraben, ganz locker und kein bisschen verkrampft, das weckt alte Gefühle. Gute Gefühle. Und dass er meine Entscheidung akzeptiert, spricht für ihn.

JULYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt