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„Wie kommt es, dass du heulend auf der Straße gelandet bist?" Evan sieht mich interessiert an. Wir sitzen in einem Café, dass viel von Laufkundschaft besucht ist. Nachdenklich sehe ich aus dem Fenster. Evan ist nett, sympathisch und echt lieb. Wir haben jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit geredet und verstehen uns gut. Ich bin mir allerdings sicher, dass ihn das nichts angeht. „Nur ein paar Probleme. Wie sie jeder von uns hat", erzähle ich und trinke von meinem Kaffee. Es ist bereits dunkel und eigentlich sollte ich mich auf den Weg Nachhause machen. Mama erwartet mich immerhin zum Abendessen.

Verstehend nickt er und stellt seine Tasse wieder ab. Sein Blick wandert zu der Uhr an seinem Handgelenk. „Hör mal, es war echt schön aber ich muss los. Hast du Lust sich mal wieder zu sehen?" Er lächelt mir zu. Ich zögere. Das ist keine gute Idee. Dylan wird mich umbringen wenn er davon erfährt. Ich will ihm nicht wieder einen Grund geben wütend zu werden. Jetzt muss ich erst mal die Suppe auslöffeln, in der ich gerade stecke. Deshalb schüttle ich den Kopf. „Ich glaube, das ist keine so gute Idee."

Evan versteht sofort und räuspert sich unangenehm. „Hab schon verstanden", murmelt er. „Aber falls du mal deine Meinung änderst...", er kramt einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche und kritzelt etwas auf meine Serviette. „Oder du mal jemanden zum Reden brauchst, hast du meine Nummer." Er lächelt und legt etwas Geld auf den Tisch. „Bis dann, vielleicht", unsicher fährt er sich durch die Haare und schiebt seinen Stuhl zurück an den Tisch. Ich bleibe alleine zurück und sehe auf die leere Kaffeetasse vor mir. Evan war nett aber ich weiß, dass Dylan komplett ausflippen würde. Ich sollte ihn nicht noch mehr provozieren als ich es heute getan habe.

„Du bist ja schon wieder Zuhause", Mama zieht überrascht die Augenbrauen nach oben und mustert mich. Sie trägt ihre Kochschürze und den Dutt, den sie immer trägt, wenn sie einen stressigen Tag hatte. Einzelne Haare stehen in alle Richtungen ab. „Ja, ich bin ziemlich müde." Ich lächle sie an und hänge meine Jacke an meinen Haken. „Dylan hat angerufen", ruft sie noch während sie zurück in die Küche läuft. Mein Herz bleibt einen Moment stehen. „Wieso das?" Will ich wissen und setze mich auf der Marmor gemusterte Anrichte. Sie drückt mir ein Stück Paprika in die Hand, von dem ich grinsend abbeiße. Jedes Mal wenn ich hier sitze und Mama beim Kochen zugucke, erinnert mich das daran, wie ich das schon als Kind getan habe. „Er sagte, du solltest dich melden, wenn du Zuhause bist. Er macht sich Sorgen." Ich kann nur schwer verhindern aufzulachen, schaffe es aber irgendwie trotzdem. „Dir geht es doch gut, Schatz?" Sie sieht mich besorgt an. Ich nicke. „Alles gut, Mama." Er macht sich Sorgen. Natürlich tut er das, denn egal wie schlecht er mich behandelt, er macht sich immer Sorgen. Er liebt mich. So gut er eben kann.

Mama will gerade noch etwas sagen, da klingelt es an der Tür. Verwundert sehe ich zu ihr, doch sie zuckt nur mit den Schultern und konzentriert sich wieder auf das Essen. Als ich die Tür öffne, sehe ich jemanden mit dem ich nicht gerechnet hätte. Verwundert schaue ich meine beste Freundin an. „Ich hab dich angerufen", begrüßt sie mich mit einem Blick zu meiner Hosentasche. "Entschuldige, ich war den ganzen Tag unterwegs", murmle ich und öffne die Tür ein bisschen mehr. Sie tritt ihre Schuhe an der Fußmatte ab und kommt rein. Der Duft von Vanille und frischen Blumen kommt mir entgegen. Miri hat schon immer so gerochen, ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem sie mal nicht nach diesem Parfüm gerochen hat. Etwas daran erinnert mich immer an Sicherheit.

"Wir hatten schon so lange keinen Mädelsabend mehr, ich dachte das wäre mal wieder bitter nötig." Sie hängt ihre Jacke an meinen Haken und grinst.

„Mama, wir haben eine Person mehr, die mit isst", flöte ich fröhlich. „Aber was machst du überhaupt hier? Solltest du nicht auf einer Party sein?" Ich bin froh, das Miri hier ist, aber etwas in mir erinnert sich auch daran, dass sie mal etwas davon erzählt hat. „Mama und Papa sind doch nicht weggefahren und wenn ich noch mehr feiern gehe, bringen sie mich um", sie verdreht theatralisch die Augen. Ich grinse und ziehe sie ins Esszimmer.

Wir unterhalten uns die ganze Zeit während Mama kocht und Papa nur ab und an mal vorbeischaut um unlustige Witze zu erzählen. Das Essen riecht jetzt schon fantastisch. Wie immer. Ich kann hören wie die Haustür aufgeht und kurz darauf wieder zugeschmissen wird. Ich weiß, wer da gerade kommt und Miri weiß es offensichtlich auch. Augenblicklich setzt sie sich auf, richtet ihre dunkelblaue Bluse und ihre Haare. Mit hochgezogener Augenbraue betrachte ich sie, woraufhin sie mir nur die Zunge entgegenstreckt, es ist kein Geheimnis, dass Miri auf Grey steht. Nur er scheint das nicht wahrhaben zu wollen, denn er behandelt sie mehr wie eine Schwester als alles andere. Das hat mir schon so einige Jammerstunden eingebrockt. Er kommt in die Küche gelaufen und wuselt mir zur Begrüßung durch die Haare. Empört schreie ich auf. „Du Arsch", schimpfe ich und versuche mit meinen Händen meine Haare wieder etwas zu richten.

„Hey Miri", er grinst meine beste Freundin an, die nichts anderes tut als ihn anzuschmachten. Ehrlich gesagt weiß ich nicht was sie an Grey findet. Er ist manchmal ein Idiot und er ist mein Bruder. Das sollte Ausschlusskriterium Nummer Eins sein. Das scheint sie aber nicht zu stören, wie das dümmliche Grinsen auf ihrem Gesicht mir verrät. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen", flötet er und umarmt sie von hinten. Die Röte steigt ihr augenblicklich ins Gesicht. Auch Mama, die immer wieder zu uns sieht, bekommt das mit und lächelt mich wissend an. „Also, ich schlage vor, wir beide gehen mal in mein Zimmer bis das Essen fertig ist." Ich atme hörbar aus und stehe von meinem Stuhl auf. Miri nickt, bewegt sich aber keinen Millimeter. Stattdessen starrt sie Grey an, der sich mit Mama unterhält.

"Miri", ich stupse sie an und ziehe die Augenbrauen hoch.

„Das klingt nach einer guten Idee", stimmt sie mir räuspernd zu. Dann steht sie auch endlich auf und folgt mir die Treppen nach oben. Es ist ruhig, weil wir beide nicht sprechen. Erst als wir in meinem Zimmer angekommen sind, sagt sie wieder etwas. "Er ist so süß", schwärmt die rothaarige und lässt sich auf mein Bett fallen. Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse. "Guck nicht so", schmollend verschränkt sie die Arme vor der Brust. Das Miri in Grey verliebt ist, ist nichts Neues, allerdings dachte ich Anfangs das wäre nur eine Phase. Dem ist offensichtlich nicht so, stattdessen meint sie es wohl ernst.

"Warum sieht er mich nicht?" Will Miri wissen. Ich setze mich auf das andere Ende des Bettes. Mama muss die Heizung hochgedreht haben, denn es ist extrem warm in meinem Zimmer. Ich kremple die Ärmel meiner Bluse nach oben und lächle Miri mitleidig an. Niemand will, dass seine beste Freundin so leidet.

"Grey ist nicht gut genug für dich", sage ich. Das meine ich nicht böse. Mein Bruder ist kein schlechter Mensch. "Er hatte noch nie eine richtige Beziehung, nur seine Betthäschen und sowas bist du einfach nicht." Grey selbst behauptet immer er ist nicht fähig für eine Beziehung und obwohl ich es auf eine Art und Weise nicht verstehen kann, verstehe ich es irgendwie doch. Er ist ein komplizierter Mensch und zu allen Menschen außerhalb der Familie sehr abweisend. Das war er irgendwie schon immer.

"Vielleicht hast du recht", sie seufzt. "Manchmal habe ich eben diese dumme Hoffnung, dass es anders wäre. Weil wir uns kennen", sie nimmt ihren Blick von der Zimmerdecke und setzt sich auf. Sie mustert mich, dann runzelt sie die Stirn. "Jules?" Fragt sie verwirrt. "Hm?" Ich folge ihrem Blick, der auf meine Arme gerichtet ist.

"Was hast du da?" Ohne auf eine Antwort zu warten, rückt sie näher und inspiziert meinen Arm.

JULYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt