Die letzte Vorlesung für heute vergeht viel zu langsam. Ich quäle mich durch die letzte Lesung, bekomme eigentlich kaum noch was mit und schließe seufzend meinen Laptop. Als eine der Letzten verlasse ich den Hörsaal. Das Einzige, dass ich noch tun will, ist nach Hause gehen und schlafen. Es ist eisig kalt draußen. Hektisch stopfe ich den Rest meiner Sachen in meine Tasche und schließe meine Jacke. Das Kunstfell wärmt meinen Hals augenblicklich. Eine Melodie summend, die ich selbst nicht wirklich kenne und von der ich nicht weiß wie sie in meinen Kopf kommt, gehe ich in die Richtung der Bushaltestelle. Miri hatte schon lange vor mir Schluss gehabt, weshalb ich heute alleine fahre.
Ich höre ein lautes Räuspern. Sofort erstickt mein Summen und ich drehe mich um. „Evan?" Frage ich überrascht. Der Mann, der heute keinen Anzug trägt, mustert mich und grinst spitzbübisch. Die Tatsache, dass er legere Kleidung trägt und das freche Grinsen lassen ihn viel jünger aussehen als damals, als wir zusammen im Café saßen.
„July", begrüßt er mich ebenfalls. Ich lächle ihn an und richte meinen Schal. „Was machst du hier?" Will er wissen. Sein Haare ist ganz nass und platt gedrückt vom Schnee, der seit gestern fast durchgehend fällt. „Ich hatte bis gerade noch eine Vorlesung", erkläre ich. „Und du?" Evan ist der letzte, mit dem ich gerechnet hätte. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gedacht, dass ich ihn irgendwann mal wieder sehen würde. Diese Begegnung scheint mir, rückwirkend betrachtet, ganz surreal. „Ich war einkaufen", er nickt nach unten zu seinen Händen, die zwei volle Taschen halten. "Ah" verstehend nicke ich und hebe wieder meinen Kopf. Der Bus sollte bald kommen, wenn er denn bei dem Wetter überhaupt fährt. Das heißt ich muss mich beeilen wenn ich ihn noch rechtzeitig bekommen will.
"War echt nett dich mal wieder zu sehen, aber ich muss den Bus noch bekommen", lasse ich ihn wissen. Evan zeigt mir dass er versteht. Stumm laufe ich an ihm vorbei in die Richtung der Haltestelle. Wir sind uns nur zufällig über den Weg gelaufen und trotzdem ist mein schlechtes Gewissen Dylan gegenüber groß. Etwas in mir weiß, dass das übertrieben ist, dass das hier kein Flirten oder etwas Derartiges war und trotzdem kann ich die Stimme in meinem Kopf nicht abstellen, die sagt, dass ich etwas Falsches gemacht habe.
"Ich.. Ich könnte dich fahren!" Höre ich Evan über den gesamten Parkplatz rufen. Mittlerweile sind wir schon einige Meter auseinander und obwohl er es durch die Dunkelheit und den Schnee nicht sehen kann, schüttle ich den Kopf. "Danke aber geht schon", rufe ich ebenso laut zurück und drehe mich zum Gehen um.
Der Bus kommt, mit ein wenig Verspätung, ist bis auf zwei weitere Menschen vollkommen leer. Der Busfahrer starrt konzentriert auf die Straße. Ich summe zu der Melodie, die aus meinen Kopfhörern spielt und sehe aus dem Fenster. Die Stadt wirkt wie in Trance, der Schnee hat alles in eine ruhige Hülle getaucht, bunte Weihnachtslichter brennen an den Fenstern, die Menschen scheinen langsam in der ruhigen Weihnachtszeit anzukommen.
Ich stehe von meinem Sitz auf, sehe auf die große Anzeige, auf der meine Haltestelle steht und drücke den roten Knopf. Einen Moment später hält der Bus und die Kälte holt mich wieder zu sich zurück.
Immer noch summend schließe ich die Haustür auf und ziehe meine Jacke und meine Schuhe aus. „Jemand zu Hause?" Rufe ich und schlendere in die Küche, wo ich meinen kleinen Bruder sehe, der verzweifelt auf dem Boden sitzt. Desto länger ich die Situation auf mich Wirken lasse, umso unsicherer bin ich, ob ich geschockt sein oder in Lachen ausbrechen soll.
Das Bild, das sich mir gibt, ist so viel mehr als nur einen Lacher wert. Und auch wenn es vielleicht fies ist, kann ich nicht anders als mein Handy heraus zu holen und ein Foto zu schießen. „Hör auf mit dem Scheiß und hilf mir lieber", knurrt James und wirft noch eins von Mamas guten Handtüchern auf den Boden. Die kompletten Fließen der Küche stehen unter Wasser, während James versucht das Chaos unter Kontrolle zu bringen. „Wie zum Teufel ist das passiert?" Will ich wissen und schaue mir die Unordnung an.
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JULY
General Fiction// Spin off zu GREY! // Ich war eine Marionette, hing an den Fäden in deiner Hand, bis du sie durchgeschnitten hast. Deine Hand, sie war ein Ort, warm und voller Sicherheit bis sie dir ausgerutscht ist. Und trotzdem hing ich an den Fäden, mit alle...