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In den seltenen Winternächten, in denen der Himmel klar ist, muss man die Zeit nutzen und sich die Sterne ansehen. Der Kakao in meiner Hand ist so heiß, dass ich die Tasse kaum anfassen kann. Kleine Dampfwolken steigen mir ins Gesicht, umschmeicheln mein Kinn, während ich auf meinem Fensterbank sitze und in den Himmel schaue. Seufzend stelle ich die Tasse vor meinen Füßen ab. Die kleinen Lichter am Himmel funkeln in strahlendem Licht. Sterne haben mich schon immer fasziniert. Ein einziges Mal hatte ich bis jetzt das Glück eine Sternschnuppe zu sehen. Damals im Camp, es war Sommer und so heiß, dass ich nicht schlafen konnte. Also habe ich mich aus dem Zelt gestohlen, auf die große Wiese gesetzt und den Himmel angestarrt. Das Zirpen der Grillen kann ich immer noch hören wenn ich daran denke.

Der Moment, in dem ich die Sternschnuppe gesehen habe war kurz, in der Zeit eines Wimpernschlags war sie schon wieder verschwunden. Fasziniert habe ich den sonst schwarzen Himmel angestarrt und auf noch so ein Glück gehofft, was bis jetzt aber nie wieder passiert ist. Vielleicht ist das der Grund warum ich die Sterne so gerne beobachte, weil ich unbedingt wieder eine Sternschnuppe sehen möchte. Damals wusste ich nicht, dass man sich dabei etwas wünschen soll und habe es auch nicht getan. Heute wüsste ich nicht, was ich mir wünschen würde. Es gibt vieles das mir einfallen würde und nichts davon könnte man jemals mit Geld kaufen. Meine Decke rutscht etwas nach unten, weshalb ich den Kopf vom Himmel abwende und auf die Fensterbank sehe.

Das Display meines Handys leuchtet auf und mit ihm ein Bild von mir und Dylan bei einem Football Spiel. Da waren wir gerade einmal ein paar Wochen zusammen. Verliebt und glücklich grinse ich in die Kamera. Dylans Arm liegt um meine Hüfte, wir beide haben das Gesicht in den Farben des Teams bemalt und sind so glücklich wie wir es wahrscheinlich schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr waren. Das stetige Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Erinnerungen. Ich will jetzt nicht abnehmen, will mir den ruhigen und schönen Augenblick nicht kauptt machen lassen. Trotzdem drängt mich etwas in mir dazu, den grünen Hörer zu drücken. „Hey", murmle ich ins Telefon und stehe von der Fensterbank auf. Meine Beine sind komplett versteift. Ich strecke mich und lausche in das Telefon. Das Einzige was zu hören ist, ist Dylans leises atmen. „Dylan?" Frage ich erneut nach während ich meine Decke wieder auf mein Bett lege und den Kakao von der Fensterbank nehme. „Jules", säuselt er mit schwacher Stimme. Stirnrunzelnd sehe ich mein Spiegelbild durch den Spiegel über meinem Schminktisch an. „Was ist los?" Besorgt setze ich mich auf mein Bett. Dylan klingt nur selten so unten wie jetzt. Nervös kaue ich an meinen Fingern. „Ich habe einen Fehler gemacht", weint er fast schon ins Telefon. Ich kann nichts dafür,aber durch die angespannte Situation beginnt mein Herz schneller zuschlagen. „Jules, hilf mir", bittet er aufgelöst. Etwas wie Wut schwingt in seiner Stimme mit, aber das tut es immer. „Wie kann ich dir helfen?" Will ich wissen. „Komm her", antwortet er augenblicklich, wie aus der Pistole geschossen. Obwohl alles in mir Nein schreit, nicke ich, bis mir klar wird, dass er das nicht sehen kann. „Wo bist du?" Es rauscht kurz am anderen Ende des Telefons. „Ich bin im West Park", seine Stimme ist so leise, dass ich ihn kaum verstehe. „Bitte komm alleine", er seufzt hörbar. „Natürlich", versichere ich. „Ich liebe dich, Jules", sagt er noch, ehe er das Telefonat beendet und ich alleine in meinem Zimmer zurück bleibe, mit einer erdrückenden Stille.

Weil es mitten in der Nacht ist und alle anderen schon schlafen, muss ich aufpassen niemanden zu wecken, was sich bei der alten Holztreppe als mehr als nur schwierig herausstellt. Jeder Schritt ist erstaunlich laut und noch lauter als der davor. Irgendwann habe ich es aber doch zur Haustür geschafft. Schnell ziehe ich meine Schuhe an. Schlüpfe in meine Jacke und stülpe mir den Schal über den Kopf. Ich muss in meinem Pyjama wahrscheinlich wie eine Verrückte aussehen. Aber wahrscheinlich bin ich das sowieso. Immerhin helfe ich Dylan mitten in der Nacht, bei einem Problem von dem ich nicht das kleinste Detail weiß. Er könnte vor mir stehen, mit einer Leiche neben sich, die ich verschachern soll und ich würde es tun.

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