„Mama!", ruft James über den gesamten Tisch als wäre er ein kleines Kind. Ich sitze ihm gegenüber und grinse ihn an. „Sie hat schon wieder das Nutella leer gemacht", er verschränkt die Arme vor der Brust und schmollt. Unglaublich, dass das ein Erwachsener Mann sein soll. Zumindest ansatzweise. Genüsslich beiße ich in mein Brot und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Grey liegt immer noch im Bett und schläft. Ich kann es ihm nicht verübeln, er schläft meist erst sehr spät ein, wenn überhaupt. Meine Nacht war auch nicht lang. Die meiste Zeit habe ich es vermieden in mein Bett zu gehen, stattdessen habe ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und für die Uni gelernt. Allerdings glaube ich, dass davon leider nicht viel hängen geblieben ist. Mama sieht lächelnd zwischen uns hin und her und schüttelt den Kopf. Sie trägt noch immer ihren Bademantel und das Handtuch auf dem Kopf.
„Was habt ihr heute vor?" Will sie wissen und sieht uns an. Ich schaue zu James, der nur unwissend mit den Schultern zuckt. Mamas Kopf bewegt sich in meine Richtung. „Dylans Mutter hat mich zum Essen eingeladen, da werde ich dann wohl sein", ich starre auf mein halbes Brot und kann förmlich spüren, wie sich mir der Magen umdreht. Eigentlich würde ich heute viel lieber in meinem Bett bleiben, oder zumindest hier Zuhause sein. Aber sie haben mich schon vor ein paar Wochen eingeladen und jetzt nicht hinzugehen, wäre unhöflich. "Das ist toll", lächelt Mama und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. "Richte den Millers doch bitte liebe Grüße von uns aus." Ich nicke verstehend und sehe zum Fenster hinaus. Unsere Eltern haben sich von Anfang an verstanden und das war auch toll, bis Dylan sich verändert hat. Jetzt habe ich die Befürchtung, dass meine Eltern enttäuscht wären, wenn ich mich jemals von ihm trennen sollte. Immerhin mögen sie ihn und seine Familie.
Der Vormittag vergeht schneller, als mir eigentlich lieb ist. Entgegen meiner Hoffnung habe ich mir nicht noch ein Bein brechen können, weshalb ich pünktlich um halb Eins unser Haus verlasse um zu Dylans Eltern zu gehen. Es ist kalt, weshalb ich mich für eine lange, schwarze Hose, eine dunkelblaue Bluse und einen schwarzen Blazer entschieden habe. Der dicke Wintermantel gibt mir noch ein bisschen mehr Wärme.
Musik dringt durch die Kopfhörer in meine Ohren und beruhigt mich ein bisschen. Ich mag Dylans Familie, vor allem seine Mutter ist sehr nett. Und vielleicht würde ich auch gerne bei dieser Familie sein, würden nicht die Stunden der letzten Nacht noch an mir kleben. Trotzdem ist es das einzig Richtige hinzugehen. Dylan liebt mich, er ist stolz auf mich und er liebt es, dass auch vor seiner Familie zu zeigen. Und letztendlich wollen wir das doch alle. Jemanden der sich nicht für uns schämt, sondern stolz darauf ist uns zu haben.
Mit kalten Fingern drücke ich die Klingel der Millers und gehe einen Schritt zurück. Es dauert nicht lange, da wird mir die Tür von Dylan persönlich aufgemacht. Er schaut an mir rauf und wieder runter und legt die Stirn in Falten. „Komm rein", murrt er. Ich gehe an ihm vorbei in das warme Haus und sehe mich um. Ivonne hat bereits den ersten Weihnachtsschmuck aufgehängt. Bunte Lichterketten und Girlanden ziehen sich über die Türrahmen und Fenster. „Jules ist da", ruft Dylan über mich hinweg in die Küche seiner Eltern. Ich höre Schritte und es dauert nicht lange, bis Dylans Mutter um die Ecke gelaufen kommt. Sie trägt eine Schürze, an der sie sich die Hände abwischt. Ich kann nicht glauben, wie viel Ähnlichkeit Dylan mit seiner Mutter hat. Allerdings liegt in ihrem Gesicht viel mehr Sanftheit. Ihre moosgrünen Augen strahlen mich an. „Hallo liebes", sie zieht mich in ihre Arme. Ich erwidere die Umarmung und lächle. Ivonne und ich, wir haben uns schon immer gut verstanden.
Hinter ihr kommt Dylans kleine Schwester Sophie auf mich zu gerannt. „July", quiekt sie und fällt mir in die Arme, bevor ich Ivonne wirklich loslassen kann. Lachend hebe ich das kleine Mädchen mit den langen, blonden Haaren hoch. Sie legt ihre kleinen Arme um meinen Hals und drückt ihr Gesicht in meinen Hals. Ihr kleines Lachen lässt mir das Herz aufgehen. „Hey", lache ich. Noch mit der kleinen Sophie auf dem Arm folge ich Dylans Mutter in die Küche wo auch sein Vater sitzt. Dylans Vater sieht ihm in keinster Weise ähnlich. Der kleine, dicke Mann mit der Halbglatze und dem Vollbart hat nichts mit seinem Sohn gemeinsam. „Hey Steve", begrüße ich seinen Vater und lehne mich an die große Wand. Sophie zappelt auf meinem Arm aufgeregt hin und her während sie mit meinen Haaren spielt. „Jules", er nickt mir zu und sieht wieder auf die Zeitschrift in seiner Hand. Mit Steve wurde ich nie wirklich warm. Wir mögen uns zwar, zumindest gehe ich davon aus, allerdings haben wir nie die gleichen Gesprächsthemen. „Spielen wir Memory? Dylan hat mir gestern ein Neues gekauft!" Erzählt sie aufgeregt und legt sich meine Haare als Schnurrbart über den Mund. Mein Blick wandert zu Dylan, dessen Augen auf Sophie liegen. Sie sind so voller Wärme und Liebe, dass es mir das Herz schmerzen lässt. Dylan liebt seine kleine Schwester über alles.
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JULY
General Fiction// Spin off zu GREY! // Ich war eine Marionette, hing an den Fäden in deiner Hand, bis du sie durchgeschnitten hast. Deine Hand, sie war ein Ort, warm und voller Sicherheit bis sie dir ausgerutscht ist. Und trotzdem hing ich an den Fäden, mit alle...