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Die Arbeit heute verläuft angenehmer. Ich arbeite mit Kevin zusammen, weil seine Freundin krank ist. Es wäre gelogen, wenn ich nicht sagen würde, dass ich mich darüber freue. Zwischen Kevin und mir herrscht einfach eine Chemie, die so viel besser funktioniert, als die zwischen Jasmin und mir. Der Arbeitstag vergeht mit Kevin wie im Flug, auch an einem Sonntag wo die meisten Menschen ihre Sofas nicht verlassen. Mit ihm würde ich die Arbeit dem Sofa jederzeit vorziehen. „Kannst du da vorne noch abrechnen?" Kevin nickt zu einem Tisch mit zwei Mädchen die sich angeregt unterhalten. „Wenn die letzten Kunden weg sind können wir Schluss machen", er grinst und dreht das geöffnet Schild auf die andere Seite. Ich nicke einverstanden und nehme mir das Portmonee aus seiner Schürze.

Das Einzige, dass mich unruhig werden lässt, ist die Tatsache, dass Mrs. Meyers heute nicht da war. Auch Kevin hat sie heute früh nicht gesehen, dabei kommt sie jeden Sonntag und bestellt sich ihren Kaffee mit einem Blaubeermuffin. Ich gebe den zwei Mädchen die Rechnung und ihr Rückgeld. Beide stehen auf und ziehen sich ihre Jacken an. Der Tag ist viel zu schnell vorbeigegangen.

Ich nehme die zwei benutzen Tassen und Teller in die Hand und bringe sie in die Küche. Das kleine Café bedeutet mir viel, auch wenn ich und Jasmin nicht unbedingt warm miteinander werden. Dieses Café gehört zu einem der vielen Orte, die mir etwas Ablenkung ermöglichen.

„Wir haben geschlossen", ich schwinge die Tür zur Küche auf und lege meine Schürze ab. „Jules?" Kevin mustert mich. Fragend sehe ich zu ihm. „Hier ist jemand für dich", er deutet auf den Mann, der neben ihm steht. „Evan?" Frage ich verwirrt und komme hinter dem Tresen vor. Der Mann mit den nassen und zerzausten Haaren winkt mir grinsend zu. „Schon okay Kevin, wir kennen uns", erkläre ich ihm woraufhin er nickend verschwindet. „Du siehst ein bisschen unterkühlt aus", stelle ich fest und biete ihm grinsend einen Platz neben der Heizung an. Er nickt zustimmend und setzt sich auf den mintgrünen Stuhl. Sein schwarzer Mantel ist voller weißer Punkte, und da ich nicht davon ausgehe, dass er ein extremes Problem mit schmelzenden Schuppen hat, weiß ich das es wieder schneit. „Magst du einen Kaffee?" Will ich wissen.„Schwarz, mit viel Zucker", bittet er. Ich gehe hinter den Tresen und mache ihm einen Kaffee, während Kevin mir immer wieder einen seltsamen Blick zu wirft. Verwundert ziehe ich eine Augenbraue nach oben und fange an zu schmunzeln.

„Also, was machst du hier?" Ich stelle die dampfende Tasse vor ihm ab. Weiter hinten im Café kassiert Kevin gerade die letzten Kunden ab. Er umklammert die heiße Tasse mit seinen Händen, als wäre sie das einzige, was im gerade Wärme spenden könnte. „Okay", er lacht und sieht auf das graue Marmor des Tresens. „Du hältst mich bestimmt für irre", er seufzt und hebt den Blick. Etwas in seinen Augen glitzert. „Du hast bei unserem letzten Gespräch erwähnt, dass du in einem Café arbeitest, also habe ich ein bisschen recherchiert...", sein Blick weicht zur Seite aus. Abwartend und etwas überrascht hebe ich eine Augenbraue.

„Du hast mich gestalkt?" Will ich grinsend wissen. „Ja, so in etwa. Ich hoffe, du hältst mich jetzt nicht für verrückt." Evan sieht über den Rand seiner Kaffeetasse vorsichtig zu mir rüber. „Doch, das ist schon etwas verrückt", antworte ich ehrlich und wische, so wie man es immer in Filmen sieht, mit einem feuchten Lappen über den Tresen. Ein bisschen Klischee finde ich immer wenn ich hier arbeite. Aber gerade diese Situation hat etwas von einem Film aus den sechzigern, in denen die Bedienung mit einem Kunden flirtet. Nur dass ich nicht mit ihm flirte, das macht man nicht, wenn man in einer Beziehung ist.

Im gelben Licht des Cafés glänzen Evans Haare rötlich. „Aber tun wir nicht alle verrückte Dinge?" Seine Augen mustern mich neugierig. Ich lege den Kopf schief und sehe ihn eindringlich an. Mir ist nicht bewusst, ob er nur scherzt oder auf etwas Bestimmtes hinaus möchte. „Wir Menschen sind dazu ausgelegt verrücktes zu tun, neues auszuprobieren, neue Dinge zu wagen, wenn du mich fragst", antworte ich leise mit einem Blick aus dem Fenster. „Was war das Verrückteste, dass du jemals getan hast?" In Evans hellen Augen lodert ein Feuer aus Neugier und Interesse.„Nichts", gebe ich ehrlich zu. „Ich tue keine verrückten Dinge." Dafür bin ich einfach nicht gemacht, da bin ich mir sicher.

Er schüttelt den Kopf als könnte er nicht glauben, was ich da gerade gesagt habe. „Jeder ist für Abenteuer gemacht", erklärt er mit Nachdruck. „Waren wir gerade nicht noch bei verrückten Sachen?" Frage ich und weise ihn auf den Themenwechsel hin. Das Grinsen in seinem Gesicht wird nur noch größer. „Für mich gibt es da keine Grenze. Abenteuer haben immer etwas Verrücktes und umgekehrt."

Etwas an Evan wird mir immer sympathischer. Zwar ist die Tatsache, dass er mir hinter herspioniert hat, etwas unangenehm aber alles andere an ihm überwiegt auf schräge Art und Weise. Ich weiß nicht, ob es der Ausdruck in seiner Stimme ist oder mit wie viel Begeisterung er über dieses Thema redet. Auf jeden Fall würde ich ihm gerade am liebsten den ganzen Tag zu hören. „Stimmt", gebe ich nickend zurück. „Es ist schade, dass ihr schon schließt", murmelt Evan, trinkt von seinem Kaffee und sieht sich im Lokal um. Ich zucke mit den Schultern und schürze die Lippen. „Du bist eben spät dran", scherze ich. Er quittiert das ebenfalls mit einem Grinsen und sieht mich an. Er lässt mich auch nicht aus den Augen als er die Tasse erneut anhebt und nach dem Trinken wieder auf den Tisch stellt.

Die kleine Klingel, die immer ertönt, wenn jemand die Tür öffnet, gibt auch jetzt Töne von sich. Überrascht sehe ich von Evan weg zur Tür wo Dylan steht. Er mustert mich einen Moment, dann wechselt sein Blick zu Kevin der mit einem Taschenrechner und Ordner an einem der Tische sitzt. Die Kälte von draußen dringt zu uns rein. „Ist das dein Ernst?" Faucht er. Die Wut tanzt wie Feuer in seinen Augen. „Ich unterhalte mich nur mit einem Kunden", erkläre ich und deute auf den Blonden, der einen Blick auf meinen Freund wirft. Dylans Gesichtsausdruck sagt mir aber, dass er das nicht glaubt. „Du solltest schon lange Zuhause sein, Jules", seine Worte sind nur ein Knurren. Mit schnellen Schritten überquert er die wenigen Meter durch das Lokal bis zum Tresen. Seine Finger klammern sich wütend an das kalte Marmor. „Stattdessen flirtest du mit irgendwelchen Typen", spuck er. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Ich flirte nicht, Dylan. Wir haben uns bloß unter.." „Ich will deine Ausreden nicht hören, du kommst jetzt mit." Er greift nach meinem Arm und zieht mich nach draußen. Perplex folge ich dem, was er sagt und greife nach meiner Jacke, die an einem der Haken hängt.

Sowohl Evan als auch Kevin werfen mir besorgter Blicke zu. Ich schüttle entschuldigend den Kopf.

„Du bist absolut nutzlos", brummt Dylan, während ich meine Jacke anziehe. Ich werfe einen Blick zu Evan, der mich stirnrunzelnd mustert, aber kein Wort sagt. Das muss er auch nicht, dass hier ist mein Problem. Außerdem ist es besser für ihn. Ich würde nicht wollen, dass Dylan sich mit ihm anlegt. „Wir sehen uns nächste Woche", murmle ich Kevin zu. Er nickt und sieht mich mitleidig an, während mein Freund mich wütend aus dem Café zieht. Seine Hand umklammert fest meinen Unterarm. „Du bist eine absolute Schande", ruft er aus und bleibt vor seinem Wagen stehen. Mein Herz klopft wild in meiner Brust. Aus Angst. Ich wünschte, es wäre nicht so.

„Ich habe nichts gemacht Dylan!" Es war nie meine Absicht zu flirten oder das es so aussieht. Mir war ja nicht ein mal bewusst, dass er vorbeikommen würde. Und selbst wenn ich geflirtet hätte, wäre das nichts gewesen, im Gegensatz zu den Dingen die er tut. Immer und immer wieder, ohne dabei an mich zu denken. „Du kommst zu meiner Arbeit, führst dich auf wie ein Arsch und noch dazu betitelst du mich indirekt als Schlampe. Dabei bist du es, der sich jede Woche mit einer anderen Schlampe vergnügt, also halt dein Maul!" Platzt es aus mir raus. Tränen sammeln sich in meinen Augen und bahnen sich ihren Weg auf meine Wangen. Er hat nicht das Recht mir die Schuld zu geben.

Bevor ich überhaupt realisiere, was ich getan habe, bekomme ich schon die Quittung dafür. Die Stelle, die Dylans Hand gerade noch getroffen hat, brennt. Er schaut sich um, hofft das es niemand gesehen hat. Fassungslos fahre ich mit meinen Fingern die Stelle nach, die so schrecklich schmerzt. „Komm." Er öffnet die Autotür und schubst mich in den Wagen. Ich sage nichts, wüsste nicht mal was ich noch sagen sollte. Zu oft hat er das schon getan. Wie in Watte gepackt sehe ich aus der Windschutzscheibe. Das Dylan einsteigt und den Motor startet bekomme ich nur am Rande mit. Es riecht nach Gras und Bier. Lautlose Tränen laufen mir die Wange runter, während die trockene Luft aus der Klimaanlage eilig versucht sie trocken zu pusten. „Du hast das verdient, Jules und das weißt du. Niemand redet so mit mir, auch nicht du." Er klingt gefasst, ernst. Und er hat recht, ich hätte das nicht sagen sollen.

Dann hätte ich mir das hier ersparen können.

JULYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt