Unlike Pluto
Cruel
Tja Eren... Ich habe schon vieles erzählt und noch immer ist nichts zwischen uns passiert. Wie denn auch, wenn ich damals wochenlang nur zu Hause rumlag und du nicht einmal die Person warst, die mich wöchentlich besuchen kommen sollte? An manchen Tagen begleiteten mich schlimme Schmerzen, die mich keinen Muskel rühren lassen wollten, hohes Fieber oder Dinge wie Kopfschmerzen und Übelkeit durch den Alltag, andere Tage waren von einer unbeschreiblichen Leere, Einsamkeit und psychischer Verzweiflung geprägt.
Damals dachte ich an keinem Tag an dich. Du warst ein Mensch wie jeder andere. Unvorstellbar, denn heute vergeht keine Sekunde, in der ich nicht an dich denke.
Das nächste Mal hatten wir uns gesehen, als ich für die Abnahme meines Rückenmarks ins Krankenhaus kommen sollte und als wären diese ständigen niederschmetternden Gedanken nicht genug gewesen, setzte mir die Fahrt ins Krankenhaus ebenfalls zu. Mit nüchternem Magen fuhr ich mit diesen verdreckten Bahnen (das durfte ich mittlerweile wieder riskieren) und wurde von jedem dumm angesehen. Kannst du dir vorstellen wie mies man sich fühlt, wenn man plötzlich die Hauptattraktion war, nur weil man einen Mundschutz trug und keine Haare auf dem Kopf hatte? Hätte ich wenigstens Augenbrauen oder Wimpern gehabt, aber nein, selbst das musste mir die Chemotherapie nehmen. Wobei. Nach diesen zwei Monaten hatte der Wachstumsprozess sogar schon begonnen, sodass man anhand der kurzen Stoppeln wenigstens erkennen konnte, dass meine Haare schwarz waren. Der Weg bis ins Krankenhaus kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Bei jedem weiteren Blick wollte ich mich mehr antisozialisieren und wünschte mir diese Welt für immer zu verlassen.
Das schlimme daran damals als Leukämieerkrankter von manchen Leuten als behindert bezeichnet zu werden, war der Fakt, dass ich zu diesem Zeitpunkt etwas besaß, was mehr oder weniger einem Behindertenschein glich und ich somit nicht einmal den Mut hatte mich gegen diese Aussage zu rechtfertigen. Meine ganzen Vermutungen hatten sich bestätigt. Die meisten Menschen machten einen Bogen um mich, als würden sie es vermeiden wollen sich an mir anzustecken. Andere wiederum rempelten mich respektlos an und ließen mir immer bewusster werden, was für ein wertloses Stück Dreck ich doch war.
Diese ganzen Erfahrungen hatten starke Auswirkungen auf meinen Charakter. Der wenige Stolz, den ich zu diesem Zeitpunkt noch besaß, hatte sich endgültig aus meinem Leben verabschiedet, sodass ich mich immer mehr in mir selbst zurückzog und als eine leere Hülle umherstreifte, wie ein misslungenes Experiment, das nun gezwungen wurde, seine Wege zu gehen. Ich war viel zurückhaltender und unsicherer geworden. Verletzen konnte man mich auch viel einfacher. Ich war schwach geworden, aber an welchem Punkt meines Lebens war ich das nicht?
Zusammengefasst waren die ersten Wochen, die ich wieder zu Hause verbracht hatte die Hölle gewesen. Jeder Tag glich dem anderen, war bis zum Ende strukturiert. Übermüdet aufwachen, Fieber messen, Medikamente schlucken. Trinkverhalten notieren, Medikamente schlucken, mich zum Essen zwingen, Medikamente schlucken, wieder Fieber Messen, Medikamente schlucken, Schlafprobleme, Medikamente schlucken. Es war als wäre ich in einer Zeitschleife gefangen und das Schlimme daran war, dass ich genau wusste, dass sich so schnell auch nichts daran ändern werden würde. Ich wusste, dass ich niemanden hatte und diese Einsamkeit brannte sich in mich. Auch dieses Nichtstun machte mich verrückt, doch angesichts der Tatsache, dass ich zu eingeschränkt für alles war, blieb mir nichts anderes übrig, als sinnlos Löcher in die Luft zu starren und darauf zu warten, dass es Zeit für die wöchentliche Kontrolle war.
Am schnellsten hatte ich mich daran gewöhnt nicht mehr darauf achten zu müssen mich in den ganzen Kabeln der Infusion zu verwickeln. Als ich bei mancher meiner gewohnten Bewegungen jedoch ins Leere griff, wurde mir immer wieder bewusst, wie sehr das Krankenhausleben doch zu meinem Alltag geworden war. Die Tatsache, dass ich nicht mehr vierundzwanzig Stunden am Tag unter Kontrolle stand, war für mich auch eine Last weniger gewesen, denn ich musste keine Panik mehr davor haben, dass gleich eine Krankenschwester mit der nächsten Chemospritze oder anderen Foltermethoden (wie ich sie immer nannte) in mein Zimmer platzte. Allerdings kam es genau wegen diesen Foltermethoden oft dazu, dass ich schweißgebadet aus meinem Schlaf schreckte, weil ich meinte spüren zu können, wie die Chemo meinem Körper mal wieder Schaden zusetzte. Die Leute von der wöchentlichen Kontrolle, die sich im übrigen HOPPS nannten, meinten jedes Mal dasselbe zu mir. Ich solle mich bemühen, mehr zu essen, was ich im Endeffekt nie getan hatte. Mehr war nie passiert, weswegen ich mich auch nicht wirklich dazu verpflichtet fühlte mich um dieses Problem zu kümmern. Die Appetitlosigkeit machte mir zu schaffen, doch selbst wenn sich mein Magen manchmal so anfühlte, als hätte er begonnen sich aus Verzweiflung selbst zu verdauen, wollte ich nicht mehr, als ein Stück Brot essen. Zu sehr war mein Magen von diesem Gefühl der Leere befüllt. Gegensätzlicher hätte es kaum sein können.

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Blutmond || Ereri FF
FanfictionIsoliert von den grauen Wänden des Krankenhauses. Mein größter Kampf sollte es sein den Krebs zu besiegen und zu leben, doch es war das Leben selbst, dass mir den größten Schmerz bereitete. Nach etwa einem Jahr wurde ich nun endlich entlassen. Ich h...