Unlike Pluto
Fade All My LifeIch war entlassen. Worte, dessen Bedeutung ich nicht realisieren konnte, egal wie oft ich sie in meinem Kopf erklingen ließ. Ein Schritt nach dem anderen brachte mich durch die Gänge, in welchem ich mich zuletzt an dem Tag meiner Diagnose befunden hatte. Während ich meine verschwommenen Erinnerungen mit der Realität verglich, konnte ich meine qualvollen Schreie verzerrt von den Wänden schallen hören. Das damalige Ereignis schien sich erneut vor meinen Augen abzuspielen, sodass ich meinte einen Notarzt mit meinem früheren Ich in seinen Armen an mir vorbeirennen zu sehen. Die Schmerzen, die sich wie Messerstiche in mein Herz bohrten, nahmen mir den letzten Bezug zur Realität. Anfangs nutzte ich meine letzte Kraft, um zu schreien, doch nach und nach hatte ich das Gefühl, als würden mich diese Schmerzen ersticken wollen und als würde man mich dazu drängen wollen, mich mit meinen eigenen Schreien umzubringen.
Das war nun Vergangenheit. In gewisser Hinsicht schien sich meine Situation allerdings nicht verändert zu haben. In meinem Kopf befand sich ein Durcheinander aus Unentschlossenheit, gefolgt von einer nimmer endenden Leere. Eigentlich sollte ich glücklich über meine Entlassung sein, jedoch fühlte ich nichts weiter als einen kleinen Funken Traurigkeit. Es kam mir vor, als hätte ich mich verloren. Irgendwo zwischen diesen Gängen war ich zurückgelassen worden, jedoch hatte nie jemand darum gesorgt mich wiederzufinden.
Seufzend ließ ich mich auf eine Bank nieder. Unwichtig und im Stich gelassen. Das traf mein Leben doch ziemlich gut. Niemand wollte wissen, wann ich Entlassen werde, niemand hatte mich besucht. Ich war allein. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt, dass mir jeder den Rücken zukehrte. Es würde früher oder später daraus hinauslaufen, dass ich einsam und vergessen sterben würde. Schade eigentlich, dass die Chance mit dem Krebs gescheitert war.
Irgendwie schämte ich mich dafür einsam zu sein.
„Warten Sie noch auf jemanden?" Erschrocken blickte ich an der Person hinauf, welche mich aus meinen Gedanken gerissen hatte. Es handelte sich um diesen Herr Jäger. Verunsichert drückte ich meine Arme enger an meinen Körper. „Ja. Ich warte noch auf jemanden. Ich wollte mich aber gerade auf den Weg machen." Vorsichtig stellte ich mich auf meine wackeligen Beine und bepackte mich mit meinen Sachen, um dem Ganzen mehr Glaubwürdigkeit zu verpassen.
„Warte, ich kann Ihnen helfen."
„Ach was. Das ist schon in Ordnung.", machtlos sah ich ihm dabei zu, wie er seine Hand um den Griff meines kleinen Koffers legte. „Das ist wirklich kein Problem. Immerhin wurden Sie heute erst entlassen." Mit einem freudigen Lächeln stellte er sich vor mich und sah mich nahezu erwartungsvoll an. Ich brauchte keine Hilfe, doch mein Körper sah das anders. Seufzend gab ich nach: „Okay, meinetwegen." Daraufhin nahm er mir zusätzlich meine Tasche ab und bewegte sich Richtung Ausgang, während ich mich immer noch vertieft in meinen Gedanken befand. Mein Blick auf den Koffer gerichtet.
„Wo wartet man denn auf Sie?", er drehte sich zu mir, musst mich allerdings kurz suchen, da ich ein paar Meter weiter hinten war.
„Einfach vor dem Eingang", behauptete ich und machte mir ernsthafte Gedanken darüber, wie ich nach Hause kommen sollte. Er wartete bis ich mich neben ihm befand und lief dann langsam neben mir her.
„Sie...", setzte er zaghaft an „Sie haben also an Leukämie gelitten?"
„Ja.", bestätigte ich stumpf, während sich in meinem Kopf unzählige Bilder der Chemotherapie abspielten. Nie würden sie aus meinen Erinnerungen verschwinden.
„Umso mehr freue ich mich, dass ich Sie bei Ihrer Entlassung begleiten kann."
Umso schneller hätte es vorüber sein können, hätte ich aufgehört zu kämpfen...
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne, Mit jedem Schritt näherte ich mich meiner vermeintlichen Freiheit. Was würde schon auf mich warten, außer die verlogene und respektlose Welt? Ich hatte es so satt eingesperrt zu sein, doch gleichzeitig wusste ich nichts mit meiner Freiheit anzufangen. Ein einzelner kühler Windhauch, schmiegte sich um mich und wehte all meine schlechten Gedanken mit sich hinfort. Mein Blick wurde sanfter, als ich die Bäume und Gräser sah, die mit dem Wind durch das gräuliche Abendlicht tanzten. Der Duft nach Regen und nasser Erde, sowie die kleinen Wasserperlen, welche die zarten Blütenblätter verbog. Niemals hätte ich zugegeben wie besonders dieser Moment für mich war. Ich stand da wie ein kleines Kind, welches zum ersten Mal in seinem Leben Schnee sah. Ich blickte in den Himmel, an welchem ein noch blasser Mond die Sonne von ihrer Schicht ablöste. Der kalte Wind strich über meinen haarlosen Kopf weswegen ich mich wärmend in meine Jacke vergrub. Ich sah mir die wenigen Sterne an, die nach und nach aufblitzten und fragte mich, ob ich zu einem dieser Sterne geworden wäre, wäre es damals zu spät für mich gewesen. So wie der Regentropfen eine Last für die zarte Blüte gewesen war, so war nun auch in mir eine Last, welche mir die Tränen in die Augen treiben wollte. Doch statt die Last von mir zu weinen, schluckte ich sie hinunter und verdrängte sie in die ungewisse Leere, welche in mir schlummerte. So lange bis meine Augen wieder so emotionslos wie eh und je waren und ein großer Stein in meinem Brustkorb zurückblieb. „Alles in Ordnung?" Ich drehte meinen Kopf zur Seite und realisierte, dass mich dieser Junge die gesamte Zeit lang angesehen hatte. „Ich denke ich bleibe noch bei dir, bis du abgeholt wirst." - „Nein.", rief ich. Mit großen Augen sah er mich an „Nein...", seufzte ich und erkannte, dass meine Lüge wohl nicht die beste Idee war „Wenn du mit mir warten möchtest bis ich abgeholt werde, kannst du lange warten."
„Schon okay, ich habe gerade Pause."
Ich schüttelte den Kopf: „Nein, du verstehst es nicht, ich werde nicht abgeholt." Es wurde leise zwischen uns und ich dachte mir schon einen Weg aus, um ihn nie wiedersehen zu müssen. Voller Selbstscham konzentrierte ich mich auf die glitzernden Regentropfen, die beim Aufprall kleine Wellen in den Pfützen hinterließen. Währenddessen tadelte ich meine soziale Unfähigkeit. Das hatte ich mal wieder hervorragend hinbekommen. Ich vergrub meine Hände in den Jackentaschen.
„Ich möchte zwar nicht aufdringlich sein.", begann der Junge etwas unbeholfen und brach damit endlich diese unangenehme Stille zwischen uns „Aber ich bin auch mit dem Auto hier, es würde mir keine Umstände bereiten dich zu fahren."
Nachdenklich sah ich ihn an. Warf in Gedanken eine Münze dafür, ob er das ernst meinte, oder nicht. Ich zog in Erwägung ein Taxi zu rufen, doch schon der Gedanke daran zu einer Fremden Person zu sagen, wohin ich gebracht werden möchte, schreckte mich davon ab. Vielleicht sollte ich doch nochmal meine Kontakte durchgehen. „Wenn du am Lenkrad genauso zitterst wie im Behandlungszimmer heute, kann ich gerne darauf verzichten." Ich wusste nicht, ob ich das sagte, weil ich es wollte, oder ob ich aus Prinzip heraus handelte. „Also so sehr gezittert, wie du es gerade tust, habe ich bestimmt nicht.", meinte er mit einem unerwartet scharfen Unterton und kam einen Schritt näher. „Hier.", sagte er wieder etwas sanfter, nahm seinen roten Schal von sich, stellte sich noch ein Stück näher zu mir und wickelte ihn mir dann so vorsichtig um den Hals, also könnte ich bei einer falschen Berührung zerbrechen. Verwirrt sah ich ihn an. Er lächelte leicht und trat wieder einen Schritt zurück „Ist dir jetzt wärmer?" Ich brauchte einen Moment, um mir das Geschehene bewusst zu machen. Das war gar nicht so einfach, denn ich war voll mit Fragen. Insbesondere wann er angefangen hatte mich zu duzen. „Ist ganz okay.", bescheiden zupfte ich selbst noch ein wenig an dem Schal herum und brachte meine verrutschte Maske wieder an die richtige Stelle. Er grinste: „Immerhin hast du aufgehört zu zittern... Du Eisklotz." Ich zischte nur und sah in die Ferne, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen. Ich ließ ließ die Umgebung auf mich wirken und atmete die frische Luft tief ein, ehe mein Blick einem Raben folgte, der in die Lüfte stieg.
Ist das Freiheit?
Ich schob diesen Gedanken beiseite, denn ich hatte es endlich geschafft mich aus den Mauern zu kämpfen, die mir den Weg zur Außenwelt versperrten und für mich war dies sehr wohl ein Schritt in Richtung Freiheit.
°°°°
Das dachte ich zumindest, denn die eigentlichen Mauern, die mich die gesamte Zeit gefangen gehalten hatten, waren nicht die des Krankenhauses gewesen, sondern die, die ich um mich selbst erbaut hatte. Sozusagen war dies also kein Schritt in Richtung Freiheit, sondern nur ein weiterer Schritt in Richtung Gefangenschaft gewesen.

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Blutmond || Ereri FF
FanfictionIsoliert von den grauen Wänden des Krankenhauses. Mein größter Kampf sollte es sein den Krebs zu besiegen und zu leben, doch es war das Leben selbst, dass mir den größten Schmerz bereitete. Nach etwa einem Jahr wurde ich nun endlich entlassen. Ich h...