Kapitel 8.1

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I'm No Fool - PRXJEK


Der Furcht schutzlos ausgeliefert krallte ich mich hastig in das Bettlaken und riss die Augen auf. Die Angst vor dem Fall ließ mich zusammenzucken, doch sobald meine Augen das Licht der Realität erblickten, verblassten die Bilder des Traums aus meiner Erinnerung. Sekunden vergingen, bis sich meine Atmung wieder beruhigte und ich realisierte, dass ich mich in meinem Zimmer befand, welches leicht durch die aufgehende Sonne erhellt wurde, die sich durch die Ritzen der Jalousie quetschte. Aufgewühlt rieb ich mir den Schlaf aus den Augen, ehe mich die Müdigkeit erneut überkam und mich meinen Kopf erschöpft zurück in das Kissen fallen ließ, versuchend die unscharfen Bilder wieder klarer erscheinen zu lassen, doch je stärker ich mich versuchte daran zu erinnern, desto mehr verblassten sie.

Dunkelheit, begleitet von niederschmetternder Einsamkeit und das Gefühl der Angst, welche meine Lunge zuzuschnüren schien, waren die einzigen Dinge, welche mir bewahrt blieben. Ziellos suchte ich nach Ablenkung, welche ich letztendlich in der leise vor sich hin spielenden Musik fand. Doch leise hatte Musik nicht denselben verdrängenden Effekt, wie als würde man sich das Trommelfell bei voller Lautstärke zudröhnen, also machte ich lauter. So laut bis der letzte Gedanke zum Schweigen gebracht wurde.

Es war kurz vor halb acht. Keine tolle Uhrzeit, wenn man gerade einmal vier Stunden Schlaf abbekommen hatte.

Ich drückte mein Gesicht ins Kissen, um der aufkommenden Helligkeit aus dem Weg zu gehen. Irgendwann schaffte ich es dann tatsächlich in eine Art Halbschlaf zu gleiten. Es waren kostbare Minuten, die viel zu schnell wieder ihr Ende fanden, denn eine rücksichtslos zugezogene Türe weckte mich. Leicht erschrocken schlug ich die Augen auf und lauschte den Schritten im Flur. Ich verstand, dass Hanji sich für die Arbeit fertig machen musste, aber die Art und Weise wagte ich zu bezweifeln.

Ich war mir zu diesem Zeitpunkt nicht einmal sicher, ob ich nicht einfach nur empfindlich war.


„Levi? Warum bist du denn schon so früh wach?", holte mich Hanji aus meinen noch schläfrigen Gedanken und stellte dabei ihre morgendliche Tasse Kaffee auf den Tisch, während ich gähnend zum Schrank lief und mir ein Glas herausnahm. Meine Augenringe konnte man bestimmt schon von weitem sehen.

Eine unbehagliche Leere ließ meine Worte in meiner Kehle verstummen. Meine gesamte Kraft und Motivation nahm sie mir. „Medikamente.", überwand ich mich schließlich zu sagen. Hauptsache ich hatte eine Begründung, bei der ich nicht mit noch mehr Fragen konfrontiert wurde. Zum einen hätte sie mir sowieso nicht zugehört und zum anderen erinnerte ich mich immer noch an die Szene von gestern. Wenn sie allen Ernstes noch Kontakt zu Erwin hatte und die beiden mir das verschwiegen, dann sollte sie doch wieder ausziehen, wenn ich ihr auf die Nerven ging. Ich konnte ihr nicht glauben, dass der gestrige Anruf nur ein Arbeitskollege gewesen sein soll. Das war die mit Abstand unglaubwürdigste Notlüge überhaupt. Was mich daran noch mehr verletzte als der eventuelle Kontakt zwischen den beiden, war die Tatsache, dass man es bevorzugte mich überhaupt anzulügen. Eine Freundschaft soll das also mal gewesen sein? Nicht einmal die Silhouette davon konnte einer Freundschaft gleichen. Es war nur ein weiterer Beweis dafür, dass nichts für die Ewigkeit hielt.

Ich hatte es so satt.

Hanji nickte und wendete sich wieder ihrem Kaffee zu. Langsam ließ sie den Löffel in der Flüssigkeit kreisen und betrachtete dabei die entstehenden Wellen. Derweil schluckte ich die lästigen Tabletten. Es war ein normaler ungesprächiger Morgen. So wie er immer war. Weder sie noch ich sahen danach aus, als würden wir irgendeine Story aus unserem Leben erzählen wollen. Wobei mich die Erwin-Geschichte zugegebenermaßen doch sehr beschäftigte, allerdings war Unwissenheit auch eine Art Schutz vor tiefen Schmerzen und ehrlich gesagt schien die Wahrheit für mich so offensichtlich zu sein, dass ich mir vorgenommen hatte mich mit Voranschreiten der Zeit lieber auf den Moment der Offenbarung vorbereiten sollte.

„Was ist eigentlich mit diesem roten Schal passiert?", brach sie die gewohnte Stille.

Lustlos und doch ein wenig neugierig sah sie mich an. Ich zuckte bloß mit den Schultern. Meine Stimme hing immer noch in meiner Kehle fest. Eine Kraft, entstanden aus Leid, Einsamkeit und Kummer, schien mich nach unten ziehen zu wollen. Sie schnürten meinen Brustkorb zu und ließen mich schwer und träge fühlen.

Fraglich woher Hanji auf einmal mit solch unwichtigen Dingen um die Ecke kam. „Was ist damit passiert?", wiederholte sie, was mich die Augen verdrehen ließ. Brauchte sie doch nicht zu interessieren. „Was soll damit passiert sein?", brummte ich mit etwas gehobenerer Stimme. Mürrisch lehnte ich mich an die Küchentheke. Meine Arme verschränkt, um mein Desinteresse auszudrücken.

„Bist du immer noch so mürrisch?", bemerkte sie unschön und wies dabei auf meine Laune seit der gestrigen Konversation zurück „Er hängt halt nicht mehr an seinem Platz."

„Na und?", schnauzte ich und war selbst überrascht woher diese Kraft gekommen war. Mit gerümpften Augenbrauen sah ich Hanji an. Sie legte doch auch nichts an seinen Platz zurück. Immer noch musste ich hinter ihr herräumen. „Jetzt hängt er eben nicht mehr dort."

Mit einem unangenehmen Quietschen wurde der Stuhl nach hinten geschoben: „Warum wirst du denn jetzt so laut ich habe doch nur was gefragt." Auch sie wurde nun etwas lauter. Mein bisheriges inneres Leeregefühl wurde von Stresswellen befüllt, welche sich mit jeder weiteren Sekunde ihres Anblicks und jedem weiteren Ton ihrer Stimme stoßweise in mir ausbreiteten.

„Wenn du so einfach Fragen beantworten könntest, wie du sie stellen kannst.", meine Gereiztheit schlug auf meinen Magen. Meine Brust schnürte sich zusammen und ich schaffte es nicht mehr nachzudenken, bevor ich Dinge aussprach.

„Ich wüsste nicht was ich dir noch zu beantworten hätte.", erklärte sie nach einer kurzen Pause.

Die Art wie sie die Unschuldige spielte, machte mich so hibbelig, dass ich meine Unwissenheit zum Thema Erwin nicht mehr ertragen konnte. Mein Gefühl sagte mir eindeutig, dass da etwas nicht stimmte und ich war davon überzeugt, dass ihre Art darüber zu reden mich nur dabei bestätigte. Zudem traf der Gedanke daran belogen und hintergangen zu werden einen so sensiblen Nerv in mir, dass ich nicht anders konnte, als aus der Haut zu fahren.

„Ich bin mir sicher, du weißt sehr gut, dass du mir eine Erklärung schuldig bist." Mit rauer Stimme öffnete ich meine bisher verschränkten Arme und stützte mich an die Theke hinter mich.

Hanji saß nur noch halb im Stuhl. Ihre Hände hielten sich am Tisch und der Stuhllehne fest, sodass sie bei jedem falschen Wort sofort auf- und mir an den Kragen springen könnte. Wir wussten beide, dass sich etwas zwischen uns verändert hatte und ich glaubte stark daran, dass sie auch den genauen Grund kannte. Erwartungsvoll sah ich sie an.

„Ich muss dir gar nichts sagen, du Säugling."

Verwundert sah ich sie an „Wa-"

„Sei leise.", rief sie und schnürte mir dabei das Wort ab „Ich fahr jetzt los." Ohne weiteres stand sie auf und lief in Richtung des Flures. Als wäre dieses Gespräch automatisch beendet.

„Natürlich, verpiss dich einfach.", schnauzte ich und lief ihr noch einige Schritte hinterher, als ich sie Jacke und Schuhe anziehen hörte. Das klingen des Schlüssels ertönte, die Tür streifte über den Teppich und wurde mit einem lauten Knall ins Schloss befördert. Schließlich wurde ich in  der Stille zurückgelassen. Wie eine dunkle Wolke schien sie mich zu umschlingen und ließ mich meiner intensiven wütenden Gefühle bewusst werden. Sofort musste ich an das Dexamethason denken. In Gedanken lief ich an die Theke zurück, wo ich die Tabletten wieder sah. Ironischerweise brachte mich dieser Anblick etwas zur Ruhe, sodass ich mich mit einem tiefen Atemzug darüber stützen ließ. Etwas Frustriert sah ich sie an, starrte jedoch mehr und mehr ins Nichts.

„Ich will diese Tabletten nicht mehr nehmen", dachte ich mir und spielte noch an diesem Tag immer wieder mit dem Gedanken sie einfach in das Nachtschränkchen zu werfen und zu vergessen.


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Blutmond || Ereri FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt