Mitternacht

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Jonathan

Es war nahezu beängstigend still. Ich wusste, in nur wenigen Stunden würde da Kampfeslärm sein. Das Knallen von Zaubern, Rufe. Schreie. Plötzlich sah ich das Massaker im Ministerium vor meinem inneren Auge Gestalt annehmen, das den Anfang von Voldemorts Herrschaft über die Zauberwelt markiert hatte: Leichen auf dem Boden, schwarz schimmerndes Blut, weiße Gesichter, offene leblose Augen- Und das hier ... das waren Kinder. Ihre Körper wären kleiner. Zierlicher. Immer noch die Schuluniformen tragend, die Farben der Häuser zum ersten Mal ohne Bedeutung. Wer würde schon prüfen, ob der Tote ein Gryffindor oder ein Slytherin war? Wen würde es kümmern, wenn man doch den Toten gedenken müsste, all jener, die ihr Leben verloren hatten?

Würde man um mich trauern?

Ich schluckte schwer, mein Hals plötzlich unnatürlich trocken. Wie konnte irgendjemand den heutigen Tag als Sieg bezeichnen, im Angesicht der Toten, die dieser gekostet hatte? Wie konnte Hogwarts für irgendjemanden ein Zuhause bleiben, nach all dem, was hier bald geschehen würde? Die Mauern, welche eigentlich schützen, einen Ort der Zuflucht und der Sicherheit darstellen sollten, zum Todesgrund wurden?

Die Fesseln gruben sich unangenehm in meine Haut, als ich versuchte, die Schnüre zu lockern und Ginny blickte mich misstrauisch an. Aber die Fesseln waren magischer Natur und so konnte ich nur mit den Handgelenken aneinanderreiben, ohne dass etwas passierte. Schließlich stieß ich einen schweren Seufzer aus und lehnte den Kopf für einen Moment gegen die Wand hinter mir. Sah empor zu der rothaarigen Weasley. „Lass mich gehen."

Ginny zuckte merklich zusammen und umfasste den Zauberstab fester. Ihr Gesicht war bleich, doch ihre Augen blitzten entschlossen. „Darauf kannst du lange warten."

„Meintest du nicht, dass jeder einzelne Kämpfer gebraucht werden würde?"

„Ja, aber du würdest gegen uns kämpfen!"

Ich wusste ehrlich nicht, ob dem so sein würde. Die verschiedenen Seiten schienen ineinander zu verschwimmen, die Fronten unscharf zu werden. Denn letztendlich kann ich nur verlieren. Ich hatte bereits Hermine verloren. Was würde ich noch verlieren? Meine Freiheit? Gab es überhaupt einen Unterschied zwischen einer Kerkerzelle und einem Leben unter Voldemort Herrschaft? Wenn Voldemort siegen würde, würde ich für immer ein Todesser bleiben. Mein Name würde nie wieder Jaime, sondern immer nur Jonathan lauten, eine abgestumpfte Person an meiner Stelle sein. Und wenn Potter nicht starb ... Egal, wer den Sieg davontragen würde, ich war für immer in eine bestimmte Rolle gedrängt. Es war naiv von mir gewesen. Naiv zu glauben, dass alles gut werden würde, irgendwie.

Wofür kämpfe ich überhaupt noch?

„Ich habe kein Interesse an noch mehr Toten, Weasley. Wenn du mich frei lässt, werde ich versuchen, die Schüler so gut wie möglich zu schützen. Das hier ist nicht ihr Kampf."

„Es ist ihr Kampf, Riddle! Sie kämpfen für ihr Zuhause, für ihre Zukunft!"

Ich schüttelte den Kopf. „Ihre Zukunft wird bedeutungslos sein, wenn sie tot sind. Dann wird es egal sein, ob Voldemort lebt oder stirbt, denn sie werden es nicht miterleben."

Allana

Ich starrte auf die tickende Uhr im Wohnzimmer des Manors. Es hatte etwas Bedrohliches an sich, etwas ungeheuer Grausames, dieses starre Ticken. Wenn die Uhr zwölf schlägt, wird es zum Kampf kommen. Ich fragte mich, wie viele der Schüler in Hogwarts nun ebenso gebannt auf die große Glockenuhr blickten, sich an den Händen haltend, einander in den Armen liegend. Ihr Leben mit jedem Ticken der Uhr an sich vorbeiziehen sahen. Bangend warteten, bis es soweit war. Wer von ihnen mochte an einen Sieg glauben? Wer war sich der scheinbaren Ausweglosigkeit bewusst?

Sein Vermächtnis (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt