Tun, was getan werden muss

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Allana

Seltsam im Nebel zu wandern.
Welten verschwammen ineinander und schufen neue Gefilde. Geräusche schwollen zu einem dunklen Flüstern ab, wurden verschluckt wie von einer Decke.
Gegenstände waren verschwommene Schemen, nicht mehr greifbar. Wie Geister.
Und ich jagte einen Geist.
,,Jaime!" Mein Schrei wurde erstickt von dieser Nebelwand um mich herum. Ich drehte mich um die eigene Achse, versuchte irgendwie die Kontur meines Bruders auszumachen, aber da war nur Rauch.
Jeder ist allein.
Es war so unwirklich ohne die vertraute Präsenz von Jaime an meiner Seite. Als würde da etwas fehlen.
,,Jaime?", flüsterte ich.
,,Allana."
Die Stimme schien von überall zugleich zu kommen, von nah und doch so fern. Wie ein Echo.
,,Allana", flüsterte der Nebel, ,,Allana, Allana, Allana."
Eine Gestalt trat aus der Düsternis. Jaimes Gesichtszüge waren hart und kantig. Schatten huschten darüber. Langsam kam er näher.
,,Allana", zischte er und seine roten Augen blitzten. Er hob einen weißen Zauberstab.
Ich stolperte zurück. ,,Jaime, nicht- Stop-"
,,Avada Kedavra!"
Ich presste die Augen zusammen. Erwartete, dass der grüne Lichtblitz mich traf. Doch nichts dergleichen geschah.
Als ich meine Augen vorsichtig wieder öffnete, überrollte mich eine Welle des Schocks. Ich schnappte panisch nach Luft.
Jaime lag reglos auf dem Untergrund, sein Gesicht unnatürlich bleich, die grauen Augen blicklos und leer.
Ich fiel auf die Knie. ,,Jaime?"
Eine kalte Klaue schien sich um mein Herz zu schließen. Ich schüttelte meinen Bruder verzweifelt. ,,Jaime? Jaime!"
Doch da war kein Lebenszeichen.
Meine Sicht verschwamm und ich blinzelte gegen die Tränen in meinen Augen an. Kurz darauf spürte ich die nassen Tropfen über meine Wangen rinnen.
Ich begann an seiner Kleidung zu zerren, die bereits feucht von meinen Tränen war. ,,JAIME!"
Magie sammelte sich in mir. Viel zu schnell. Viel zu viel.
Ich biss die Zähne zusammen, während mein Körper von unkontrollierten Krämpfen geschüttelt wurde. Von unkontrollierter Magie.
Meine Zähne stießen schmerzhaft aufeinander.
Dann wurde alles weiß.

Ich strampelte panisch die Decke weg von meinem schwitzigen Körper. Sie klebte an mir und nahm mir jeglichen Bewegungsfreiraum. Wie eine Zwangsjacke.
Mein Atem ging stoßweise, als ich desorientiert zum Waschbecken stolperte und den silbernen Hahn aufdrehte. Sofort floss kühles Wasser über meine Handflächen und ich formte meine Hände zu einer Schale, dass sich Wasser darin sammelte. Ohne groß zu überlegen, spritzte ich es mir ins Gesicht und spülte das Salz der Tränen und des Schweißes von meiner Haut.
Seufzend rieb ich mir die Schläfen und spürte, wie die plötzliche Kälte meinen Geist langsam aufweckte.
Mein Herz schlug noch immer viel zu schnell und so zwang ich mich zu langsamen ruhigen Atemzügen.
Das war nicht angenehm gewesen. Ganz und gar nicht.
Müde stützte ich mich am Waschbecken ab. Meine Arme zitterten noch immer leicht und meine Beine fühlten sich ganz wabbelig an. Auch war mein Schweiß war nun kalt geworden und ließ mich frösteln. Ich seufzte und ging zum Schrank, um meinen Morgenmantel überzustreifen.
,,Kreacher?", fragte ich zögerlich in den leeren Raum hinein.
Es gab einen Knall, als der schrumpelige Hauself an meine Seite apparierte und sich zugleich geflissentlich verbeugte. ,,Hat die Misstress gut geschlafen? Kreacher hat schon Frühstück zubereitet, kommen Sie, kommen Sie ..."
Er schob mich energisch aus meinem Schlafzimmer die Stufen zur Küche herunter.
Die Ferien über hatte ich mich im Grimmauldplatz einquartiert. Das Haus stand vollkommen leer, denn die Ordensmitglieder hatten befürchtet, dass Snape den Todessern die Daten des Verstecks mitgeteilt hatte. Darum hatte ich sicherheitshalber meinen Zweitzauberstab dazu verwendet, um einige Schutzzauber zu beschwören, die ungewollte Besucher fernhalten sollten.
Und dann war da noch dieser Traum ...
Ich erschauderte unwillkürlich. Vielleicht hätte ich in Wahrsagen besser aufpassen sollen, als wir das Thema Traumdeutung besprochen haben ...
,,Das Essen sieht wirklich klasse aus", meinte ich etwas weniger euphorisch, als vielleicht angemessen, denn Kreacher hatte sich wirklich selbst übertroffen: Auf einer Platte lagen warme goldene Brötchen, daneben diverse Marmeladen und verschiedene Käsesorten. In einer großen Schale befand sich allerlei Obst und auf dem Herd stand eine Pfanne voller Rührei, gebratenen Speck und Tomaten.
Der Hauself strahlte und schob sogleich einen kunstvoll geschnitzten Stuhl zu mir, dass ich mich setzten konnte.
Langsam kaute ich das Essen. Kreacher werkelte unterdessen geräuschvoll in der Küche herum.
Heute würden wir Harry aus dem Ligusterweg holen und in eines der Ordensverstecke bringen. Es würde ein gefährliches Unterfangen werden, aber glücklicherweise hatte Moody eine falsche Fährte gelegt. Nun glaubte man, dass Harry erst in einigen Tagen sein sicheres Zuhause verlassen würde.
Hoffentlich.
Ich würgte einen weiteren Bissen herunter.
Harry zu beschützen war eine Sache. Aber wo war Jaime?
Mitlerweile hatte ich es aufgegeben, meinen Bruder per Telephatie zu erreichen, er antwortete mir einfach nicht, obwohl ich wusste, dass er meine Rufe hörte. Vermutlich wollte er mich einfach nicht in Gefahr bringen, aber verstand er denn nicht, dass ich mich um ihn sorgte?
Ich seufzte.
Ich wusste, dass er noch lebte. Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, hätte ich das definitiv gespürt ... Aber wo war er?! Wie ging es ihm? Hatte er erfolgreich das Land verlassen? War er in Sicherheit?
Ich blickte auf meine Uhr. Es waren noch Stunden, bis ich bei Harry sein müsste und ich hatte keine Ahnung wie ich mich bis dahin ablenken sollte.
Nach dem Frühstück ging in zurück auf mein Zimmer. Es war ehemals einer der vielen leerstehenden Räume des Anwesens gewesen, doch gemeinsam mit Kreacher hatte ich es so gut wie möglich entrümpelt und möbliert. Dem Hauselfen hatte ich auch das bronzene Schild zu verdanken, das meine Tür schmückte: Allana Black.
Direkt neben meinem Zimmer befand sich ein weiterer Raum, etwas größer als der meine. Wir hatten auch diesen aufgeräumt, doch an dessen Tür hing noch kein Schild. Obwohl ich wusste, dass Kreacher eins angefertigt hatte. Der Name auf dem Schild war James Black, doch es wäre zu gefährlich es aufzuhängen; mittlerweile wusste Harry, dass James der zweite Vorname meines Bruders war.
Ich seufzte leise. Vielleicht würde unsere Verwandtschaft für immer ein Geheimnis bleiben. Denn ich hatte keinen Zweifel, dass andernfalls auch ich in höchster Gefahr sein würde. Man würde mich der gleichen Dinge anklagen wie Jaime. Mich der Spionage bezichtigen. Argumentieren, dass ich die Freundschaft insbesondere zu Harry nur ausgenutzt hatte. Und selbst wenn man mir Glauben schenken würde, wäre danach alles anders. Jaime selbst war das beste Beispiel dafür.
Ich ließ mich auf das Bett fallen.
Und wieder einmal kreisen meine Gedanken nur um Jaime.
Konnte mir mein vermaledeiter Bruder nicht irgendein Lebenszeichen schicken?!
Irgendetwas ...?
Ich stierte an die Decke.
Ich muss hier raus. Im Haus würden mich nur wieder Gedanken an Jaime plagen und ich wäre mit diesen Befürchtungen alleine. Ich musste mich irgendwie ablenken, denn für heute Abend brauchte ich unbedingt einen klaren Kopf.
Schnaufend rappelte ich mich auf und ging zum Kleiderschrank. Schnell streifte ich mir ein bequemes T-Shirt über und schlüpfte in dunkle Jeans. Meine beiden Zauberstäbe band ich mir wie gewohnt um die Oberschenkel.
,,Ich bin etwas draußen, Kreacher!", rief ich dem Hauselfen kurz zu. ,,Und du brauchst nichts zu kochen, die nächsten Tage werde ich vermutlich nicht hier sein."
Falls ich bis dahin überlebe.
Ich stiefelte die Treppe hinunter und warf einen hoffentlich nicht letzten Blick in den düsteren Flur. Dann schloss ich die schwere Tür hinter mir und ließ mich von den Menschenmassen Londons mitziehen.

Sein Vermächtnis (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt