Bittere Realität

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Allana

Wir leben in einer rosanen Blase, während die Welt um uns in Scherben zerspringt.
Ich führte das kristallene Weinglas an meine Lippen und verzog kurz das Gesicht, als der Wein prickelnd und ein wenig bitter meine Kehle herunterrann.
Bunt gekleidete Frauen und Männer gingen gemächlich und freudig schwatzend an mir vorbei. Ihre breiten Hüte wippten im Takt ihrer Schritte auf und ab. Die Flüssigkeit in ihren Gläsern schwappte hin und her.
Ich schnupperte skeptisch an meinem eigenen Getränk. Ein Teil von mir wollte all meine Prinzipien über Bord werfen und mich rücksichtslos betrinken. Der andere (deutlich größere) Teil von mir erinnerte mich geflissentlich, dass dies hier eine Hochzeit war, also vom Moment her nicht gerade ... passend. Und es führte mir allzu lebhaft Jaimes Alkoholeklat bei Slughorns Party vor Augen.
Ich spürte ein Lächeln an meinen Lippen zupfen. Irgendwann werde ich ihm erzählen, was dort alles geschehen ist. Mein liebster Bruder würde in Grund und Boden versinken wollen.
Ich stellte das Glas auf ein kleines Tablett ab und schob mich durch die Menschenmasse.
Ein paar der Gäste kannte ich, die meisten waren mir jedoch gänzlich unbekannt. Aber immerhin konnte ich die rothaarigen Anwesenden leicht als Weasleys identifizieren.
Auch hatte ich bereits das zweifelhafte Vergnügen gehabt, Rons Groß-was-auch-immer Muriel kennenlernen dürfen, denn diese hatte grummelnd gemeint, dass doch wohl ein Kleid für mich angemessener gewesen wäre, anstatt eine weiße Bluse zu tragen. Jetzt konzentrierte ich mich mehrheitlich darauf, dieser Furie aus dem Weg zu gehen.
Auf der Tanzfläche kreisten Paare umeinander. Einige tanzten eng umschlungen und pressten den Körper gegen den ihres Partners, andere führten akrobatische Bewegungen und athletische Sprünge vor.
,,Sie versuchen bestimmt einen Schlickschlupf zu fangen", meinte eine verträumte Stimme neben mir.
,,Luna!", rief ich aus und überraschte mich selber, indem ich das hellblonde Mädchen mit den wässrigen blauen Augen in eine feste Umarmung zog.
,,Es tut gut, dich zu sehen."
Luna summte eine milde Zustimmung.
,,Ich bin mit meinem Vater hier", erklärte sie strahlend. ,,Da ist er!" Sie winkte fröhlich einem älteren Mann mit langen silberblonden Haar zu, der wie sie ein grelles gelbes Gewand trug und sich pfeifend im Kreis drehte. An seinem Hals funkelte ein dreieckiger Anhänger.
Ich erkannte, von wem Luna ihre ... Eigenarten her haben musste.
,,Weißt du, wir haben die gleichen Augen", fuhr sie verträumt fort. ,,Blau, mit ein wenig grau ... blau wie der Himmel ... oder himmelblaue Objekte ... himmelblaue Mülleimer ... Aber eure Augen sind wie ein wolkenverhangener Himmel ... so sturmgrau mit silbernen Sprenkeln darin."
Ich runzelte leicht die Stirn. ,,Ich wusste gar nicht, dass dir meine Augen so vertraut sind."
,,Nein. Aber seine Augen sind es."
Und damit schwebte sie davon auf die Tanzfläche.

Jonathan

Alles, was es braucht, um ein wackeliges Gerüst zum Einsturz zu bringen, ist ein Stoß ins Zentrum.
Mein Zauberstab war zu Boden gerichtet und ich lehnte mich leicht an die glatte marmorne Wand.
Um mich herum befanden sich schwarz gekleidete Gestalten, die Münder zu grässlichen Fratzen verzogen, feixend. Die Todesser hatten sich nicht die Mühe gemacht, ihre geschliffenen Masken aufzusetzen. Es war nicht notwendig.
Nicht mehr.
Im Atrium des Ministeriums war es unnatürlich still. Die polierten onyxarbenen Gesteinsplatten warfen jegliche Geräusche als geisterhaftes Echo zurück, aber da war nichts mehr, was zurückgeworfen werden konnte. Selbst die Schreie hatten gestoppt.
Mein Blick fiel auf mehrere rote Flecken am Boden. Ich folgte der verwischten Blutspur mit meinen Augen bis hin zu ihren Ursprung. Die Leiche eines Mannes mit merkwürdig verdrehten Gliedern befand sich dort. Er war einer der Auroren gewesen, die sich verzweifelt gegen die Todesser gewehrt hatten, während andere Angestellte stumm ihre Zauberstäbe zu Boden gelegt hatten.
Bellatrix hatte den Mann erst gefoltert und dann den giftgrünen Todesfluch auf seine Brust gefeuert.
Ich zählte sechs Leichen auf dem Boden, alles Auroren. Ein paar von ihnen waren schnell im Gefecht gestorben, den Zauberstab noch umklammert. Andere ... nicht.
Ein leises Zischen kündigte Nagini an, die sich über den vor Blut rutschigen Boden schlängelte. Die Todesser wichen erfurchtsvoll zurück und verneigten sich murmelnd, denn nun war da Voldemort, der gebieterisch durch die Schwärze schritt. Seine nackten Füße waren bis zum Knöchel mit Blut bespritzt.
Für mehrere Sekunden waren die einzigen Laute Naginis Zischeln und das leicht schmatzende Geräusch von Voldemorts Füßen auf dem Boden.
,,Ah, Minister ... endlich begegnen wir uns persönlich."
Diese Worte waren an einen der wenigen Überlebenden gerichtet, der von zwei Todessern flankiert wurde. Rufus Scrimgeour hatte gekämpft wie ein Löwe, aber gegen Bellatrix, Snape und den Lestrange-Brüdern war er mehr als nur deutlich unterlegen gewesen. Und nun kniete der Zaubereiminister geschlagen auf dem Boden, während sich sein zerissener Umhang mit dem Blut seiner gefallenen Kameraden vollsog. Er funkelte Voldemort hasserfüllt an. ,,Voldemort", spieh er aus.
Andere Männer hätten schon längst um Gnade gefleht oder wären wimmernd und bettelnd zusammengebrochen. Nicht aber Rufus Scrimgeour. Er weiß, dass er sterben wird. Voldemort wird ihn niemals am Leben lassen. Aber er versucht zumindest während seinen letzten Atemzügen nicht seine Würde zu verlieren - das ist das einzige, was er tatsächlich noch verlieren kann. Dieses Verhalten verdiente durchaus Respekt.
,,Minister, ich frage Sie nur ein Mal ... Wo ist Harry Potter?"
Scrimgeour schluckte merklich, antwortete jedoch nicht, sondern stierte unbewegt geradeaus.
,,Wie bedauerlich. Crucio!"
Scrimgeour krümmte sich, wand sich von Krämpfen geschüttelt auf dem Boden hin und her, die Zähne zusammengebissen- Aber er gab keinen Laut von sich.
Nach mehreren Sekunden erschlafften seine Glieder und er holte rasselnd Atem.
,,Nun?"
Scrimgeour schüttelte nur matt den Kopf. Sein Brustkorb hob und senkte sich schwach.
Voldemorts lippenloser Mund war nur noch ein schmaler Strich. Seine Augen waren zu roten Schlitzen verengt.
Mehrere Todesser wichen vorsichtig einige Schritte zurück.
Scrimgeours blutige Lippen hoben sich leicht. ,,Ich- ... ich habe ohnehin nichts mehr zu verlieren", krächzte er heiser. ,,Ich bin bereits tot."
,,Ja. Das sind Sie. Avada Kedavra!"
Ein grüner Lichtblitz schoss aus Voldemorts Zauberstab hervor und traf Scrimgeour in der Brust. Der Zaubereiminister kippte schwer zur Seite um. Er war tot, noch ehe er den Boden berührte.
Voldemort warf einen letzten abschätzigen Blick auf die Leiche des Mannes. ,,Damit dürften auch die übriggebliebenden Schutzzauber gebrochen sein." Er breitete die Arme aus. ,,Meine treuen Diener! Das Ministerium ist gefallen. Und die magische Welt steht uns frei sie zu formen und zu bereinigen."
Die Todesser johlten.
,,Dennoch", zischelte Voldemort und seine Stimme klang zu einem bedrohlichen Flüstern ab. ,,Etwas steht zwischen uns und dem endgültigen Sieg. Harry Potter." Diesen Namen zischte er wie einen Fluch und die Todesser, die ihm am nächsten waren, wichen unauffällig ein wenig zurück.
,,Wer ihn mir bringt, wird großzügig belohnt werden. Findet ihn."

Allana

Ich blickte Luna wie erstarrt hinterher. Auch das noch! Und sollte sie Hermine von ihrer kleinen Beobachtung erzählen ... dann wird es mir genau so ergehen wie Jaime.
Meine Handflächen wurden warm.
Doch Luna machte keine Anstalten auf Hermine zuzugehen, sondern schien in ihrer eigenen kleinen Welt versunken zu sein. Sie tänzelte auf der Tanzfläche in ihrem sommergelben Kleid, die Augen geschlossen, ein Ausdruck totaler Entspannung auf dem Gesicht.
Irgendwann riss ich mich von ihrem Anblick los und hielt Ausschau nach Hermine. Die brünette Gryffindor hatte seit gestern, abgesehen von kurzen Begrüßungen, nicht mehr mit mir gesprochen. Aber aus den Augenwinkeln hatte ich desöfteren wahrgenommen, dass sie mich mit gerunzelter Stirn beobachtet hatte.
Ich entdeckte sie im Gespräch mit Harry und sofort verkrampfte sich mein Körper. Beruhig dich gefälligst!, schalt ich mich. Du kannst nicht so panisch reagieren! Sie reden doch nur.
Ich seufzte schwer. Dieses Verhalten musste ich mir für die nächsten Monate dringendst abgewöhnen.
Ich beschloss auf die beiden zuzugehen. Vielleicht würde ein ungezwungenes Gespräch Hermines Argwohn ein wenig lindern. Und sollte sie mich trotzdem weiter verdächtigen, könnte ich ihr anbieten mit mir unter vier Augen zu sprechen. Vorrausgesetzt natürlich, ich hatte bis dahin eine glaubwürdige Erklärung zusammengefrickelt, warum Dumbledore mir einen altertümlichen Ring vermacht hatte. Bis jetzt sah es damit allerdings noch ziemlich schlecht aus. Das würde der nächste Punkt auf meiner Liste sein.
,,Amüsiert ihr euch gut?", fragte ich betont heiter.
,,Geht so", murmelte Harry, der tatsächlich ein wenig geknickt wirkte. ,,Ich habe gerade einige Sachen über Dumbledore gehört. Zum Beispiel, dass-"
Doch ich sollte nicht erfahren, was Harry bei den zahllosen Gesprächen über Dumbledore aufgeschnappt hatte, denn in diesem Moment materialisierte sich eine silberne Silhuette im Festzelt.
Der etwas wabernde Patronus öffnete das Maul und plötzlich erklang die Stimme von Kingsley Shacklebolt über das Gelände.
,,Das Ministerium ist gefallen. Scrimgeour ist tot. Sie kommen."
Und dann brach die Hölle los.
Nur Sekunden später disapparierten bereits die ersten Gäste, während andere sich noch verdutzt oder geschockt anblickten.
Stühle und Tische wurden in Panik umgeworfen, als die Hexen und Zauberer zu ihren Familienmitgliedern oder Freunden eilten und versuchten aus der Menschenmasse zu entrinnen.
Es blitzte mehrmals und auf einmal waren da mehrere schwarzgewandete Personen in der Festgemeinschaft, die wahllos Flüche auf flüchtende Personen feuerten. Die Menschen, die ihnen am nächsten waren, stoben in Panik davon.
,,Ron!", schrie Hermine schrill, ,,wo bist du?!"
Sie tauchte kurz im Gemenge unter und packte dann die Hand des nahenden Rotschopfs.
,,Schnell!", rief Harry und zog mich am Arm zu Hermine und Ron.
Grimmauldplatz, bitte, bitte, zum Grimmauldplatz ...
Hermine umfasste mein Handgelenk und die Welt löste sich in tausend Farben auf.

Da bin ich wieder. Ich hoffe, ihr seid noch alle gesund und leingweilt euch nicht allzu sehr.
Jonathans/Jaimes Part sollte eigentlich noch etwas grausiger werden, aber dann ist mir eingefallen, dass dies ja eigentlich ein Jugendbuch ist und vielleicht nicht jeder so - nun - abgehärtet ist wie ich es bin.
Ich wünsche euch alles Gute und bleibt gesund!

Sein Vermächtnis (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt