Kapitel 20

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Durchdringend starrte sie ihn an. Er selbst heftete seinen Blick auf die verbeulte Stoßstange vor ihm, die an der roten Ampel zum Halt kam. Nervös trommelte er mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, dem Rhythmus des Radios folgend, dass seit Minuten die Scorpions spielte.

Patrick hatte nicht komplett realisiert, was Emily ihm gerade offenbart hatte, nur sein Körper krampfte sich zusammen, dass es schmerzte.

"Patrick"

Er antwortete nicht. Stumm beobachtete er die Lichter um ihn herum, die von jetzt auf gleich auf grün umsprangen und ihn zur Weiterfahrt zwangen. Eilig trat er auf das Gaspedal und lenkte wackelig in die nächste Seitenstraße.

"Fahr doch, du Schwachkopf!", brüllte jemand durch das geöffnete Fenster, dicht gefolgt von einem langanhaltenden Hupen. Erschrocken riss Patrick das Lenkrad herum und fuhr in den ausgetrockneten Straßengraben.

Das Auto ratterte und ächzte und kam schließlich zu Stillstand. Patricks Herz jedoch begann just in diesem Augenblick zu rasen, schneller, als je zuvor.

Dumpf hörte er das Kreischen.

"Patrick!"

Vorwurf lag in der Stimme. Enttäuschung. Als würde sie etwas von ihm erwarten, was er ihr niemals würde geben können. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite. Ihre Augen waren, wie seine mit Tränen gefüllt.

"Lungenkrebs?", flüsterte er, so leise, dass man es gegen die plötzlich aufheulenden Sirenen kaum verstand. Jemand klopfte an die Scheibe, das ganze Fahrzeug wummerte.

Emily nickte. Noch vor fünf Minuten war Patrick fest davon ausgegangen, diese Spazierfahrt hätte keinen bedeutenden Hintergrund  und seine Frau nur Hunger gehabt. Nun saß er, halb von seinem Gurt erwürgt auf dem Fahrersitz und beobachtete panisch, wie sein Leben Stück für Stück auseinanderfiel.

Wieder klopfte jemand an die Fensterscheibe. Patrick wandte sich hastig um und winkte ab.

"Alles in Ordnung bei Ihnen?", dröhnte es. 

Er drehte sich wieder zurück. "Was wird aus dem Jungen? Ich kann mich doch nicht alleine um ihn kümmern", flüsterte Patrick und kaute leicht auf seiner Unterlippe herum, während er sich behutsam abschnallte und anschließend auch Emilys Gurt löste.

"Was wird mit mir, Paddy? Werde ich das überleben? Der Junge ist hier gerade Nebensache"

Wortlos drückte Patrick die Autotür auf und stieg aus. Ein unangenehmer Geruch stieg ihm in die Nase, seine Kühlerhaube dampfte und ein Polizeiwagen hielt am Straßenrand.

Patrick schreckte hoch.

Verwirrt sah er sich um. Er lag in eisiger Kälte. Es fühlte sich an, als wäre sein Anzug an ihm festgefroren und Patrick bibberte. Um ihn herum lagen verstreut die Menschen. Er kannte sie nicht, wollte sie nicht kennenlernen, er war grausam. Man konnte ihnen nicht zumuten, mit solch einer Person, wie Patrick es war, zu sprechen.

Er versuchte sich aufzurichten, doch es war nicht möglich. Jemand oder etwas hielt ihn fest am Kragen gepackt und drückte sein Gesicht auf den eisigen Boden. Patrick fühlte sich elend, wie nach einer langanhaltenden Erkältung, die ihn von allen Möglichen Dingen abgehalten hatte, die nun über ihm kamen.

Und Angst hatte er auch. Schnell verfestigte sich sein Griff um das luftlose Schwimmtier, das schlapp in seinen Armen hing. 

Patrick plagten Schuldgefühle. Elvis hatte es wahrlich nicht verdient, ihm in den Tod zu folgen, schon gar nicht in die Hölle, oder was immer das hier war.

Er schloss die Augen und versuchte an etwas Schönes zu denken, etwas, das ihm Hoffnung gab.

Doch ihm wollte absolut nichts einfallen. Vor ihm lag pure Schwärze und eine Truhe, voller grausiger Erlebnisse. Patrick konnte nicht fassen, wie vollgestopft sie war. Konnte sein Leben so schrecklich gewesen sein?

Mit einem Schlag brannten die Lichter auf ihn herab, die eisige Kälte wandelte sich jäh in Hitze um, die seine Glieder zum Kribbeln brachte.

Stöhnend richtete Patrick sich auf. Er lehnte sich an die Wand hinter ihm, aus der schon bald kleine Flämmchen schossen, die ihn in Brand setzten. Er schwitzte, rappelte sich auf und presste Elvis energisch an sich.

Seit er hier war, hatte er einen widerlichen Geschmack im Mund. Faulig war er und feucht. Er konnte sich nicht erklären, wieso, schließlich hatte er ja nichts zu sich genommen. Vielleicht war auch gerade das der Grund.

Vorsichtig führte er seine Hand zum Mund und zuckte sogleich zurück, als er die schaumartige Substanz ertastete. Angewidert wischte er sich über das Gesicht. An seinen Fingerspitzen klebten winzige, rosige Bläschen, die einen bestialischen Geruch absonderten und ihn würgen ließen. 

Eilig wischte er das Zeug an seiner Hose ab und blickte fragend in das platte Gesicht seines Begleiters. "Was zur Hölle ist das?"

Ein rundlicher Mann mit stark entzündeten Narben auf den Wangen lehnte sich aus der Nachbarflamme zu ihm herüber. "Guck erstmal deine Haut an, du Vollpfosten", sagte er dumpf. Patrick krempelte seine Ärmel hoch und erschrak. Seine Unterarme waren übersät mit dunkelroten, fast violetten Flecken. 

"An deinem fetten Hals auch, du Lappen" Der Typ grinste fies. "Immer das selbe mit euch Wasserleichen"

Er schüttelte den Kopf. Patrick auch. 

Der Mann murmelte noch etwas von "echt widerlich ", bevor er sich wieder um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte.

Patrick hingegen atmete nur noch flach, wenn er es denn überhaupt tat.

"Echt widerlich", sagte leise zu sich selbst, als bräuchte er in diesem Fall noch eine Bestätigung. Zu grenzenloser Erschöpfung, Hitze und Angst kam nun auch noch das Gefühl hinzu, sogar für die anderen Toten ein Witz zu sein.

"Na toll", dachte Patrick und schlug seinen Kopf leicht gegen die steinerne Wand hinter ihm.

Er würde eine sehr einsame Ewigkeit hier verbringen.

In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt