Kapitel 15

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Erschöpft klammerte Patrick sich an seinen Lebensverlängerer und mittlerweile engen Vertrauten Elvis.

Wieder hatte er das rote Feld gesehen, die Blitze, die Hitze, das Elend. Heute würde es soweit sein, heute würde er sterben. Patrick war sich sicher, dass die Halluzinationen ein eindeutiges Zeichen waren.

Das Handy hatte noch fünf Prozent, er traute sich nicht, einen weiteren Anruf zu tätigen und somit seine einzige Verbindung zur Zivilisation zu verlieren. Obwohl...

Wenn er es nicht zum telefonieren benutzte, wozu dann?

Wieso war er nur so abhängig von einem technischen Gerät und einem Haufen Plastik.

"Peinlich, wenn ich das Emily erzähle...", murmelte Patrick. Er sah zu Elvis auf. Er wippte leicht auf den sanften Wellen auf und ab, was Patrick als zustimmendes Nicken deutete. Kurz rutschte er ab und tauchte unter.

Eilig schnappte er nach dem Kopf des Einhorns. Elvis starrte ihm direkt in die Augen. Patrick schluckte. "Guck nicht so", sagte er und wechselte wieder zum Haltegriff an der Seite des Tieres. Sein Hals schmerzte ihm mit jedem Wort, das er von sich gab und wäre eine exzellente Entschuldigung gewesen, einfach schweigend hinüberzugehen.

Doch Patrick fuhr fort. Denn Patrick hatte nicht mehr genug Kraft, um Konsequenzen einzuschätzen.

"Du willst wissen, wer Emily ist, hab ich recht?"

Elvis sagte nichts.

"Ist ja gut, ich erzähl's dir!"

Patrick schluckte aus Versehen einen Schwall Wasser, redete aber unbeirrt weiter.

"Weißt du, ich war mal verheiratet, sie war die Frau meiner Zukunft, die Liebe meines Lebens...wir haben uns getrennt, aber das sollte man sowieso nicht zu ernst nehmen..."

Elvis sah ihn mit gehobener Augenbraue an. Zwar besaß er überhauptkeine Augenbrauen, aber Patrick stellte sich vor, es wäre so.

"Wir hatten einen Sohn!"

Patrick lächelte. Elvis auch, trotz mangelnder Lippen.

"Er ist so ein lieber Junge...Natürlich ist er inzwischen erwachsen, wir waren relativ jung, es war klar, dass es nicht funktionieren würde"

Elvis schwieg.

"Als sie gestorben ist...bin ich zum Rabenvater geworden. Und das tut mir so unendlich Leid! Verstehst du? Ich wollte das nicht, ich war so gemein und jetzt bin ich hier und kann ihm nicht mehr sagen, wie sehr ich alles bereue!"

Elvis schwieg.

Patrick hielt Inne. Dann griff er in die Innentasche und holte das Handy hervor. Er hatte die Nummer seines Sohnes im Kopf. Es war das Einzige, was er noch wusste. Seine Adresse, seine Hausnummer, seinen Beruf, seinen Nachnamen, seine Haarfarbe.

Alles vergessen, zurückgelassen. Es war ihm unmöglich sich diese Fakten über sich selbst ins Gedächtnis zu rufen.

Hastig tippte er die Nummer ein. Es klingelte.

Einmal, zweimal, dreimal.

Patrick vergaß für einen Augenblick welche Zahl danach kam, also schloss er nur die Augen und hoffte.

Ein greller Piepton durchriss die Stille in ihm.

"Der Teilnehmer ist zur Zeit leider nicht erreichbar"

Nicht erreichbar

"Nein, nein, geh ran, bitte, ich muss das wieder gut machen!" Die plötzliche Eingebung der Schuld fraß sich mehr und mehr in sein Gehirn, wie ein Virus, bereit, alles zu verwüsten.

Das Handy sagte nichts. Es piepte nur weiter.

"Hallo?"

Patrick drückte verzweifelt auf dem Display rum und schrie, dass es an seinen Stimmbändern riss. Er musste nochmal probieren, wieder und wieder, bis sein Kind am Ende der Leitung zu hören war. Bis er endlich loswerden konnte, was ihn bedrückte, was ihn fühlen ließ, wie ein Versager, ein Schwerverbrecher.

Es klingelte.

"Hallo?"

Patrick zuckte zusammen.

"Hallo? Ist da jemand?"

"Bist du - "

Sein Magen drehte sich ihm um. Die Stimme, die aus dem Smartphone kam war definitiv nicht die seines Sohnes.

"Bin ich wer? Hallo? Wer sind Sie?"

"Nein, wer sind Sie?", fragte Patrick zurück. "Kennen Sie..."

Er zögerte, aber der Name seines Sohnes wollte ihm einfach nicht einfallen.

"Kennen Sie...", versuchte er es wieder.

"Können Sie zum Punkt kommen?"

"Ihren Namen, ich brauch Ihren Namen!"

"Förster...Elle, verraten Sie mir jetzt, ob Sie auf Drogen sind?"

"Nein!"

Warum ging jeder davon aus, mit einem Junkie zu sprechen?

"Ich glaube ich bin dein Vater..."

"Ja genau, Star Wars Fan, Hm? Der sitzt neben mir, können Sie bitte auflegen, sonst tu ich's"

Patrick legte auf. Fassungslos starrte er auf das Handy. Sein Kopf schüttelte sich seit geraumer Zeit von allein, seine Gedanken rasten, nur dass direkt vor ihnen eine Mauer lag und sie keine Zeit zum Bremsen hatten. In einem Wahnsinnstempo bretterten sie gegen einen Haufen aufgestauter Emotionen.

Patrick schrie. Er hatte noch nie etwas so lautes von sich gegeben, wie jetzt. Der sonst so entspannte Typ in ihm war längst verschwunden. Blind vor Wut riss er das Telefon aus der Schutzhülle und schleuderte es von sich. Mit einem Platschen kam es auf der Wasseroberfläche auf und versank im Blau.

Tränen rannen sein Gesicht hinunter. Woher sie kamen konnte er sich nicht erklären, schließlich fühlte er sich, als wäre sein Körper ausgewrungen und trocken. Schmerzhaft brüchig, mit Rissen versehen, die sich nun weiter öffneten und das Salzwasser in seine Wunden strömen ließen.

Er stieß Elvis schluchzend von sich. Genauso, wie er seinen Sohn von sich gestoßen hatte. Die Chancen der Freundlichkeiten waren Vergangenheiten, vor ihm lag tiefer Schmerz und Versagen. Er fuhr sich durch's Gesicht, rieb sich das Salz in die Augen.

Dann schloss er sie. Es brannte, als hätte man versucht ein Streichholz an seinen Lidern anzuzünden. Er griff nach Elvis, doch er war nicht da. Und Patrick war temporär blind.

Er seufzte.

Dann holte er ein letztes Mal tief Luft.

Und ging unter.

In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt