Kapitel 6

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Ungläubig starrte er auf das Smartphone, das er in seinen Händen hielt. Ein iPhone, schwarz, er konnte sein Gesicht im Glas erkennen. Vorsichtig drückte er den Home-Button. Und entgegen aller Erwartungen leuchtete das Display auf. "Wahnsinn, schau nur, es funktioniert!", wisperte Patrick und stieß Elvis an, der nach wie vor stumm blieb.

"Hätt' ich mir ja denken können, dass dir wieder alles egal ist." Vorwurfsvoll blickte er in das aufgedruckte Auge des Tieres. Dann widmete er sich wieder seiner möglichen Rettung. Er wischte auf dem Display herum. Das Handy war nicht gesperrt. Instinktiv gab er die Nummer des deutschen Notrufs ein. Und tatsächlich, es klingelte.

Patrick lachte laut auf. "Wir werden gerettet, El, wir werden gerettet!" Im nächsten Moment meldete sich eine weibliche Stimme. "Hallo? Wie kann ich Ihnen helfen?" Patrick seufzte erleichtert. "Hallo? Geht es Ihnen gut?"

"Ja...ja, Ihre Stimme versüßt meinen Tag!" Er konnte das Stirnrunzeln der Frau am anderen Ende der Leitung förmlich hören, also riss er sich zusammen.

"Ich brauche Hilfe. Ich habe Hunger und Durst und wenn ich noch länger hier bin, dann werde ich ertrinken."

Die Frau räusperte sich. "Wo sind sie denn?"

"Wenn ich das wüsste...", murmelte Patrick, bevor er antwortete. "Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, es ist überall Wasser. Im...Meer vielleicht?" Erst jetzt wurde ihm klar, wie bescheuert er sich anhören musste.

"Hören Sie, wenn das ein Scherz sein soll, dann..."

"Nein, nein, bloß nicht, bitte! Sie müssen mir glauben. Ich bin aufgewacht auf einem Schwimmtier, mitten auf dem Wasser!"

"Haben Sie etwas zu sich genommen?" Die Frau klang maßlos verwirrt. Patrick verdrehte die Augen und spürte, wie anstrengend allein diese Bewegung für ihn war.

"Haben Sie mir nicht zugehört. Ich habe gefühlt seit Tagen nichts gegessen."

"Irgendwelche illegalen Substanzen, meinte ich." Sie seufzte. Patrick auch. Er fühlte sich so hilflos und unendlich dämlich. "Nein...bitte helfen Sie mir einfach, ich...ich weiß nicht, was passiert ist, aber hier ist Wasser, überall und..."

"Na schön, bitte schalten sie ihr Telefon nicht aus, bleiben Sie dran. Womöglich können wir Sie orten, wie heißen Sie denn?"

"Patrick...ich...das Handy gehört mir nicht und..." Für einen kurzen Augenblick vergaß er seinen Nachnamen. "Ich glaube ich werde hier sterben.", sprach er zum ersten Mal das laut aus, was ihm seit er aufgewacht war in seinem Kopf umherschwirrte.

"Patrick, haben Sie einen Nachnamen?" Er schüttelte seinen Kopf. "Ich weiß es nicht. Ich hab' so Durst, ich..." Verzweifelt wurde ihm klar, dass er nicht mehr Herr seiner selbst war. Seine Gedanken spielten verrückt, es war ihm unmöglich einen Klaren zu fassen.

"Okay, nicht schlimm! Wissen Sie was? Ich kann Sie sehen."

"Hä", machte Patrick und klammerte sich an Elvis rechten Flügel. "Wo sind Sie denn?" Sie kicherte leise, zumindest glaubte Patrick das. Ihre Stimme wirkte ein klein wenig verzerrt, abgehackt. "Ich weiß, wo Sie sind. Dann ergibt das, was Sie gesagt haben auch Sinn." Patricks Miene hellte sich auf. "Und wo bin ich?"

"Im indischen Ozean."

Er stockte. Ihm war urplötzlich furchtbar schlecht. "Was?", flüsterte er. "Wie...kann das sein?" Die Frau schien zu lächeln. "Ich weiß es nicht, aber ich werde ihren Standort sofort weiterleiten. Sie werden nicht sterben, hören Sie? Halten Sie durch. Man wird jetzt nach Ihnen suchen!" Ihr Stimme klang blechern, was vermutlich an der Entfernung lag. Ein dröhnendes Geräusch ertönte und das Gespräch war vorbei.

"Die finden uns doch nicht...oder?" Patrick kniff die Augen zusammen. Inzwischen fror er ein wenig. Die Sonne stand tief über dem Horizont und warf gleißendes Licht auf die Wellen. Langsam bewegte er sich unter Elvis Deckung hervor, um 'gen Himmel blicken zu können. Er brauchte Schlaf, immer wieder fielen ihm die Augen zu. Patrick gähnte und schluckte erneut einen Schwall Wasser. Entnervt und müde stopfte er das Handy zurück in die Innentasche des Anzugs. Er fühlte sich schwer an, als hätte man ihm einen Bleiblock an den Oberkörper gebunden.

Er bugsierte Elvis mit aller Kraft in seine ursprüngliche Position und versuchte sich an dessen Hals, wieder auf den Rücken des Einhorns zu ziehen. Doch er war zu schwer. Mit jedem kläglichen Versuch kippte Elvis vornüber. Frustriert schlug Patrick gegen das Gummi.

Hoffentlich beeilten sich seine Retter. Die Sonne war inzwischen untergegangen, allmählich war es dunkel und Patrick musste sich Mühe geben, um das, was vor ihm lag, in diesem Fall ein endloses Nichts, besser erkennen zu können.

Es gibt Wunder, die müssen im Dunkel geschehen.

Patrick erinnerte sich an die Zeit, in der er aufgedrehten Grundschülern die Geschichten von Käpt'n Blaubär vorgelesen hatte und lächelte. Vielleicht würde das Wunder seiner Rettung mit dem Einbruch der Nacht geschehen.


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Zitat von Walter Moers

In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt