Kapitel 28

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Das war eine blöde Idee gewesen.

Celine irrte seit einiger Zeit wieder in den Gängen der Hölle umher.

Allein.

Jede einzelne Wand, jede Kreuzung kam ihr so bekannt vor und war doch so fremd. Die Düsternis war stärker als zuvor. Sie traute ihrem Orientierungssinn nicht und tastete sich an den Felsen entlang, um nicht gegen das nächstbeste Hindernis zu stoßen.

Ihr war schlecht, alles in ihr drehte sich um die eine Frage: Wieso war Dan hier?

Ein Schauer durchzuckte sie, als sie an seine Worte dachte und das, was sich in seiner Hosentasche befand.

...dann wirst du mich hassen.

Celine hatte in ihrem Leben nie jemanden gehasst. Auch, wenn Leute ihr zugeredet hatten, Abstand von Elle zu halten, sie hatte es immer besser gewusst. Sie war sich inzwischen sicher, dass sie vermisst wurde. Denn Elle tat zwar immer sehr taff, aber eigentlich hatte sie außer Celine nie eine gute Freundin gehabt.

Hass war ein starkes Wort, besonders für Celine.

Dan hatte Recht. Jede Mutter liebt ihr Kind auf ihre eigene Weise. Es zu hassen, das schien für sie auf einmal unmöglich. 

Was konnte Dan getan haben, das ihn hasswürdig machte?

******

Celine war müde. Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier feststeckte, aber  inzwischen war es ihr egal. Erschöpft hockte sie auf dem steinigen Boden und schloss die Augen.

Minuten vergingen, Celine glitt in einen traumlosen Schlaf.

Zwei ohrenbetäubende Donnerschläge weckten sie auf. Panisch schreckte sie hoch, nur um ins Schwarze zu starren, gespannt, wie ein Bogen.

Dann baute sich etwas vor ihr auf, die Dunkelheit versperrte ihr die Sicht, doch ihre Ohren leiteten sie. "Hab ich dich!", raunte die kratzige, rasselnde Stimme, die sie schon ein paar Mal gehört hatte und die ihr, wie jedes Mal, eine Gänsehaut verpasste.

Der Engel packte sie am Kragen, ehe sie nur die Hälfte des Geschehenen realisiert hatte und zog sie grob hinter sich her. Celine stöhnte auf, gab aber nach kurzem Protest auf. Das war es nicht wert.

Sie würde vernichtet werden, noch bevor sie den Himmel je zu Gesicht bekommen würde.

In der Ferne tauchte ein verschwommenes Licht auf und Celine war sich nicht sicher, ob ihre Tränen der Grund dafür waren, oder die plötzliche Helligkeit. Der altbekannte rote Schimmer bahnte sich seinen Weg durch den Gang. Sie schluckte.

Dann schleuderte der Engel sie unsanft zu Boden.

"Hab hier noch 'ne Ausreißerin", grummelte er. Einer seiner Kollegen kam auf sie zu. "Ach die kenne ich irgendwo her, die war beim Chef zu Besuch!" Er lachte hohl.

Allmählich hatten sich ihre Augen wieder an das Licht gewöhnt. Sie blinzelte. "Er, er hat gesagt das...", versuchte sie sich zu äußern, ihr wurde aber keine sonderliche Beachtung geschenkt.

"Machen wir's kurz? Ich hab gleich Pause", sagte der Engel, der sie gebracht hatte.

"A propos Pause, hast du irgendwas von Damian gehört? Seit gestern hab ich den nicht mehr gesehen!" 

"Komm runter, Tamiel!"

Der Kollege stutzte. "Ey, Seri, was'n mit dir los? Schlecht geschlafen? Damian hat mir ein Abendessen versprochen, der kann doch jetzt nicht einfach abhauen!"

Genervt schnaubte der Engel namens Seri.

"Ich geb's dir aus, wenn es das ist und jetzt entschuldige mich, ich hab zu tun. Und dann ist Feierabend."

Barsch packte er Celine und reichte sie wie eine Puppe an Tamiel weiter. "Mach du!"

"Mach was?", fragte Celine eilig dazwischen.

"Schnauze!", maulte Seri. "Gleich hast du's hinter dir."

"Was denn?"

Sie begann, zaghaft zu strampeln, auch wenn ihr klar war, dass es sie nirgendwo hin bringen würde.

"Dein kleines Seelchen wird gleich zu Gulasch!" Er lachte dreckig. Celines Augen weiteten sich. Ihr Blick folgte Tamiels ausgestrecktem Finger.

Sie hatte sich zu spät umgesehen. Das hier war nicht einfach nur eine kleine Grotte. Es war, als befände sie sich in einem riesigen Weinkeller. Rundum hingen flaschenartige Gebilde an den Wänden und in der Mitte des Raumes klaffte ein gigantisches Loch im Boden, aus dem feurig glühender Dampf emporstieg.

Die Seelenvernichtung.

Über dem Loch hing ein hölzerner Kasten an einem Stahlseil, gerade groß genug, dass eine Person darin Platz hatte.

"Nein", flüsterte sie. "Nein!"

Tamiel riss sie Seri aus den Klauen. Der begann an einer Kurbel zu drehen. Der Kasten setzte sich in Bewegung, wie eine klobige Seilbahn kam er auf Celine und Tamiel zu.

Der Engel riss mit seiner freien Hand den Deckel ab.

"Rein da!"

Und er schob sie in die Kiste. "Nein!"

Celine wehrte sich. Sie trat nach seinem Gesicht, versuchte, ihm in die Kralle zu beißen, aber es half nichts. "Nein! Bitte! Ich gehöre doch gar nicht–"

Seri tauchte hinter Tamiel auf und winkte mit tänzelnden Fingern. "Auf Wiedersehen, Blondie!"

Dann krachte es. Eine unerträglich helle Lichtquelle baute sich direkt hinter den Engeln auf. Celine kniff die Augen zusammen und wandte sich ab, nicht im Stande, das zu verarbeiten, was passierte.

Im nächsten Augenblick stand eine weitere Kreatur in der Grotte.

Es war Luzifer. 

Mehr oder weniger. Er sah sehr anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen brannten, Flammen traten aus den Höhlen, wie Schlangen, seine Haut glänzte weißlich und zwischen seinen Haaren brachen gewaltige Hörner aus seinem Kopf.

Eine Erscheinung, die Celine als beängstigend hypnotisierend empfand. Tamiel und Seri schien es ähnlich zu gehen. Hastig ließen sie sich vor ihrem Meister auf die Knie fallen und knickten ihre monströsen Flügel ein.

"Ihr Idioten, wollt ihr mir denn nicht einmal in eurem erbärmlichen Dasein zuhören?",  brüllte er. Seine machterfüllte Stimme hallte durch die Hölle.

"Ich habe gesagt: Blond und blauäugig ist vorübergehend ein Nein!" Die Flammen in seinen Augen wurden immer größer. Celine verkroch sich, noch immer geblendet, in ihrer Kiste. "Aber Herr Luzifer...", wimmerte Seri.

Gleich darauf schoss eine der Flammen auf ihn zu und durchbohrte seinen knochigen Oberkörper mit einem furchteinflößenden Zischen. Schmerzerfüllt brüllte der Engel und breitete seine Flügel aus.

Ein Fehler.

Der Teufel ließ zwei weitere Flammen los, die jeden Flügel einzeln aufspießten.

"Hirnloses Pack! Du wagst es, mir zu widersprechen?", kreischte Luzifer, fast schon hysterisch und fuhr seine Flammen wieder ein. Seri klappte ohne ein weiteres Wort vor den Füßen des Teufels zusammen.

Oder zumindest dort, wo sie zu vermuten waren. Luzifer stand in einer Wolke aus glühendem Licht. 

"Oh Gott, jetzt weiß ich, was mit Damian ist...", murmelte Tamiel und zerrte Celine, ohne wirklich hinzusehen aus dem Kasten. Ungeschickt stolperte sie in ihre vermeintliche Freiheit.

"Du verpisst dich!", sagte Luzifer beiläufig zu Tamiel. Das ließ der sich nicht zweimal sagen. Eilig rannte er in den Gang, durch den Celine gekommen war. Der Teufel sah ihm eine Weile lang nach, dann trat er aus der Wolke und schnippte mit den Fingern.

Augenblicklich legte sich das Feuer in seinen Augen und die Hörner sanken in seine Kopfhaut ein, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

Tadelnd schaute er Celine an. "Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst in der Hölle warten?"




In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt