Kapitel 23

182 41 21
                                    

Der Bildschirm des Laptops warf ein schummriges Licht in den Raum. Seit Stunden hockte Elle an einem Tisch der Unibibliothek, die eigentlich schon längst geschlossen war. Ihre Haare waren zerzaust, ihre Fingernägel abgekaut und in ihrem Kopf schwirrte nur eine Frage, die sie die letzten Tage beschäftigt hatte und nun geklärt werden sollte.

Wer ist Jones?

Ihre Finger flogen über die Tastatur, suchten nach der Antwort, die sie so dringend brauchte, um endlich wieder in Ruhe schlafen zu können. Doch es gab viele Dinge, die sich Jones nannten. Allein in Berlin gab es vier Eiscafés, sieben Herrenschneider und circa vierzig Facebookprofile, die sich den mystischen Namen teilten.

Seufzend scrollte sie weiter durch die Ergebnisse, die die Suchmaschine immer wieder auf's Neue ausspuckte. Es gab absolute nichts und niemanden, keine Chance, eine Verbindung zu den merkwürdigen Nachrichten herzustellen.

Müde kniff sie die Augen zusammen. Ihr Blick fiel aus dem Fenster, auf das Bild ihrer selbst, das sich wage auf dem düsteren Hintergrund der Nacht spiegelte. Lange beobachtete sie sich. Jede einzelne Bewegung, die sie machte. Langsam, zaghaft, als drohte sie bei jeder hektischen Bewegung zu zerbrechen.

Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche. Im Display starrte ihr ein paar leerer Augen entgegen, die nur noch mit Mühe aufgehalten wurden und von tiefen Augenringe geziert waren. Sie musste wirklich fertig aussehen, denn sogar ihre Gesichtserkennung konnte nichts mit der geisterhaften Erscheinung Elles anfangen.

Sie tippte also den Code ein. Es war Celines Todestag. Sie wusste nicht weshalb, aber das Datum hatte sich in ihren Kopf gebrannt und saß dort fest, unwillig sich von Elle zu lösen. Der Tag, an dem ihr Leben sich zum Schlechten gewandt hatte.

Konstant hatte sie das Gefühl, in Tränen ausbrechen zu müssen, doch es kam nach all den verheulten Stunden im Badezimmer einfach nichts mehr aus ihr heraus. Und niemand war bei ihr gewesen, keiner ihrer Vertrauten war gekommen, um ihr Beistand zu leisten und es waren diese Momente gewesen, in denen Elle realisiert hatte, dass sie kein Stückchen besser als sie gewesen war.

Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern, jemals ein ehrlich gemeintes Kompliment an Celine gerichtet zu haben. Oder ihr jemals dafür gedankt zu haben, dass sie existierte, ihr klar gemacht zu haben, dass ihr wirklich etwas an dem kleinen blonden Mädchen gelegen hatte.

Sie öffnete den Messenger und starrte unschlüssig auf die Nachrichten.

Ich kenne Sie.

Die Hölle, können Sie mir etwas darüber erzählen?

Elle schüttelte den Kopf. Nein, das konnte sie nicht. Sie hatte keine Ahnung wovon Jones sprach und doch fühlte sie sich so schuldig, so fehl am Platz, als würde sie ihr so erbärmliches Leben nicht verdienen.

Sie stecken mittendrin.

Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Je länger sie die Nachrichten durchlas, desto stärker verbreitete sich in ihr der Gedanke, der Teufel hätte sie angeschrieben.

Sie sind mir wichtig.

Werden Sie ein besserer Mensch, für mich.

Für wen? Sie schluckte. "Wer bist du?", murmelte sie. Elle schloss die Augen und legte den Kopf auf die Tastatur. Eine undefinierbare Buchstabenkette erschien in der Suchzeile. Sie hatte den Namen Jones schon einmal gehört. Sie war sich dessen so sicher, dass sie ihre Kontaktliste unzählige Male durchgegangen war. Jedes soziale Netzwerk hatte sie durchstöbert.

Doch das, was sie sich so sehnlich wünschte, lag verborgen vor ihr und plante augenscheinlich nicht, sich zu offenbaren.

"Ich bin doch verrückt"

Wahrscheinlich doch Spam. Sie konnte und wollte sich darauf nicht festlegen.

Irgendetwas musste sie übersehen haben. Und so fand sie sich wieder im Netz. Auf Facebook, Twitter. Felder, die sie schon längst überquert hatte.

In ihrer Verzweiflung loggte sie sich sogar bei Ebay ein, auch wenn sie die Hoffnung im Prinzip schon aufgegeben hatte.

Ein Fehler.

Die Chatverläufe ihres Profils.

Ich habe das Gerät gerade auf den Weg geschickt. Müsste so in zwei/drei Tagen ankommen. Schönes Wochenende Ihnen

LG

Jones

In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt