Kapitel 27

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Entgeistert starrte Elle ihr Handy an. Noch vor wenigen Stunden war sie in der Unibibliothek auf das gestoßen, was sie ewig gesucht hatte und nun das.

Die Nachrichten waren überhaupt nicht an sie gerichtet gewesen. Die Angst, das unerklärliche Unbehagen...für nichts und wieder nichts.

Daniel Jones.

Er hatte ihr vor einigen Wochen sein Handy auf Ebay verkauft und sie hatte seine Nummer übernommen. Elle hätte sich ohrfeigen können, da nicht von selbst drauf gekommen zu sein.

Sie hielt inne. Nein, es ergab doch keinen Sinn. Die Nachrichten kamen von Jones. Sie adressierten ihn nicht. Oder etwa doch? Sie war überfordert. Vielleicht ein Familienmitglied. Bruder, Vater, Tante? Das würde die Persönlichkeit der Nachrichten erklären.

Elle schüttelte den Kopf. Warum kümmerte sie sich überhaupt noch darum? Es ging sie absolut nichts an. All ihre Theorien konnte sie getrost über den Haufen werfen. Sie musste unwillkürlich lachen.

Zu Beginn hatte sie ernsthaft gedacht, Celine würde ihr aus dem Himmel schreiben.

Wie naiv.

Elle zögerte, dann klappte sie den Laptop zu, stopfte Smartphone und Geld in ihre Tasche und verließ das Haus. Sie wusste nicht, was sie sich dabei dachte, aber sie wollte mit jemandem sprechen. Jemanden, den sie erst wenige Male getroffen hatte.

Celines Vater.

Sie stieg ins Auto und schaltete das Radio ein. Michael Jackson sang von Weltfrieden und Lebensfreude. "Nett", dachte Elle und drehte die Lautstärke auf null.

Es war früh am Morgen. Vögel zwitscherten, die Straßen waren leer, nur vereinzelte Lieferwägen hielten vor Bäckereien und Supermärkten. Elle hatte vielleicht zwei Stunden geschlafen und unterdrückte ein Gähnen nach dem anderen.

Dann bog sie in die Sackgasse in Berlin Wannsee ein, in der das große, rustikale Einfamilienhaus der Hellmanns stand. Kaum, dass sie geparkt hatte, wurde ihr flau im Magen.

War das hier eine gute Idee?

Vermutlich nicht. Sie stieg aus und drückte sachte die Autotür zu, um möglichst wenig Lärm zu verursachen.

Es war ein altes Haus, umgeben von einem morschen Holzzaun, dessen Lack schon bessere Tage gesehen hatte. Vor der Haustür lag eine Fußmatte, auf der Pfotenabdrücke zu erkennen waren. Daneben standen fein säuberlich aufgereiht Schuhe und Blumentöpfe.

Elle war sich nicht einmal sicher, ob Celine Vater zu dieser Zeit schon wach war, trotzdem betätigte sie nach einigem Zögern den Klingelknopf, der hinter Efeu blättern versteckt in der steinernen Außenwand angebracht war.

Noch während sie den Finger zurückzog, wurde die Tür ruckartig aufgerissen. Vor ihr stand der Mann, den Elle seit dem ersten Treffen irgendwie fürchtete. Augenblicklich bereute sie, gekommen zu sein.

Celine Vater sah sie von oben herab an. Er trug einen Anzug und Kravatte.

"Oh, Entschuldigung, wollten Sie irgendwo hin?", fragte Elle eingeschüchtert. Der Mann schüttelte den Kopf. "Komm rein, Elle", sagte er mit monotoner Stimme und trat seufzend zur Seite, um sie eintreten zu lassen.

Das Haus wirkte von innen verwahrloster als von außen. Staub schichtete sich auf den Oberflächen, eine Weihnachtsgirlande wickelte sich um das Treppengeländer und das Licht im Flur flackerte.

Ohne ein weiteres Wort zu sprechen verschwand Herr Hellmann in der Küche am Ende des Ganges. Unsicher folgte sie ihm. "Also...Herr –" Celines Vater winkte ab. "Sag einfach Theo"

Er ließ sich auf einem Barhocker nieder, ein Bier in der Hand. "Du auch?", fragte er.

Elle schüttelte den Kopf. "Also...Theo", setzte sie nochmal an. "Wie gehts es Ihnen, seit...Sie wissen schon." Er kratzte sich am Kopf, bevor er mit einem Schulterzucken antwortete.

"Wissen Sie, ich hab noch ein paar Sachen von Celine in meinem Auto...wollen Sie die vielleicht haben?"

Theo Hellmann schwieg. Dann sagte er:"Nein, du...du kannst sie behalten."

Elle nickte. "Wo ist denn Ihre Frau?"

"Wir haben uns getrennt", sagte er, wie aus der Pistole geschossen. "Oh", machte sie. "Das tut mir Leid"

"Weißt du, was sie gesagt hat?", fragte er und sah müde von seiner Dose auf. Elle schüttelte langsam den Kopf, unsicher, was folgen würde.

"Du hast ihr mein Auto gegeben? Bist du bescheuert? Du wirst es nicht glauben, aber das hat Geld gekostet!", äffte Theo seine Frau nach. Sie schluckte. "Wirklich?", flüsterte sie, erschrocken über das, was sie da hörte.

"Sie ist nicht einmal zur Beerdigung gekommen, die alte Schnepfe."

Elle hatte das Gefühl, ihn trösten zu müssen, sie hatte bloß keine Ahnung, wie. Der Familienkater taumelte träge in die Küche und machte sich gierig über den kleinen Napf her, der auf Zeitungspapier in der Ecke stand.

"Immerhin haben Sie noch Asterix", lächelte Elle, froh darüber, das Thema wechseln zu können. Aber Theo schien noch nicht fertig zu sein.

"Weißt du, ich war vielleicht streng zu ihr, aber ich wollte doch nur, dass etwas aus ihr wird. Als sie mit ihrer Theaterrolle zu mir kam, da war ich so stolz auf sie..."

Elle schluckte und dachte darüber nach, wie unangenehm der Abend für sie sein sollte, an dem das Phantom der Oper im Unitheater aufgeführt werden würde.

"Sie tanzt jetzt im Himmel...das ist doch auch etwas!" Aufmunternd lächelte sie den Mann an, auch wenn dieser es gar nicht bemerkte.

"Anderes Thema...Kennen Sie vielleicht einen Daniel Jones?"

Theo blickte auf. "Jones", murmelte er. "Ja, den Namen hab ich schonmal gehört...Ein Bibliothekar aus Köln ist mal in meinen Betrieb gekommen, er brauchte ein spezielles Kinderbuch."

Aufgeregt nickte Elle. Sie wusste, dass Celine Vater Leiter eines Literaturbetriebs war.

"Der Typ hatte 'n kleinen Jungen dabei, ich meine der hieß Daniel."

"Wie lange ist das her?", hakte Elle nach, während sie Theo mit großen Auge anstarrte.

"Uff, bestimmt 13 Jahre oder länger, wieso?"

Sie knickte in sich zusammen. Das musste er sein. Sie erinnerte sich an das Profil auf Ebay. Daniel Jones hatte ihr sein Alter genannt: 24.

"Wissen Sie noch, wie der Vater hieß?"

Theo überlegte kurz. Asterix sprang mit einem halbwegs eleganten Satz auf den Tresen und hinterließ sandige Abdrücke.

"Patrick...oder so. Auf jedenfall P."

Elle sprang auf. Das musste es sein. Ein Verwandter. Aber war es möglich? Konnte das sein? Bestimmt nur ein Zufall.

"War schön, mal mit jemandem zu reden", sagte Theo noch, aber Elle war schon auf dem Weg zur Haustür.

In der Hölle ist Champagner gratisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt