Chapter 1

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23.59. Das Ziffernblatt derWohnzimmer-Uhr leuchtete rund 15 Menschen ins Gesicht, die sich alleirgendwie um den viel zu kleinen Tisch gequetscht hatten. Es war soweit, in ein paar Minuten sollte ich 24 Jahre alt werden und ehrlichgesagt hatte ich große Angst davor. Angst vor der Veränderung, vorallem was in der nächsten Zeit passieren sollte. Kleiner Throwback,in die letzten paar Monate, nur um schätzen zu können, wo ich jetztstehe. Vor genau 3 Monaten habe ich den Brief bekommen. Den einenBrief, der meines Erachtens mir meinen Lebenssinn geben sollte. Ichwurde für das Medizinstudium zugelassen. Kleines Problem: in Ungarn.Nachdem ich vergebens versucht hatte in Deutschland angenommen zuwerden, hat die Zeit nicht still gestanden. Gesetze haben sichverschärft, weil immer mehr Pflegekräfte nach ihrer Ausbildungstudieren wollten. Ein paar Stunden zu spät die Bewerbungabgeschickt und Plan C musste her. Wie ein Wunder ist mir ein Flyerzugeflogen und schon ein paar Wochen später hatte ich eine Zusage.Ich habe literally auf dem Tisch getanzt und die letzten Monate binich mit einem Kribbeln im Bauch aufgewacht. Nun ja jetzt war es soweit. Der letzte Sommer in Deutschland bei meinen Freunden, meinerFamilie ist angebrochen und ich habe jeden Moment mit ihnenverbracht. Ja und jetzt stehe ich hier, umkreist von den engstenFreunden und meinen Eltern, naja und meinem Freund, also naja oder soähnlich?

Es war wirklich kompliziertzwischen uns. Wir haben uns, wo auch sonst, auf der Arbeitkennengelernt. Er ist Physiotherapeut und hat auf meiner Station –der Stroke einen Patienten versorgt. Er war echt witzig und hat michzum lachen gebracht, naja und er sah schon echt verdammt gut aus.Braun gebrannt, dunkele Augen, schwarze lockige Haare, ein Traum.Emre und ich haben uns gedatet, haben viele Spaziergängeunternommen, ich habe ihm sogar meinen Vater vorgestellt, derwidererwarten total begeistert von ihm war. Das ist jetzt 6 Monateher und wirklich darüber gesprochen, ob wir jetzt zusammen warenoder nicht, haben wir bis heute nicht. Ich weiß nicht, ob mir etwasfehlt, weil einfach alles perfekt ist, aber ich will mich einfachnicht festlegen. „10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, HAPPY BIRTHDAY"Das Wohnzimmer erbebte fast durch den Countdown. Emre nahm mich festin den Arm, gab mir einen schnellen Kuss auf die Lippen, als meinVater gerade die Schokotorte betrachtete und sich den obersten Tellerergatterte. Als nächstes stürtzte mir Sandra in die Arme: „Alles,alles erdenklich Gute." Ich drückte sie zurück „Vielen Dank",nach der Reihe gratulierten und umarmten mich meine Mutter, Anni,Sari, Inola, Riri, Baba, Jana, Büsra, Sophie, Astrid, Viki, Meysamund Angelina. Ich war so glücklich, dass sich zu allen meinerengsten Freunde sich der Kontakt gehalten hat. Aber natürlich solltemeine eigentliche Geburtstagsparty am Samstag nicht fehlen, worauf inletzter Zeit immer mehr Lust drauf hatte. Erst wollte ich das garnicht, jedoch haben mich Jana und Sari überredet und es standen echtviele Menschen auf der Gästelliste. Meine Mama ergriff das Wort„Lara ich muss sagen, wie stolz ich auf dich bin. Du hast deinLeben im Griff und kannst endlich deinen Traum leben! Wir dachten zumAbschluss machen wir dir eine große Überraschung. Wir alle habenGeld zusammen geworfen, um dir einen ganz besonderen Traum zuerfüllen, wir wissen doch worauf du seit Jahren sparst." Sariüberreichte mir ein wunderschönes Kuvert – sie war so unglaublichkreativ. Auf dem Umschlag hatte sie mühselig eine schwarz-goldeneLandkarte gemalt und obendrauf prankte ein weißes Flugzeug. Ich warverwirrt. Was könnte da wohl drin sein? Langsam öffnete ich denUmschlag. Erst rieselte ein wenig Glitzer heraus, dann zog ich zweiKarten heraus. Ich las mir sorgfältig die Aufschrift durch. Boardingtickets FMO-ISTANBUL-NEW ORLEANS (USA). Unsicher,ob es ein Scherz sein sollte, drehte ich die beiden Karten hin undher. Waren es echte Tickets? Das muss doch ein Vermögen gekostethaben... Emres Augen leuchteten mir entgegen. „Was sagst du dazu?Es war meine Idee, du hast doch immer davon gesprochen, dass du ineine kleine Bar gehen willst, um Jazz Musik hören zu können. UndNew Orleans ist nun mal die eine Stadt dafür." Ungläublichstarrte ich in die Runde. Alle sahen mich erwartungsvoll an. „Und?Jetzt sag doch was" sagte Sandra ungeduldig. Nachdem noch ein paarSekunden vergangen sind, und ich endlich realisiert hatte, was siemir geschenkt hatten fing ich an zu weinen. Ich wusste nicht, wen ichzuerst umarmen sollte, bei wem ich mich zuerst bedanken sollte...also stand ich einfach mitten im Kreis und weinte einfach nur. „Dasist unglaublich... danke" war das einzige was ansatzweise deutlichaus meinem Mund kam. Meine Mama nahm mich in den Arm und nacheinanderschlossen sich immer mehr Leute dieser Gruppenumarmung an. „Wirwerden dich so sehr vermissen!" Meine Mama bekam einen sehrtraurigen Blick. „Ich werde euch so oft besuchen, wie möglich."Ich weinte noch ein bisschen mehr. „Jetzt musst du nur nochentscheiden, wen du mitnehmen möchtest... da wir dir das ja allezusammen geschenkt haben." Emre beugte die Karten in meiner Hand.„Dein Papa und ich sind schon mal raus, wir dachten du willst dieZeit vielleicht mit deiner besten Freundin verbringen oder mit deinemFreund." sagte Mama vorsichtig. Ich schaute zu Boden „meinFreund" also... Sah er das auch so? Muss ich ihn jetzt mitnehmen.In meiner Brust bildete sich ein Knoten. Warum ging es mir soschlecht, wenn ich daran denken musste, ihn mitzunehmen. „Kannstmich ja mitnehmen." sagte Meysam lachend, verstummte aber als erden strafenden Blick meines Babas wahrnahm. Emre starrte micheindringend an. „Naja es war ja meine Idee.. wäre ja nur fairoder?" Er legte einen Arm um meine Hüfte und zog mich an ihn ran.„Ich, ähm ... Baba wäre damit sicher nicht einverstanden,richtig?" Ich schaute Baba hilfesuchend an, der gerade ein paarLindt-Kugeln verputzte. Ertappt schaute er mich an, „Hmmm.. ichvertaue Emre, wir haben alles geklärt." Mein Herz sackte mir indie Hose. Sollte das ein Scherz sein? Ich durfte vor einem Jahr nochnicht mal meine männlichen Freunde umarmen und jetzt soll ich mitirgendeinem Typen in ein anderes Land fahren, was nicht malmuslimisch geprägt war? Was sollte denn der Dreck. Mit schnischendenZähnen schaute ich in die Runde. Emres Gesicht strahlte so hell, eshätte den Mond in der Nacht ersetzen können. Aufdringlich gab ermir einen Schmatzer auf die Stirn, während ich ihn gequält ansah.„Dann wäre es ja geklärt, puh dachte schon, dass es dir schwererfällt. Naja willst du jetzt endlich die Torte anschneiden? Ich mussden endlich probieren." Er drückte mir ein Messer in die Hand undschob mir förmlich zu der Torte hin. In mir drin war es fasttotenstill. Ich war gar nicht begeistert von der Idee. Mir vielen aufeinen Schlag fünzig Gründe ein warum ich nicht mit ihm wegfliegenwollte. Und der eine war besser als der andere. Während meineFreunde tausend Fotos von mir machten, meine Kamera förmlichauseinander nahmen und wir alle posierten, was das Zeug hielt,schnürrte sich meine Kehle immer mehr zu. Nach ca. einer Stundeverabschiedeten sich meine Eltern und war alleine mit meinenFreunden. Emre drückte Sandra zwinkernd sein Iphone in die Hand, mitder Erklärung, dass er mal ein paar neue „Pärchenbilder" vonuns brauchen würde. Sandras Blick beugte mich, sie wusste, dassirgendwas nicht stimmte, aber sagte nichts. Emre hatte tausendFotoideen: er umarmte mich von hinten, küsste mich auf die Stirn,trug mich in seinen Armen. Die ganze Zeit sagte ich kaum ein Wort undlächelte gekünstelt in die Kamera. Nachdem Sandra ihm sein Handywiedergab, mit der Erklärung, dass er keinen Speicherplatz mehr habeund sie drinegnd eine Rauchen müsse, nahm er es widerwilligentgegen. „Lara kommst du mit? Ich will nicht alleine nachdraußen." Gerade als ich antworten wollte, sprach Inola mirdazwischen „Warte ich komme auch, ich muss auch dringend wiedereine rauchen." Sandra schaute mich eindringlich an und ichschüttelte fast unmerklich den Kopf. „Ne lass mal, ich muss Laraauch noch kurz was sagen, wegen etwas." Inola setzte einenSchmollmund auf, aber begab sich wieder auf das Sofa, ohne zudiskutieren. Ich nahm meine Jacke und folgte ihr aus dem Haus nachdraußen. Im Garten war wieder der Pavillion aufgebaut und über derSitzecke, baumelte eine Lichterkette. Sandra zündete sich eineZigarette an und schaute mich eindringlich an. „So und jetzt sagstdu mir was los ist." Ich versuchte unschuldig zu schauen. Wassollte ich dazu jetzt sagen? „Was meinst du?" Sandra schaute michgenervt an. „Du weißt genau, was ich meine. Jetzt fang nicht schonwieder so an." Ich setzte mich seufzend auf den Gartenstuhl. „Achwas soll ich dazu sagen. Ich weiß nicht, ob ich mit ihm dahinfliegen will. Außerdem dürfte ich ja nicht mal entscheiden, ob ichihn mithaben will. Ich weiß ja nicht mal, was das mit uns jetztist." Sandra pustete langsam den Rauch aus ihrer Lunge. „Also ichdenke schon, dass er es ernst mit dir meint, aber ich habe dasGefühl, dass du dir nicht sicher bist, was du willst. Ich meine, mansieht, dass er dich liebt und anfangs hattest du ja auch einen großenCrush auf ihn." Ich schaute zum Esszimmerfenster. Ich konnte dieSchatten der Gäste sehen und die Musik und das Gelächter warenunüberhörbar. „Ich habe ja auch Gefühle für ihn- ehrlich. Najaoder glaube ich... ach ich weiß es doch auch nicht." Kurze Stille.„Vielleicht solltest du mal mit ihm reden. Es bringt ja jetzt auchnichts, einfach mit ihm wegzufliegen und den Urlaub sozusagen zuverschwenden. Damit wird es dir nicht besser gehen." Ich seufztekurz. Mir war das ja alles bewusst, aber ich wollte einfach malglücklich sein und hey, er war echt perfekt. Er verkörpert alles,was ich in einem Mann gesucht habe. „Rede mit ihm, es ist sonstunfair ihm gegenüber" fügte Sandra noch hinzu. „Ich weiß. Aberich dachte, dass er perfekt für mich ist." „Scheinbar nicht."Sandra trat ihre Zigarette aus und ging langsam wieder Richtung Tür.Kurz vorher drehte sie sich nochmal um und umarmte mich. „Duschaffst das!" sagte sie und ging ins Haus. Ich stand noch kurzdraußen auf der Treppe und schaute hinauf in den Himmel. Werde ichjemals jemanden über alles lieben? Wie soll ich jemals so jemandenfinden? Mich jemanden so anvertrauen und diese Beziehung pflegen? Wieschaffen es andere? Eine Sternschnuppe flog vorbei. Ich schloss dieAugen und sagte in Gedanken meinen Wunsch auf. „Bitte" flüsterteich dem Himmel entgegen, bevor ich mich umdrehte und durch dieHaustür hindurch trat.


Um 4 Uhrverabschiedeten sich Sandra, Ann und Inola mit einer dicken Umarmung.„Danke für den schönen Abend." sagte ich glücklich. Sandraschaute erst zu Emre, der auf dem Sofa saß und durch seine Galleriescrollte und dann auffordernd zu mir. „Ja ich regel das."flüsterte ich ihr zu und schloss anschließend, mich nochmalbedankend die Tür. Ich atmete einmal tief durch und ging zurück insWohnzimmer, um mich neben Emre zu setzen. Ich stütze unentschlossenmeine Hände auf die Oberschenkel und sog schwer Luft ein. Emreschaute mich an und knuffte mir in die Seite. „Na canim?" Inseinen Augen lag dieser Glanz, den verliebte normalerweise trugen.Ich war mir sicher, dass ich das nicht hatte. „Also..." begannich meinen Vortrag, er ließ mich jedoch nicht aussprechen. Er zogmich näher an mich ran und schaute mir tief in die Augen. „Wirsind jetzt alleine..." raunte er mir in mein Ohr und fing an meinenHals zu küssen. Mir wurde abwechselnd kalt und wieder heiß. „Najatechnically liegen meine Eltern genau über uns." Er ignoriertemeine Aussage und machte einfach weiter. „Sie könnten jeden Momentrunterkommen." Außer ein kleines „hmmm" bekam ich keineAntwort. Der Kloß in meinem Hals wuchs und ich setzte mich ein Stückzurück. Nun schaute er mich endlich an. In seinem Blick lag eineMischung aus Sorge und genervt sein. „Canim, was ist los?" Ichwollte gerade antworten, da führte er seine Frage weiter aus. „Dassind deine Verlustängste oder? Das mit der Uni ist ein riesenSchritt, ich weiß. Das ist ein ganz anderes Land, weit weg vondeinem Umfeld, vom mir. Aber du schaffst das. Ich glaube ich an dich.Du bist der stärkste Mensch, den ich kennenlernen durfte. Naja außerder eine Patient, der nach 5 Jahren aus dem Wachkoma aufgewacht istund jetzt als Manager von einer großen Firma arbeitet..." Erzwinkerte mir belustigt zu. Ich musste auch kurz grinsen. Ich mochteseinen Humor von Anfang an. Zudem kann er so gut mit Menschenumgehen. Er ist so ein guter Typ. Trotzdem ist er nicht der Richtige,denke ich... Er nahm meine Hand und küsste meinen Handrücken. „Ichdenke ich sollte jetzt gehen. Ich schreibe dir, wenn ich Zuhause bin,okay?" Ich nickte ihm zu und guckte ihm hinterher, bis ich dieHaustür ins Schloss fallen hörte. Ich saß noch ein paar Minuteneinfach so da und starrte auf das leere Kuchentablett. New Orleansalso. Mein Herz schlug für einen kurzen Moment schneller. Ich hobdie Tickets vom Tisch und schaute sie mir nochmal an. 3 Wochen durfteich dort Zeit verbringen... Die Tickets müssen ein Vermögengekostet haben. Ich nahm mein Handy und googelte New OrleansSightseeing. Es erschienen mir viele verschiedene Märkte, Statuenetc. und eine kleine Bar. Sie sah perfekt aus. Eine kleine Jazz-Baram Rande der Stadt – das was ich schon immer mal besuchen wollte.Ich grinste. Auf meinem Display erschien eine Nachricht von Sandra.„Bin Zuhause. Hast du mit ihm gesprochen?" Mein Lächelnversiebte, während ich die Nahchricht zuende las. Natürlichnicht... Was sollte ich ihm auch sagen? Ich wusste ja nicht malwirklich, was ich fühlte. „Nein noch nicht." antwortete ich ihrknapp. „Dann wird es langsam Zeit." Ich weiß, aber ich braucheZeit, dachte ich. Langsam ging ich nach oben in mein Zimmer, totalfertig von dem Abend. Ungeduldig schminkte ich mir meine Smokey eyesab, schmiss mein rotes Kleid in die Ecke und legte mich ins Bett.„Das kann ja noch was werden, dachte ich während ich mein Handy anmein Ladekabel anschloss und neben mich legte. Ich drehte mich aufmeinen Bauch, machte die Augen zu und schlief direkt ein.

Diese Reise sollte das größte Abenteuer meines Lebens werden und gleichzeitig das Schlimmste. Niemand würde ahnen, welche große Bürde auf meiner Schulter lastete, Niemand wusste bis jetzt, dass mein Leben am seidenen Faden hing und ich schon bald Entscheidungen treffen würde, die Tod und Leben miteinander verknüpfen sollten. Schmerz, Trauer und Wut sollten meine innigsten Begleiter werden und mein Überlebenswunsch würde stetig nachlassen. Mein Schicksal war vorgeschrieben und doch bestand eine kleine Hoffnung, dass ich dem Tode entrinnen könnte. All das stand mir bevor und ich hatte nicht einmal den blaßesten Schimmer davon.

New Orleans - eine dunkle LeidenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt