Ich schaute durch das mit roten Vorhängen benetzte Fenster tief in die Nacht hinein. Meine Augen waren in der Lage jede kleinste Regung festzustellen, alles was auf ein Lebenszeichen hindeuten konnte. Vorsichtig schwenkte ich den Scotch in meinem Glas hin und her, doch trotzdem rannen ein paar Bahnen über das kühle Glas auf meine noch viel kälteren Hände. Langsam setzte ich den Drink an meinen trocknen Lippen an, ohne die Silhuette zu verlieren. Ich erlaubte mir nicht nur das kleinste Detail zu missen. Mit einem Schaudern über den Schultern katapultierten mich meine Gedanken zu dem Abend, als sie verschwunden war. Diese Leere, mit der sie mich durch den Spiegel anschaute, dieser abgrundtiefe Hass, so derb, als wolle sie ein Stück ihrer Leere, ihrer Angst in mir zurücklassen wollen. Wie ein Lager voll mit ihren Emotionen, mit meinen. Die Regale füllten sich mit dieser unbeschreiblichen Schwere und ich konnte weiß Gott nicht garantieren, dass sie nicht brachen. Sandra und ich hatten uns angeschaut, ohne den anderen überhaupt wirklich wahrzunehmen. Ihre Hände hatten gebrannt, lichterloh, als sei sie eine Hexe, verdammt auf dem Scheiterhaufen. Diese Gefühle hatte ich noch nie in meinen tausenden Jahren gefühlt. Mit einem Schluck leerte ich mein Glas, um das Brennen in meinem Hals noch stärker zu fühlen. Ich hatte nichts mit mir anzufangen gewusst... Versunken in meinem Fahrersitz, starrte ich letztlich auf meine Hände, die das Lenkrad fest umschlossen hatten. Vermutlich war es Einbildung, doch auch ich spürrte meine eisigen, vom Tod geküssten Finger brennen. Sandra hatte sich als erste geregt. Nervös fuhr sie über ihre Haarsträhne, die ihr aufgeregt ins Gesicht fiel und ihr die Sicht verwehrte. Ohne jeden Ausdruck in ihrem Gesicht stieg sie einfach aus, stand draußen und versuchte vermutlich dem Wirrwarr aus Gedanken zu fliehen. Nach gefühlt einer Ewigkeit stieß ich die Tür auf, die mit einem lauten krachen auf die geteerte Straße donnerte. Selbst die letzte Schraube hatte ihren Geist aufgegeben. Langsam legte ich meine Hände auf die schwarz-matte Motorhaube und fing an den Wagen an die Seite zu rollen. Ein weiterer Reifen platze und immer mehr undefinierbare Teile verteilten sich am Straßenrand. In meiner letzten Mühe rief ich für Sandra ein Taxi und stürmte los. Meine Beine trugen mich über Felder und Wiesen, ich fühlte mich mit 300 kmh über den Boden schweben, denn der Gravitation war ich nicht zugehörig. Nun und jetzt saß ich hier, hier in dem Männersalon, wie ihn mein Vater einst benannte. Keine Frau durfte auch nur ihre Zehenspitzen in diesen in dunkelem Mahagoni gehaltenem Raum Eintritt gewähren... außer sie hielten ihren Mund und hielten keinen Gegenstand meines Vaters Gelüste. Mein Körper spürte die Vibrationen ihrer kreischenden Stimmen und meine Augen vermochten die geronnen Blutstropfen auf dem Teppich unter meinen Füßen zu sehen. Mein Rückrat schmerzte, wenn ich daran dachte, wie mein Vater meine kleinen Brüder gegen die Wand schmetterte. Ihre kleinen Gesichter waren geformt von Schmerz, diese junge Leichtigkeit hatten sie nicht einmal in die Wiege gelegt bekommen. Doch wie nur? Mutter war früh gestorben und selbst wenn sie es nicht wäre, hätte sie sich vermutlich nichts sehnlicher gewünscht, als in einer Realtität zu leben, die einem stetig anhaltendem Schmerz glich. Eine Seele, die über den verstaubten, mit Blut verschmierten Boden kroch und um Vergebung winselte und doch nie erhört wurde. Womit hatte ich es verdient? Wieso durfte er letztlich sterben, wieso durfte er nach all den Qualen, die er uns täglich, stündlich bereitete einfach gehen? Wir hatten das Fenster geöffnet, vielleicht um die Seele in die Natur fortfliegen zu lassen, wie Pastor es immer geraten hatte.. oder einfach nur, um nach Jahrzehnter der Misshandlung, der Reue nicht geflohen zu sein oder seine Geschwister geschützt zu haben endlich einmal durchatmen zu können. Doch er hatte vermutlich das erreicht, was er sich immer gewünscht hatte, selbst nach seinem Ableben zeriss uns eine Stille, eine Leere. All die Narben, all die Fleischwunden hatten sich tief in uns gebrannt und sie blieben. Der Schmerz hatte in uns Zuhause gefunden, als seien wir besessen von ihm. In mir stichelte eine Flamme, sie bahnte sich den Weg zu meinem Herzen und bevor ich einen Atemzug nahm, schlug ich mein Glas gegen die Wand. Gegen die selbe Wand, gegen die er Klaus gestellt und gewürgt hatte. Gegen die Wand an der ich das erste Mal meine Hand gegen ihn erhob, nur um kurz darauf fast an einem Messerstich in meinem Bauch zu verbluten. Die Leere, die ich in Lara gesehen hatte, war vielleich auch nur der Spiegel meiner eigenen und nur deshalb erschauterte ich bis ins Mark. Niemals hatte ich gedacht jemand könnte so empfinden, wie ich. Vielleicht spürte sie genau wie ich den Ballast der Welt auf ihrer Schulter. Ballast, der sie auf die Erde drückte, vermutlich nicht mehr lange...
Das aufbrausende Gemüt meines Bruders schlug in feurigem Elan die Salontür auf. "Was zur Hölle machst du hier drin?" Klaus tief dunkelen Augen blitzen mich an. Ich schaute an ihm vorbei, besah mir erst die Scherben, bevor ich ihm antwortete. "Bruder, ich brauchte etwas Abstand von der Welt." "und dann suchst du ihn dort, in der wir jahrelang die Hölle auf Erden erfahren haben? Ich habe diesen Raum vor Jahrhunderten verbarikadiert und das mit gutem Grund. Wie kannst du hier ruhen, wenn ich immer noch unser Geschrei verhören mag, mit dem wir unsere Unschuld verloren?" zornig brüllte er mich an. Doch ich vermochte wann immer ich wollte hinter seine Fassade zu blicken und das einzige, was sich dort versteckte, war tiefer Selbsthass. Kalt blickte ich ihn an. "Wir sind ohne Unschuld geboren worden." Er musterte mich, doch seine Wut schoss immer wieder aus ihm hervor. "Wir hätten welche gehabt, wenn er uns nicht wie ein Monster zusammengeschlagen hätte. Ich wuchs mit diesen Narben am Körper, sie wuchsen mit mir mit." Rasch schob er sein Tshirt ein Stück nach oben und eine riesige Narbe erstreckte sich von seinem Bauchnabel bis hin zur Brust. Doch auch links und rechts konnte ich die leichten Abdrücke mehrer Messerstiche wahrnehmen. "Klaus unser Bruder Richard ist mit 5 Monaten gestorben, da er den Druck auf seinem kleinen Kopf nicht standhielt. Amalia hat sich mit 5 Jahren vom Nachtturm gestürtzt. Wenn sich selbst eine 5-jährige das Leben nimmt, denkst du in einem von uns sollte Unschuld gesteckt haben?" Ich musterte die Tattoos an seinem Unterarm. Er war von oben bis unten mit Symbolen gepflastert. Mein Blick visierte bewusst die Zeichung eines kleinen Turmes an, in dessen Fenster ein kleines Mädchen mit wallenden Haaren abgebildet war. Vorsichtig strich er über seine Haut, als wolle er sie streicheln, ihr Mut zusprechen. Doch dafür war es längst zu spät. In seinem Gesicht sah ich den Kampf, den er mit sich austrug. Hass und Wut erhoben ihre Messer, doch der einzige der verlor, war letztlich Klaus. Ohne nur einen weiteren Ton zu verlieren, richtete ich meinen Blick auf den Waldweg draußen. Nichts rührte sich. "Wir müssen Sandra weiter trainieren. Ich spüre ihre Kraft, wir müssen sie stärker machen. Nach alldem, was Lara ausgeführt hat, brauchen wir bessere Strategien." Er knackte geräuschvoll seine Hände und übertünchte damit seinen Schmerz. Mir war in diesem Moment alles egal. Meine Gefühle hatten mich vereinnahmt. Tief in mir sehnte ich mich nach der Nähe, die Nähe, die ich erst vor kurzem verspürt hatte. Und doch war mir bewusst, dass ich sie für eine lange Zeit nicht erhalten könne. Langsam zuckte ich meine Schultern. Soll Klaus sich damit ablenken. Da er spürte, von mir nichts erwarten zu können, schoss er in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei, vermutlich, um sich direkt an die Arbeit zu machen. Ich blieb hier, in meiner Einsamkeit.
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New Orleans - eine dunkle Leidenschaft
VampiroLaras Leben wandelt sich um 360 Grad. Endlich hat sie einen Platz an einer Universität bekommen, um endlich Medizin studieren zu können und damit ihren Traum wahr werden zu lassen. Das einzige Problem? Für ihr Studium muss sie nach Ungarn ziehen. Do...