15 - Die Zwerge

73 11 2
                                    

Ein kühler Wind blies von Norden in die Stadt und ließ alle anderen etwas frösteln, Lenoa jedoch machte es nichts aus. Für sie war der Luftstrom in Richtung Süden wie ein Versprechen, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Trotzdem war die Stimmung gedämpft, als sie noch vor dem Frühstück alle aufsaßen und ohne großen Abschied losritten.

In der Stadt wusste niemand von ihrer Mission und sie wollten los, bevor das Treiben auf Nar Ledias Straßen begann. Jeder saß auf einem eigenen Inyanza, außer der Zwerg Paradur, der zu klein für die stämmigen, breitschultrigen Inyanza der Menschen war. Ein kleineres Reittier passend für seine Größe würde nicht mithalten können, also saß er hinter Arian im Sattel.

Lenoa wusste, dass dies am Stolz des Zwerges kratzte, aber keiner der anderen schien sich darum zu kümmern. Sie stieg auf das Inyanza Niela, das sie sich am Vortag ausgesucht hatte. Das Tier schien etwas nervös zu sein, doch Lenoa strich ihr beruhigend über den Hals und sobald sie in Bewegung waren, wurde sie ruhiger.

Eigentlich hatte sie abermals einen der langweiligen und schweigsamen Tage erwartet, wie sie sie zwischen Kla'zan und Nar Ledia erlebt hatten, doch zu ihrer Überraschung irrte sie sich. Ob es an der fehlenden Cyvas lag, die beinahe immer einen besorgten Gesichtsausdruck hatte und selten mehr als drei Worte am Stück sagte, oder an ihren neuen Wegbegleitern - man konnte die Stimmung beinahe als ausgelassen bezeichnen.

Besonders, als sie im Osten die Sonne aufgehen sahen und diese die Nebelschwaden über dem Boden vertrieb, hellte das die Stimmung auf. Die hellen Strahlen spiegelten sich im Fluss wider, der nördlich von hier in den Rosensee mündete und dem sie flussaufwärts in Richtung Süden folgten.

Arian hatte gute Laune und scherzte und lachte. Sogar Arsiena war nicht ganz so ernst und pflichtbewusst wie sonst. Lenoa stellte fest, dass es ziemlich guttat, nicht immer über ihre Verantwortung und ihre Mission nachzudenken.

Bald gingen sie dazu über, bekannte Klischees der Völker aufzuklären, was alle recht amüsant fanden. ,,Sehen Zwergenfrauen wirklich genauso aus wie ihr Männer?", fragte Lenoa neugierig und sah zu Paradur, der beleidigt die Arme verschränkte. 

,,Natürlich nicht! Sie haben keine Bärte und sind kleiner und nicht so grob. Ich weiß nicht wieso das jeder von euch immer denkt."

,,Noch kleiner als du? Geht das? Sehen sie dann nicht eher aus wie Gnome?", spottete Arian mit einem Grinsen. Paradur schlug ihn zur Strafe mit dem Griff seiner Axt auf den Kopf, was aber alle nur lachen ließ.

,,Gibt es bei euch Menschen wirklich welche, die andere beleidigen, weil sie anders als die Mehrheit aussehen?", stellte Paradur dann die nächste Frage, und Arian nickte. 

,,Leider ja. Nur ein paar, die aber laut genug sind, um größer zu wirken."

Er wandte sich wieder an Lenoa und Malion. Arsiena war ein Stück vorausgeritten. ,,Stimmt es, dass ihr eure Verstorbenen verbrennt?", fragte Arian neugierig. 

,,Ja. Die Asche verstreuen wir im Wald oder auf den Wiesen", erklärte Lenoa.

,,Warum macht ihr das? Dann hat man ja gar kein Andenken mehr an sie", meinte Paradur nachdenklich. ,,Wir vergraben unsere Verstorbenen tief in den Bergen im Stein. So sind sie dort, wo wir Zwerge uns am wohlsten fühlen. Zugang zum Grab haben nur die engsten Verwandten und ein oder zwei wirklich gute Freunde."

,,Wir machen das, um der Natur das zurückzugeben, was wir uns für unsere Lebenszeit ausgeliehen haben", sagte Malion, doch Lenoa bemerkte dass Paradur und Arian anscheinend keinerlei Ahnung von dieser Inaar'schen Tradition hatten, also erklärte sie weiter.

,,Inaari'i glauben an keine Götter wie ihr Zwerge, auch an keinen einzelnen Gott wie die meisten von euch Menschen. Die Natur leiht uns die Energie, die wir zum Leben brauchen und nimmt sie sich wieder, wenn unsere Zeit um ist. Wir essen während unserer Lebenszeit die Pflanzen, die nach unserem Tod von unserer Asche wieder gedeihen", erklärte sie.

Ma'kani - Auserwählte der Inaari'iWo Geschichten leben. Entdecke jetzt