Lenoa übernahm die letzte Wache, sodass sie beinahe ausgeschlafen war, als Arsiena sie weckte und sie ihren Posten am Flussufer einnahm. Es war eine klare, kühle Nacht, doch die Luft kam ihr jetzt reiner und frischer vor als untertags, weswegen sie die Ruhe genoss.
Die einzigen Geräusche waren das leise Plätschern des Flusses neben ihr, die gelegentlichen Bewegungen der anderen vier und seltener das Flattern der ein oder anderen Fledermaus über ihr. Im Osten ging die Sonne auf und enthüllte am Horizont die Konturen des Hendiryn.
Als die ersten Strahlen Lenoas Gesicht wärmten, weckte sie die anderen und sie setzten ihre Reise fort. Obwohl es ein schöner Morgen war, ragte das Gebirge Ankyrila inzwischen bedrohlich nahe vor ihnen auf und jeder wurde sich der kommenden Schwierigkeiten bewusst. Sie frühstückten im Sattel und schwiegen die meiste Zeit.
Früher hatte Lenoa immer davon geträumt, einmal das größte Gebirge Arlemias zu sehen oder gar zu durchqueren, doch jetzt hatte sie ein mulmiges Gefühl dabei. Die Zwerge waren nicht mehr auf ihrer Seite und würden sicherlich kontrollieren, wer durch Sartirn passierte, das einzige Tal, das einen eindeutigen Weg durch die Berge darstellte.
Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was passierte, wenn die Zwerge herausfanden, dass sie Ma'kani war. Gefangen genommen und umgebracht werden war die eine Sache. Arlemia würde die letzte Hoffnung verlieren und mit der Zeit endgültig dem Schatten verfallen.
Nach Ska'thur in den Süden verschleppt zu werden, war eine ganz andere. Auch hier würde Arlemia an Daotan gehen, doch erst würden Lenoa und vermutlich auch ihre Weggefährten Daotans Gnade ausgeliefert sein. Und Lenoa hatte noch keine Geschichte gehört, die vom gnädigen Schattenherrscher handelte.
Die fünf Reisenden trennten sich am letzten Menschendorf vor der Grenze von ihren Inyanza. Alles, was nicht unbedingt nötig war, ließen sie hier. Das Gepäck war jetzt um einiges schwerer als auf der Reise zwischen Kla'zan und Nar Ledia, da sie für eine längere Zeit ohne Rast in einer Stadt mit Proviant ausgestattet waren.
Lenoa fiel es nicht schwer, sich von ihrem Inyanza zu trennen. Bei Artholan hätte sie gezögert, doch sie hatte keine Verbindung zu Niela. Sie wusste, dass Malion genauso um Merandil trauern würde, weswegen er sich auch darum kümmerte, dass die Inyanza ordentlich versorgt wurden.
Anschließend gingen sie zu Fuß weiter in Richtung Süden. Kurz nach Mittag kamen sie an die Grenze zu Sernafon und hielten sich etwas weiter im Osten, um nicht genau auf das Tal zuzukommen. Schließlich rasteten sie einen halben Kilometer östlich Sartirns und verbargen sich dort zwischen einigen Felsen.
,,Wie wollen wir durch das Tal kommen?", fragte Malion, während sie ein kurzes Mahl einnahmen. Für einen Moment war es still und jeder kaute, um sich aus dem Gespräch herauszuhalten.
,,So weit ich weiß, wird es nicht allzu schwer bewacht", begann Arsiena schließlich. ,,Wir versuchen es ohne viel Aufsehen zu erregen einfach so, als würden wir nicht daran zweifeln durchzukommen. Wenn das nicht klappt, versuchen wir, uns an den Wachen vorbei zu schleichen."
,,Das wird nicht funktionieren", widersprach Paradur sofort. ,,Sie bewachen das Tal jetzt um einiges stärker als früher. Mehr Wachen und so. Die kontrollieren jeden, der durch will. An den Rändern haben sie eine Mauer gebaut und ein breites Tor in der Mitte, vorbeischleichen wird also auch nichts."
Arian seufzte. So ernst hatte Lenoa ihn noch nie gesehen. ,,Paradur, würden sie dich erkennen, wenn sie dich sehen?", fragte er zögerlich, doch Paradur nickte.
,,Sie verteilen Bilder der Abtrünnigen, damit jeder uns ausliefern kann, sobald uns jemand entdeckt."
,,Also haben wir niemanden, der ihnen gefahrlos unter die Augen treten kann", schlussfolgerte Lenoa. ,,Arsiena, Malion und ich fallen sowieso weg, weil wir Inaari sind. Paradur auch, weil die dich aufspießen würden. Arian kann nicht gehen, weil die Zwerge wohl auch nicht sonderlich gut auf Menschen zu sprechen sind."
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Ma'kani - Auserwählte der Inaari'i
FantasyArlemia. Ein Land, mehrere Völker, und ein Schatten, der sie alle bedroht. Seit die Krone der Inaari'i zerbrochen ist, kommt der Schatten immer näher. Bäume verdorren, Gräser verfaulen. Tage werden kürzer, dunkle Nächte immer länger. Der Tod ist u...