Die Stille, die auf diese Worte folgte, war schlimmer als der Lärm davor. Zuerst starrte jeder zu Nazilda, dann wandten, ganz langsam, alle ihren Blick zu Lenoa. Keiner sprach, nicht wenige sahen so aus, als würden sie die Luft anhalten.
Lenoa saß starr auf ihrem Stuhl und versuchte, keinem der Blicke mit ihrem eigenen zu begegnen. Ihre Gedanken wirbelten in einem Durcheinander in ihrem Kopf umher, zu schnell, zu chaotisch, als dass sie hätte sagen können, woran sie genau dachte.
,,Ma'kani?'', flüsterte Alynda nach einigen Minuten, und das Wort klang in der Stille wie ein Donnerschlag. Keiner antwortete, dann ertönte ein weiteres Geräusch. Es dauerte einen Moment, bis es identifizierbar war.
Nazilda lachte. Sie lachte, bis es von einem krächzenden Husten unterbrochen wurde. ,,Ich mochte dramatische Auftritte schon immer'', kicherte die alte Inaari und bannte damit das angespannte Schweigen.
Wieder brach ein Sturm an Stimmen aus, keiner achtete mehr auf Nazilda, die sich wieder auf ihren Stuhl fallen ließ und ihre verschlafene Haltung annahm. Es achtete auch keiner auf Lenoa, die noch immer reglos auf ihrem Stuhl saß und nun zu Nazilda blickte.
Der Gedanke war ihr noch nicht gekommen, aber kaum, dass der Name gefallen war, wusste sie, dass es stimmte. Sie wollte nicht, dass es stimmte. Sie wollte nichts Besonderes sein. Sie wollte nicht für ganz Arlemia verantwortlich sein.
Aber sie wusste, dass es stimmte.
Ganz langsam stand sie auf, und allmählich verstummten alle und sahen zu ihr. Lenoa versuchte, die Gesichtsausdrücke zu deuten, gab es aber schnell wieder auf, als sie so etwas wie Ehrfurcht darin entdeckte. ,,Es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden, oder?'', fragte sie leise und ruhiger, als sie sich innerlich fühlte. ,,Inzarn.''
Sofort war auch ihre Mutter neben ihr auf den Beinen und schüttelte den Kopf. ,,Kommt gar nicht in Frage. Du kannst es nicht sein. Nicht meine Tochter. Das hätte ich bemerkt. Außerdem ... Hast du vergessen was passiert, wenn jemand das Schwert berührt?''
Leise Wut regte sich in Lenoa. Warum sollte sie es nicht sein? Zweifelte ihre Mutter an ihr? Sie hob das Kinn, um ihre Entschlossenheit zu unterstreichen, von der sie selbst nicht wusste, woher sie kam.
Es war, als hätte sich gestern Abend im Wald etwas geregt, das lange geschlafen hatte. Nun, beim Klang des Namens, war es ganz erwacht, wie die sanfte Morgenbrise nach einer windstillen Nacht.
,,Ich weiß sehr wohl, was passiert. Bei mir wird es aber nicht passieren. Es ist meine Entscheidung'', sagte sie und blickte Alynda direkt in die Augen, doch die schüttelte energisch den Kopf. ,,Wie kannst du dir da so sicher sein? Außerdem bist du noch nicht volljährig. Ich bin für dich verantwortlich.''
Die sanfte Brise in Lenoa verwandelte sich bei diesen Worten in einen wütenden, reißenden Südwind, der in ihr brauste und ihr normalerweise selten zutage tretendes Temperament entfachte. ,,Ich weiß es einfach. Und ich kann sehr wohl eigene Entscheidungen treffen, auch, wenn ich erst in fünf Jahren volljährig bin!''
,,Wie wäre es mit einer Abstimmung?'', mischte sich auf einmal General Darynia ein. ,,Das hier ist der höchste Rat der Inaari'i. Diese Entscheidung geht ganz Medowa etwas an. Ganz Arlemia.''
Alynda drehte ruckartig den Kopf zu der Inaari, die für den ganzen Korps verantwortlich war. Gemeinsam mit ... ,,General Maduk?'', fragte sie, und der Offizier zögerte einen Moment, sein Blick wanderte von Alynda zu Lenoa und zu Nazilda, schließlich wieder zu Alynda. ,,Ich denke, eine Abstimmung wäre eine gute Idee'', sagte er schließlich langsam und bedacht.
Die Fürstin seufzte und setzte sich wieder. ,,Nun gut. Wer ist dafür, dass meine Tochter sich vermutlich halb umbringt, indem sie das Schwert berührt, nur wegen einer Vermutung?'' Lenoas Arm schoss in die Höhe, Nazilda hob langsam eine Hand. Nach einigem Zögern schloss sich Darynia an, gefolgt von zwei der drei Abgesandten der Merakyr, dem Inaarivolk, das die Westseite Medowas bevölkerte. Weitere Hände erhoben sich und Lenoa machte sich nicht die Mühe, sie zu zählen.
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Ma'kani - Auserwählte der Inaari'i
FantasyArlemia. Ein Land, mehrere Völker, und ein Schatten, der sie alle bedroht. Seit die Krone der Inaari'i zerbrochen ist, kommt der Schatten immer näher. Bäume verdorren, Gräser verfaulen. Tage werden kürzer, dunkle Nächte immer länger. Der Tod ist u...