Ein Krachen.
Noch eines, diesmal lauter. Dann hellroter Schein über sandfarbenen Häusern, gut zu sehen vor dem sternenklaren Nachthimmel.
Mit leicht aufgerissenen Augen starrte Lenoa in die entsprechende Richtung. Orangerote Flammen züngelten gen Himmel, doch sie war zu weit weg, um die Hitze zu spüren. Im Gegenteil, ein kühler Wind strich um ihre Wangen und wehte ihre schwarzen Locken nach hinten.
Sie stand auf dem Nordturm, der sich im Schatten des Knieve-Gebirges befand, welches die Stadt von der Südseite umschloss und den Inaari so zu einfachen Verteidigungsmöglichkeiten verhalf.
Allerdings wurde ihre Ruhe hier oben gestört, denn nun waren laute Rufe zu hören, die das leise Knistern der Flammen übertönten. Dunkle Gestalten rannten aus ihren Häusern zum Marktplatz und zu den Brunnen. Der Wind nährte die Flammen, ließ sie von einem Dach zum nächsten springen.
Lenoa machte sich beinahe keine Sorgen. Gla'zal, Hauptstadt der Inaari'i und ihre Heimat, war auch nachts ausgestattet mit Wachen, die auf jede Art von Gefahr vorbereitet waren. Zumal sie ja sowieso nichts tun konnte, denn keiner würde der Tochter der Fürstin erlauben, sich an einer Aktion wie dem Löschen eines Feuer zu beteiligen.
Sie hörte den Alarm, den tiefen Ton des Inaarihorns, und, als hätte das etwas in ihr ausgelöst, erkannte sie ihre Chance. Das Feuer war nicht weit vom Osttor der Stadt ausgebrochen. Mit ziemlicher Sicherheit waren einige der dort diensthabenden Bogenschützen den Bewohnern der brennenden Häuser zu Hilfe geeilt.
Sie brauchte Glück, nur ein wenig, und sie könnte sich aus der Stadt schleichen.
Es war gefährlich, keine Frage. Das wusste Lenoa nur zu gut, seit vor 14 Jahren ihr Vater nur knapp außerhalb der Stadt umgebracht worden war. Ihre Mutter Alynda, Fürstin der Inaari'i, war seitdem übervorsichtig und Lenoa hatte die Stadt nur einmal verlassen können. Dabei wollte sie raus, in den Wald, dem Geflüster der Bäume und dem Gesäusel des Windes lauschen.
Ein Grund mehr, diese Chance jetzt zu nutzen.
Ohne zu zögern machte sie auf dem Absatz kehrt, rannte, barfuß wie sie war, die 333 Stufen des Turms hinunter zum Hof des Palastes und durch das Tor auf die Straße. An einer Hauswand lehnte ein Bogen mit einem beinahe vollen Köcher, den sie sich schnappte.
Es war nicht ihr Eigener, gefertigt aus Eschenholz und ein Geschenk ihres Vaters, aber seinen Dienst würde er im Falle eines Falles auch tun. Es war eine lange, anmutig geformte Waffe, scheinbar aus demselben Holz und am oberen Ende mit dem Wappen der Inaari'i bedruckt.
Mit dem Finger strich sie über das eingravierte Symbol. Ein senkrecht stehendes Schwert, links davon ein Pfeil, rechts ein Bogen. Das geschwungene Ende des Letzteren berührte das mit Federn geschmückte Ende des Pfeils und den mit einem Edelstein besetzten Knauf des Schwerts. Über den drei Waffen, die sich nach oben auseinander bewegten, war eine filigrane Krone abgebildet.
Bis vor 27 Jahren war, anstatt des Bogens, eine Axt abgebildet gewesen. Doch als Daotan, der Schattenherrscher, das Inaarivolk Keranyr vernichtete, das die Axt als Waffe verwendet hatte, wurde diese durch einen Bogen ersetzt. Das Schwert und der Pfeil standen für die Waffen der verbliebenen Inaarivölker Ardenyr und Merakyr. Die Krone darüber für Elrysia, die Krone der Königinnen und Könige.
Lenoa verbarg sich rasch in einer kleinen Gasse, als zwei in schwarz und beige gekleidete Schützen an ihr vorbei rannten. Danach hastete sie weiter, ihre nackten Füße erzeugten ein ungewohntes Geräusch auf den hellen Steinen, die die Straße pflasterten.
Sie achtete nicht auf das lauter werdende Knistern, den hellen Schein am Himmel oder die Rufe der in ihrem Schlaf gestörten Inaari, während sie immer näher kam und sich hauptsächlich in Seitenstraßen und Gassen aufhielt, nicht auf der jetzt geschäftigen Hauptstraße. Kurz vor dem Westtor verschwand sie in den Schatten eines Bogendurchgangs, der in einen der zahlreichen, grün bepflanzten Hinterhöfe der Stadt führte. Vorsichtig späte sie um die Ecke.
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Ma'kani - Auserwählte der Inaari'i
FantastikArlemia. Ein Land, mehrere Völker, und ein Schatten, der sie alle bedroht. Seit die Krone der Inaari'i zerbrochen ist, kommt der Schatten immer näher. Bäume verdorren, Gräser verfaulen. Tage werden kürzer, dunkle Nächte immer länger. Der Tod ist u...