3. Kapitel - Elliot Hayes

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Arschloch!

Ich lese diesen sogenannten Brief schon zum dritten Mal und ich werde nicht weniger zornig, umso öfter ich diesen Fetzen lese.

Ist das nicht großartig? Ich mache bei diesem Bockmist mit, um dem einen Pseudo-Wunderpsychologen zu entgehen und gerade gleich an den nächsten.

Für wen hält der oder die sich bitte?!

Sigmund Freud?

Dieser Geist glaubt doch tatsächlich über mich urteilen zu können, weil ich realistisch mit meiner Situation umgehe! Ich und depressiv? Bei dem hakt es wohl!

Was ich jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, dass dieser Geist mir gehörig auf den Geist geht, genauso wie diese Briefkacke.

Ich widerstehe trotzdem den Drang, diesen Fetzen Papier zusammenzuknüllen und durch das Zimmer zu pfeffern, auch weil ich kaum den Arm heben kann.

Zwei Tage ist es her, dass ich Bloom den Brief für meinen ganz persönlichen Poltergeist mitgegeben habe, und seitdem hat sich mein Zustand echt verschlimmert.

Selbst Doktor Lopez-Montgomery war erschrocken wegen der plötzlichen Veränderungen, die sie nicht so früh erwartet hatte. Sie macht keinem was vor, das muss man ihr schon lassen. Gleich zu Anfang erklärte sie mir nicht, dass es schlimm werden würde, sondern kam gleich zum Punkt und erläuterte mir ganz genau, wie schlimm es wirklich werden würde.

Ich kann meine Nahrung jetzt übrigens ganz schlecht bei mir behalten und kotze es aus. Meine so schon blass gewordene Hautfarbe hat an den Fingerspitzen einen leichten Gelbstich bekommen. Nur ganz leicht und wenn man nicht wüsste, dass dieser Gelbstich da ist, würde man ihn kaum sehen.

Aber ich sehe ihn.

Aktuell ist er alles, was ich sehe.

Wusstet ihr das Gelbsucht ein Anzeichen für das Versagen der Leber ist? Nein? Ich auch nicht. Jetzt, aber schon. Doktor Lopez-Montgomery sei gepriesen!

Meine Gran würde mir jetzt wahrscheinlich wegen Gotteslästerung den Mund mit Seife auswaschen.

Und weil man anscheinend schlecht unterscheiden kann, wann ich einen Witz mache und wann ich etwas Ernst meine, hier ein dezenter Hinweis: Lavendelseife riecht leckerer als sie schmeckt. Ich hasse Lavendel.

Lustlos stochere ich in meinen Frühstücksporridge herum. Dabei gehe ich in Gedanken meine Möglichkeiten durch.

Entweder verweigere ich die Zufuhr von Nahrung und werde wahrscheinlich eher verhungern, als das mich mein Krebs holt oder ich esse jetzt diese undefinierbare Masse aus Haferflocken und Rosinen, damit ich sie später wieder auskotzen kann. Es ist eine Sache langsam aufgrund heftiger, toxischer Medikamente vor sich hinzusiechen, aber eine völlig andere sich dreimal täglich selbst vollzukotzen, weil man nicht mal mehr die Kraft hat, ins Bad zu rennen. Es ist demütigend.

Fast beneide ich den Geist um seine Drogen. Was täte ich dafür, das alles hier zu verschlafen und stattdessen in Morpheus Armen zu liegen. Dafür nähme ich auch in Kauf keinen klaren Gedanken mehr zu fassen, so wie mein Geist. Aber genauso sehr, wie ich weiß, dass ich mich für den Moment danach sehne, weiß ich, wie sehr ich es hassen würde, unter noch mehr Medikamenten stehen zu müssen. Danke, aber ich bin bedient an kleinen bunten Pillen.

Zwar hat Doktor Lopez-Montgomery angefangen, mir ein paar noch vergleichsweise schwächere Präparate zu verabreichen, weil die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind und man keine Ahnung hat, ob sich nicht noch irgendwo kleine Metastasen verstecken. Ekelhafte kleine Scheißer. Aber Robert geht es nicht schnell genug. Wenn es nach ihm ginge, würde man mich gleich mit dem Todesstrahl bestrahlen, um das Ganze endlich hinter sich zu bringen. Wobei ich ja doch eher glaube, dass der Todesstrahl doch eine leicht rabiate Behandlungsmethode wäre. Wobei... Das Problem mit der Weintraube in meiner Leber wäre dann auf jeden Fall gelöst. Endgültig.

Dass ich dreiundzwanzig bin und die Entscheidung letzten Endes bei mir liegt, kümmert ihn herzlich wenig und doch bin ich es, der alle Formulare unterschreiben muss. Und trotzdem höre ich darauf, was Robert sagt und verlangt und unternehme nichts dagegen, obwohl ich es könnte, weil es mir im Grunde genommen egal ist. Und hier schließt sich wieder der Kreis. Ich bin nicht depressiv, ich bin realistisch.

Wenn man ins Krankenhaus geht, gibt es eben nur diese zwei Möglichkeiten. Entweder du verlässt es geheilt und auf eigenen Beinen oder aber in einem Leichensack und mit den Füßen voran. Leben oder sterben. Es ist fucking Leberkrebs und ich bin in der Lage, das Internet zu benutzen, um mir meine Chancen auszurechnen.

Leben und sterben liegen nirgendwo so nah beieinander wie in einem–

»Was machst du da?!«, reißt mich Roberts autoritäre Stimme aus meinen Gedanken über den Tod.

Ich habe gar nicht mitbekommen, wie ich an dem Zugang, der an meine Armbeuge gelegt wurde, rumgespielt hat und mich stetig mit Medikamenten oder Flüssigkeit versorgt. So genau weiß ich das gar nicht, was die mir da verabreichen. Vielleicht bin ich ja doch irgendwie depressiv. Oder auch nicht. Viele Menschen denken über den Tod nach. Viele Menschen denken auch über meinen Tod nach. Doktor Lopez-Montgomery zum Beispiel und Robert. Und wenigstens einer von ihnen hofft tatsächlich, dass ich hier leben rauskomme. Ich habe mich noch nicht entschieden, wer.

»Darüber nachdenken, wie es ist draufzugehen.«

»Du wirst nicht draufgehen.«

Aus dem Mund von ziemlich jedem Menschen, der nicht Robert Hayes heißt, hätten diese Worte wahrscheinlich sogar richtig optimistisch und ermutigend geklungen. Aber nicht aus seinem. Aus seinem klingt es wie ein Befehl.

»Sir! Ja, Sir!«, brülle ich ihm entgegen und salutiere vom Bett aus. Sofort verhärtet sich seine Miene, sodass er aussieht wie aus Stein gemeißelt.

»Lass diesen Kindergarten. Und jetzt iss deinen Brei.«

Jawohl Mama... Dabei frag ich mich —
»Wann schaut Mum eigentlich vorbei? Ich bin hier schon seit zwei Tagen und sie hat nicht einmal angerufen. Ich frag mich bloß–«

»Deine Mutter hat andere Sorgen.«

Andere Sorgen als ihren Zweitgeborenen, der mit einer Wucherung in der Leber im Krankenhaus liegt und sich selbst vollkotzt?

Ach ja... Ihren Erstgeborenen, der sich auf der anderen Seite des Atlantiks gerade in ein Nudelsieb verwandeln lässt.

Tut mir leid, das war geschmacklos.

Mein Bruder kämpft ja für seine Familie, Ehe und Vaterland und so einen Scheiß.

Wetten, sie haben es ihm nicht gesagt? Dass sein kleiner Bruder gerade ebenfalls mit dem Teufel Besteckkasten umräumen auf der Suche nach einem Löffel spielt?

»Sie wollen heute ein CT mit dir machen. Hoffen wir mal, der Tumor ist operabel. Das Ganze hier kostet uns ein Vermögen. Und das hier brauchst du, glaube ich, erst mal eine Weile nicht mehr.«

Er nimmt ungefragt mein Handy vom Nachttisch, das ich zum Aufladen eben an die Steckdose angeschlossen habe, und steckt es ein.

»Ich habe dich gewarnt, wir behandeln diese Sache vertraulich. Coach Carter weiß Bescheid und sonst erfährt es niemand. Vielleicht hast du deine Chance, in eine anständige Mannschaft aufgenommen zu werden, noch nicht verspielt.«

»Hörst du jetzt bitte auf so zu tun, als wäre das hier alles meine Schuld?!«

Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich heute überhaupt was sage. Ich bin nicht der Gesprächigste, wenn es nicht unbedingt sein muss. Aber jetzt, wo ich angefangen habe, kann ich gar nicht mehr aufhören!

Gott fühlt sich das gut an, mal wieder so ziemlich alles und jeden anzuschreien und zu verfluchen.

Aber es dauert kaum zehn Minuten und ich bin wieder allein.

Robert ist gegangen, völlig unbeeindruckt davon, was ich zu sagen hatte. Vielleicht habe ich tatsächlich nichts zu sagen. Es stört mich nicht einmal, dass er mein Handy mitgenommen hat.

Ich wüsste nicht mal, wem ich erzählen sollte, dass ich im Krankenhaus liege und schon mal meinen Wurfarm trainiere, um den Löffel zu schmeißen.

Puck you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt