Ich schließe meine Augen und versuche die Stimme meiner Großmutter in meinem Ohr auszublenden. Ich will allein sein, aber seit Tagen bekomme ich ständig Anrufe oder Besuche.
Dabei ist die Person, die ich am meisten vermisse, nicht dabei.
Sie hat mir zwar versichert, dass er so schnell sie konnte, sich in den Flieger setzen würde, aber das ist nun auch schon zwei Tage her. Oder vielleicht erst einen?
Ich weiß es nicht. Ich habe das Zeitgefühl verloren. Aber wozu brauche ich das auch? Ich komme hier nicht raus. Seit ich hier bin, habe ich das Bett nicht verlassen, zu jeglichen Untersuchungen wurde ich von Pflegern oder Schwestern im Bett gefahren.
Ich würde alles darum geben, dieses Bett einmal zu verlassen und diese unzähligen Hände, die meinen Körper für Untersuchungen berühren, nicht mehr zu spüren.
Dabei spüre ich sie die meiste Zeit nicht einmal, aber das Wissen, das mich diese Hände berühren, reicht mir schon aus, um sie wegzuwünschen.
»Wesley? Bist du noch dran?«
Ich zucke zusammen, als die laute Stimme aus dem Telefon ruft. »Ja, ich bin noch da. Können wir für heute Schluss machen. Ich bin wirklich müde und würde gerne schlafen.«
Um meine Aussage vor ihr zu unterstreichen, gähne ich einmal laut. Sie soll auf keinen Fall merken, dass ich sie angelogen habe.
»Ach natürlich. Tut mir leid, dass ich dich vom Schlafen abhalte.«
Ich will noch hinzufügen, dass sie nicht die Einzige ist, die mich aufhält, allein zu sein, da redet sie schon weiter.
»Wenn Alex bei dir ist, sag ihm, dass er sich bei mir melden soll.«
»Ich werde es ihr sagen. Tschüss.«
»Alles Gute. Tschüss.«Bevor sie noch etwas sagen kann, lege ich auf. Ich lasse das Telefon sinken und sehe auf den Briefumschlag, der auf der Decke liegt. Ich nehme ihn in die Hand und beginne ihn zwischen meinen Händen zu drehen. Ich bin dabei, den Brief zu öffnen, als sich die Zimmertüre öffnet und ich erschlagen den Brief mit einem Seufzen sinken lasse.
Meine Mutter kommt in das Zimmer und mustert mich. »Etwas mehr Freude, wenn du deine Mutter siehst.« Ihre Kränkung ist aus ihren Worten heraus zu hören.
»Mum, du wohnst hier fast. Würden es dir Doktor Whittle und Dad erlauben, würdest du auf dem Sofa schlafen.«
Ich strecke meine Hand nach meiner Mutter aus.
»Ich weiß es wirklich zu schätzen, das du dir so viel sorgen um mich machst und für mich da sein willst. Aber Mum, ich bin alt genug. Ich kann auch einen Tag ohne dich auskommen. Ich brauche auch hier meine Freiräume. Ich fühle mich ohne hin eingesperrt und ich bekomme so viel Besuch, so viele Anrufe. Ich hab manchmal das Bedürfnis, mich aus dem Fenster zu schmeißen. Auch wenn ich das nicht kann. Es ist mir alles zu viel und ich möchte wenigsten ein wenig Zeit für mich. Ich hoffe, du verstehst das.«Am Gesichtsausdruck meiner Mutter ist abzulesen, wie sehr sie meine Worte treffen. Ich hasse es, sie zu verletzen.
Aber ich brauche auch mal Zeit für mich. Ich habe gerne Leute um mich herum, solange sie irgendwann wieder gehen und ich meine Ruhe haben kann.
»Wes, ich verstehe, dass du kein Kind mehr bist und deine Ruhe brauchst. Aber...« Ihre Stimme bricht und sie beginnt zu weinen.
Gequält schließe ich die Augen. Es gibt nichts Schlimmeres, als meine Mutter weinen zu sehen. Jedes Mal, wenn sie in meiner Gegenwart weint, was wirklich nicht oft ist, habe ich das Gefühl in mir breche etwas auseinander. Sie war immer für mich da und jetzt, wo ich das erste Mal seit Langem einmal wieder brauche, stoße ich sie von mir, weil mir das alles zu viel ist. Welche Ironie.
»Mum, bitte. Ich weiß, dass es euch allen scheiße geht. Ich habe auch nichts dagegen, dass ihr mich besuchen kommt. Ich fühle mich wie ein eingesperrtes Tier, dass von allen Seiten bestaunt und bemitleidet wird. Gerade du solltest wissen, wie sehr ich es hasse, bemitleidet zu werden.«
Sie seufzt und drückt meine Hand. Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. »Hast du ein Taschentuch für mich?«
Ich nicke und reiche ihr die Packung mit den Taschentüchern und beobachte meine Mutter, wie sie sich die Nase putzt und anschließend die Haare zusammenbindet.
»Ich ertrage den Gedanken nur nicht das, wenn ich nicht da bin, diese Arschlöcher wieder kommen und das Beenden, was sie angefangen haben.«
Jetzt muss ich schlucken und sehe aus dem Fenster.
»Mum sie wollten mich nicht Lumb...«
»Das weißt du nicht! Wer weiß, was passiert wäre... Du bist hier schutzlos ausgeliefert. Wir möchten das du Anzeige erstattest. Gegen die Täter und gegen die ganze Mannschaft.«Mein Mund klappt auf und wieder zu. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich kann und will das nicht noch mal erzählen. Das, was diese Typen mir angetan haben, ist schlimm genug.
Ich werde wohl für immer darunter leiden, immer Probleme haben. Aber ich kann ganz bestimmt nicht noch einmal darüber reden, was passiert ist.
Es ist ein Wunder, das ich es meinen Eltern erzählen konnte. Vielleicht lag es daran, dass sie es gesehen.
Das Telefon klingelt und ich sehe zu meiner Mutter. Sie nickt und küsst mich auf die Stirn.
»Überleg es dir.« Sie erhebt sich vom Bett, auf welchem sie sich niedergelassen hat und verlässt den Raum. Ich nehme den Anruf an.
»Adams. Wie gehts dir?« Ertönt die Stimme meines Kapitäns, bevor ich etwas sagen kann, aus dem Hörer des Telefons.
»Barnes. Ja in Ordnung. Wie soll es mir schon gehen. Ich fühle mich gefangen in dem Bett.«
»Der Coach hat der Mannschaft gesagt, was du hast. Alle sind völlig aufgelöst. Sie haben gefragt, wie es dazu gekommen ist. Hanson hat kurz erklärt was...«
Ich höre ihm nicht mehr zu. Stattdessen starre ich aus dem Fenster.
Super.
Meine Mannschaft weiß, was passiert ist. Vermutlich versteht kein Einziger von ihnen, wie sich das anfühlen muss, so beleidigt zu werden.
Mir kommt ein verrückter Gedanke: Wenn Elliot mitgespielt hätte, hätte er seine Teamkameraden aufgehalten oder hätte er mit gemacht?
Nein.
Mitgemacht hätte der Elliot, den ich kannte, wohl nicht. Vielleicht hätte er so getan, als ob ich nicht da wäre. Mir steigen Tränen in die Augen. Ich kann nicht weiter telefonieren.
»Jason? Eine Schwester kam gerade ins Zimmer. Ich melde mich.« Damit lege ich auf.
Die zweite Lüge an einem Tag, um aus einem Gespräch heraus zu kommen... Egal, ich kann nicht am Telefon mit meinem Kapitän weinen.
Denn das tue ich jetzt.
Ich weine, weil ich meinen besten Freund verloren habe und mich in dieser Stadt trotz der vielen Besuche alleine fühle. Ich vermisse ihn.
Ich vermisse ihn immer, aber in solchen Situationen noch mehr als sonst. Man könnte meinen, ich sei darüber hinweg.
Ich bin es nicht und werde es wohl auch nie sein. Ein Schluchzen verlässt meine Lippen und ich presse diese aufeinander.
Ich habe genug wegen ihm geweint.
Alex würde mich jetzt schlagen und sagen, ich solle ihn vergessen. Aber ich kann es einfach nicht. Ich reibe mir mit meinen Handflächen über das Gesicht und lasse meine Hände sinken.
Ich spüre Papier unter meinen Fingern. Während ich meine Nase hochziehe, öffne ich den Brief. Bei jeder Zeile, die ich mehr lese, weiten sich meine Augen weiter.
So ein Arsch.
Mache ich Witze über seine Krankheit? Nein!
Der Schatten hat ja nicht einmal eine Ahnung, was passiert ist.
Das ist so unter der Gürtellinie! Meine Trauer über Elliot ist der Wut über den Schatten gewichen.
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Puck you!
Teen Fiction"Maybe we can fix each other." Seit acht Jahre schon sind Wesley und Elliot durch einen ganzen Kontinenten getrennt. Wes verlor bei Elliots Umzug an die Ostküste seinen besten Freund. Und Elliot verlor, alles was er je Zuhause genannt hatte. Dana...