10. Kapitel - Wesley Adams

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Die Nachricht, dass Elliot hier ist, hier in diesem Krankenhaus, lässt mich innerlich am Rad drehen. Ich will mich bewegen, irgendetwas tun, damit ich hier nicht so vollkommen verloren in diesem Bett liege und meine einzige Möglichkeit, um mich abzulenken Bücher und sonstige Unterhaltungsmittel wie Handy, Serien, Filme, Hörspiele und so weiter. Dennoch ist mein Bewegungsdrang völlig benachteiligt. Ich will mich nur noch bewegen.

Ich war so privilegiert. Ich konnte alles tun, wonach mein Herz begehrte. Nun gut, ich konnte nicht alles tun.

Was ich nicht tun konnte, war dem mittlerweile Mann, den ich liebe zu sagen, dass ich ihn liebe. Ich hatte wirklich gedacht, das, was wir hatten, war etwas Besonderes. Ja, etwas Einzigartiges. Aber nein, anscheinend habe ich mich in diesem Punkt getäuscht. Und wieder, wie eigentlich immer, wenn ich an ihn denke, rollen mir die Tränen die Wange hinunter.

Mir ist schlecht und das Bedürfnis, endlich wieder frische Luft zu riechen, ist nahe zu erdrückend. Ich will einfach nur noch ein normales Leben. Ein Leben ohne dieses beschissene Bett.

Wie wäre mein Leben jetzt hätte ich mich nie vor dem Team geoutet, wäre mein Leben dann jetzt besser? Oder müsste ich weiterhin in der Angst leben, dass irgendwer es herausfand? Geheimnisse sind nicht förderlich für ein Team, genau das hatte uns Coach Hanson immer wieder eingetrichtert. Das und Lyras Worte waren der Auslöser gewesen, dass ich mich schlussendlichgetraut habe, es ihnen zu sagen.

Ob das ein Fehler war? Also auf der einen Seite ja. Aber auf der anderen? Weiß ich es nicht.

Immerhin muss ich mich jetzt nicht mehr verstecken, ich kann sein, wer ich bin. Obwohl ich jetzt vom Verhalten Herr meiner Ansicht nach nicht auf krass hetero getan habe. Schlussendlich werde ich wohl sehen und warten müssen, bis ich herausfinde, ob es ein Fehler war oder nicht.

Die Frage ist eh, ob ich je wieder auf dem Eis stehen werde. Momentan bezweifle ich sehr, dass ich je wieder Leistungssport machen werde. Aber das werden wir ja dann sehen. Diesen Fehler werde ich nur nicht mehr ändern können, ich werde dann damit leben müssen. Also ist es hoffentlich einfach kein Fehler. Das Klopfen an der Türe reißt mich aus meinen Gedanken zum Glück, wer weiß, wo diese weiter gedriftet wären.

»Hey Wes. Wie geht es dir?« Mein Dad lächelt mich an, dabei erreicht dieses Lächeln nicht seine Augen. Er betritt das Zimmer. Seine Augen sehen müde aus und ich weiß genau wieso.

Elliot.

Dass Alex ihn in diesem Krankenhaus getroffen hat, hat uns alle durcheinandergebracht. Alle bis auf Nelly. Sie ist zu jung, um ihn zu kennen. Ein Jahr nachdem er weg war, ist sie erst geboren worden. Also die Chance hatte er gar nicht. Vielleicht ist es auch besser so. So hat Elliot nicht meiner ganzen Familie das Herz gebrochen. Das hat er nämlich. Mir fällt es schwer, es tatsächlich zu glauben, dass er meiner ganzen Familie so wichtig war. Es war perfekt. Und dann...

Ich versuche nicht allzu sehr daran zu denken, stattdessen sehe ich zu meinem Vater und versuche ein gezwungenes Lächeln auf meine Lippen zu legen. Aber es ist vermutlich nicht mehr als eine Grimasse.

»Dad könne wir uns darauf einigen, dass ihr mich nicht mehr fragt, wie es mir geht. Zu mindestens so lange wie ich hier liege, okay?«
»Ich versuche daran zu denken.« Er gähnt auf und lässt sich dann auf dem Stuhl nieder. Die Falten um seine Augen sind noch stärker als sonst, auch seine Tränensäcke treten deutlicher hervor.
»Ich nehme an du willst nicht darüber reden?«

Mein Vater ist nicht der Typ für viele Worte. Er ist herzlich, ja, aber eher auf diese direkte Art. Es dauert, bis er Menschen in sein Herz schließt und wenn sie ihm einmal wichtig geworden sind, dauert es Jahre, bis er sie gehen lassen kann. In diesem Punkt bin ich meinem Vater wohl sehr ähnlich. Auch wenn ich das nicht gerne wäre. So hätte ich Elliot aber schon früher aus meinem Leben verbannen können. Aber jemanden wie Elliot kann man nicht verbannen. Es ist nahezu unmöglich. Noch immer habe ich seinen Geruch in der Nase und spüre seine Hände auf meiner Haut. Viel zu oft ist er der Protagonist meiner Träume und seitdem ich weiß, dass er hier ist, noch so viel öfter als zu vor.

»Ich weiß nicht. Ich würde ihn gerne sehen und mich vergewissern, dass es ihm gut geht. Mit ihm reden und all das. Ich habe an der Rezeption nach seinem Zimmer gefragt, aber sie wollten mir keine Auskunft über seinen Aufenthaltsort geben.«

Damit beantwortet er mir alle Fragen, die ich mir schon so lange stelle. Na ja, lange nicht. Seit ich weiß das uns nur noch wenige Zimmer oder Flure von mir entfernt liegt. Die Sehnsucht ihn zu sehen ist so groß. »Aber ich bin der Letzte, der dir erzählen braucht, wie sehr ich ihn vermisse.«

Normalerweise bin ich froh darüber, das meine Eltern Elliot komplett aus dem Spiel lassen, sie hatten das halbe Jahr, nachdem er weg war, viel damit zu tun, um mich von meinem Liebeskummer abzulenken. Meine Mutter wusste schon bevor er ging, dass ich Gefühle für ihn hatte. Sie hatte mir damals auch geraten, es ihm zu sagen. Er war mir zuvorgekommen, nachdem er das zu mir gesagt hatte, konnte ich es ihm nicht mehr sagen. Mein Vater erfuhr es danach. Wenigstens musste ich mir keine Gedanken darüber machen, dass meine Eltern mich deswegen ausstießen. Mein Vater schmückt seinen Buchladen jedes Jahr zum Juni mit Regenbogenflaggen, wobei er einige irgendwann gar nicht mehr abgehängt hat.

»Ich würde ihn nur so gerne sehen, bevor ich zurück muss.« Ich verstehe das er ihn sehen will. Ich will ihn auch - Moment. Zurück muss? Ich sehe meinen Vater überrascht an. »Zurück? Nach Seattle? Warum?« Mein ebenfalls rothaariges Familienmitglied, massiert sich mit beiden Händen den Nacken, bevor er antwortet. »Der Buchladen läuft nicht gut und Jack braucht dringend meine Unterstützung. Sein College geht bald weiter, wir können uns keine weiteren Angestellten leisten.« Seine Stimme wird immer leiser. Mit schockiertem Gesichtsausdruck sieht er mich an. »Seit wann weißt du das?«
»Schon einige Zeit. Wir wollten dich damit nicht belasten.«

Er macht eine Pause und sieht auf seine Hände. Ich sehe von ihm weg und an die Decke des Zimmers hoch. »Es tut mir leid Wes. Du solltest dir darum nicht auch noch Gedankenmachen. Das wird schon alles. Momentan sieht es nicht so aus als müsste ich in nächster Zeit Insolvenz anmelden.«
»Insolvenz.« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen. Das darf doch nicht wahr sein. Wieso zur Hölle muss gerade alles zerbrechen? Ich versteh es nicht. Ich will doch einfach nur ein gottverdammtes normales Leben! Ist das zu viel verlangt?! Scheinbar schon immerhin läuft mein Leben den Bach herunter.

»Wes-«
»Nein Dad. Bitte nicht. Wann fliegst du?« Ich kann ihn nicht ansehen, deshalb ist mein Blick noch immer auf die Decke gerichtet. Zwei Sekunden später spüre ich seine warme Hand an meiner Wange. Der vertraute Geruch nach alten Büchern und Wald steigt mir in die Nase. »Übermorgen. Ich versuche vorher noch zu Elliot zu kommen. Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Eine Ohrfeige, dass ich ihn vermisse und das er zu mir kommen soll.«

Ein trockenes Lachen verlässt seine Lippen. »Die Ohrfeige darfst du ihm selbst geben.« Das hätte mir eigentlich klar sein müssen, aber es ist mir egal. »Ich habe dich lieb, Dad.« »Ich dich doch auch.« Flüstere ich, er gibt mir einen Kuss auf die roten Haare. »Ich dich auch. Lass dich von all dem nicht unterkriegen. Du bist stark Wes.« Ich lächle ihn an und schließe die Augen. Ich genieße es, wie er mir durch die roten Haare streicht. Ich fühle mich wie damals mit sieben, wo ich mit Grippe krank im Bett lag und mein Vater genau das bei mir auch gemacht hat.

Das Klopfen an der Türe lässt mich die Augen öffnen. Doktor Bloom steht in der Türe. »Hier der Brief für dich. Es tut mir leid, dass du auf deinen letzten Brief keine Antwort bekommen hast.« Er legt ihn auf meine Bettdecke und mustert mich und meinen Vater kurz. »Ich hoffe alles ist okay bei dir.« Ich nicke zaghaft, worauf mein Vater mir einen bösen Blick zu wirft, dass interessiert mich gerade herzlich wenig. »Okay, dann hoffe ich das es so bleibt. Wir sehen uns Wes.« Damit verlässt er das Zimmer. Mein Dad streicht mir noch eine Weile durch die Haare, bis er sich allerdings von mir verabschiedet, mit dem Versprechen nach Elliot zu suchen und am nächsten Tag wieder zu kommen.

Als er die Türe hinter sich schließt, lasse ich meinen Tränen freien Lauf. Das ist mir gerade alles zu viel. Ich will einen Ausgleich zu dem ständig im Bettliegen haben. Noch mit Tränen in den Augen und zittrigen Fingern öffne ich den Brief und lese ihn. Zwei Sachen überraschen mich wirklich.

Erstens, der Schatten entschuldigt sich, irgendwie hatte ich das nicht erwartet. Zweitens, er spielt Eishockey. Als ob das irgendein Zufall ist.

Puck you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt