6. Kapitel - Wesley Adams

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Etwas genervt lasse ich mich von Doktor Lindsay untersuchen. Eigentlich müsste ich es eher betatschen nennen.

Es ist so surreal.

Ich weiß das ihre Hände auf meinem Körper sind das Komischste dabei ist aber, das ich sie nicht spüre. Ich spüre ihre Hände nicht auf meinen Beinen und dieses Wissen ist verdammt gruselig. Eigentlich möchte ich, dass sie aufhört. Als ich sie das letzte Mal gebeten hatte, aufzuhören mich zu untersuchen, hat sie nur freundlich gelacht.

»Ich würde, wenn ich könnte und mir Doktor Whittle dafür nicht den Kopf abhacken würde.«

Ihre Worte.

Ich weiß nicht so ganz, was ich davon halten soll, schön und gut. Ich weiß, dass sie mich immer wieder umlegen müssen, damit ich mich nicht wund liege. Und mir ist Doktor Lindsay wirklich lieber als Doktor Whittle. Unangenehm ist es mir trotzdem. Als sie endlich von mir ablässt und nur noch meine Infusion checkt, atme ich tief durch.

»Wes, du bist auf einem guten Weg. Ich habe schon Menschen gehabt, den ging es hier schlimmer. Sie haben schlecht Luft bekommen.« Sie macht eine Pause.

Irgendwann war es mir zu lästig, dass sie mich mit Mister Adams anspricht, weshalb ich sie gebeten habe, mich Wes zu nennen. So fühle ich mich nicht ganz so alt. »Du hast Glück im Unglück gehabt. Dich hätte es schlimmer erwischen können.«

Ich verdrehe die Augen, ja ist klar. Das Beste wäre gewesen, ich hätte mich niemals vor meinem Team geoutet, dann wäre das alles nicht passiert. Ich starre an die Decke. »Ich sehe nachher noch einmal nach dir.« Mit diesen Worten verlässt die junge Ärztin mein Krankenhauszimmer.

Ich schließe meine Augen und hänge weiter dem Gedanken nach, was alles anders gelaufen wäre, hätte ich meinen beschissenen Mut damals nie zusammengekratzt.

Alles wäre anders verlaufen. Ich wäre schon längst wieder in Seattle, bei meiner besten Freundin. Meiner ganzen Familie, dem Haus meiner Kindheit. Ich wäre nie so beleidigt worden, ich hatte noch nie in meinem Leben das Gefühl, dass Worte einen mehr verletzen konnten als in diesem. Es viel mehr schwer, darüber nachzudenken. Es war nicht das erste Mal gewesen, das ich Schwuchtel genannt worden war, und es würde vermutlich auch nicht das letzte Mal gewesen sein.

Aber vermutlich der Zusammenhang, in dem es passiert war, war so unfassbar schmerzhaft. Das Eis war zeitweise mein Zuhause gewesen, meine Flucht vor dem Schmerz, den eine ganz bestimmte Person in meinem Herzen hinterlassen hatte. Hätte ich mich nicht geoutet, wäre es nie so weit gekommen, dass meine Eltern mich ständig an diese Person erinnern.

Ich starre weiter an die Decke. Ich will aus Boston weg. Ich will nach Seattle. Ich will diesen ganzen Scheiß hinter mir lassen. Aber eine Verlegung ist zu riskant und zu teuer, selbst dafür, dass wir krankenversichert sind. Ich beginne mir auf der Unterlippe herumzukauen, als ich an die Worte meiner Großmutter denke, ich solle doch froh sein, dass sich die Ärzte hier in Boston mitunter auf Querschnittslähmungen spezialisiert haben.

Schön und gut Oma ändert nichts daran, das ich verdammt noch mal nicht hier sein will! Die Türe öffnet sich, ohne zu klopfen.

»Was?« Verlässt die Frage genervter als beabsichtigt meine Lippen. Mit einer flüchtigen Bewegung wische ich mir unter meiner Brille Tränen weg.

»Seit wann begrüßt du so deinen älteren Zwilling?«, ertönt eine Stimme, die mich endlich in Richtung Türe blicken lässt. Ein Lächeln huscht mir über die Lippen.

»Alex« hauche ich atemlos und kann die Tränen, welche ich bis gerade noch zurückhalten wollte, nicht mehr unterdrücken. Ein markerschütterndes Schluchzen verlässt meine Lippen. Alex schüttelt nur den Kopf, die roten Haare fliegen in das Gesicht von Alex.

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