Prolog - Elliot Hayes

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Das gleißende Licht der Hallenbeleuchtung blendet mich so stark, dass ich gezwungen bin, die Augen zusammenzukneifen. Es war mir schon immer ein Rätsel, welchen taktischen Vorteil es barg, die Spieler zu blenden.

Coach Carter brüllte heiser die Anweisungen von der Auswechselbank aus über das vollkommen glatte Eis und wedelte dabei mit seinem Klemmbrett. Das Gesicht so rot angelaufen, als würde er selbst unter den größten körperlichen Anstrengungen stehen und nicht einfach nur die ganze Zeit zuschauen und nur hin und wieder Befehle brüllen, die wir selbst im Schlaf aufsagen konnten. Die kalte Zugluft in der an den Seiten geöffneten Halle beschert mir eine Gänsehaut und kitzelt meine erhitzte Haut. Ich schwitze, obwohl das Training kaum begonnen hat. Das Blut rauscht durch meine Adern und ich spüre bereits die aufgeregten Adrenalinstöße, die meinen Körper fluten. Es ist die freudige Erregung und die Anspannung, kurz bevor es richtig losgeht.

Manchmal spüren wir das tagelang vor einem wichtigen Spiel, doch für mich reicht auch einfaches Training. Doch heute ist etwas anders. Es muss nur eine Kleinigkeit sein, doch sie reicht aus. Ich spüre es in der Luft, wie Momente, bevor ein Gewittersturm losbricht oder kurz nachdem es aufgehört hat zu regnen und man den Regen immer noch riechen kann. Dieser Geruch ist mir fast so vertraut wie mein eigener. Aber in diesem Fall ist es keinesfalls beruhigend, sondern viel mehr beängstigend. Also doch der Gewittersturm. Vielleicht ist der Sturm auch schon längst losgebrochen und ich befinde mich nur im Auge des Sturms.

Ob ich mich vielleicht ein wenig zu metaphorisch ausdrücke? Ja, der Gedanke kam mir bereits. Aber wie sonst sollte ich die Dinge ausdrücken, für die mir sonst die Worte fehlen?

Während ich über das Eis gleite, als würde ich schweben, und dabei alle meine Teamkameraden und vor allem den Puck im Auge behalte, beginne ich einen unangenehm metallenen Geschmack zu schmecken, der sich mit dem künstlichen Geruch des Eises und dem drückenden Schweißgestank zu vermischen beginnt. Ich glaube, mir wird schlecht. Und ich meine so wirklich schlecht! Auf einmal ist die Kälte allgegenwärtig, genauso wie die Hitze der Anstrengung. Wieso bin ich so angestrengt? Das Training hat eben erst begonnen und meine Kondition ist nun wirklich nicht von schlechten Eltern. Ob ich letzte Nacht schlecht geschlafen habe? Ich darf nicht schwächeln, ich muss die Zähne zusammenbeißen und es knallhart durchziehen.

Unauffällig lasse ich meinen Blick durch die Halle gleiten und mein Blick bleibt im Block D der Zuschauerränge hängen. Wie ein Adler, der nach seiner Beute späht, erhebt sich dort der wachsame Blick meines Vaters, der mal wieder die Fortschritte seines Teams im Auge behalten will. Wie ein König thront er in dem verschlissenen Hartschalenplastiksitz der oberen Ränge. Wir sind nicht mehr als der Dreck zu seinen Füßen und ich wäre gerne überall lieber als hier. Den Schläger festumklammert fliege ich fast über das Feld auf das Tor zu, sehe meine Chance, meinem Trainingsgegner den Puck abzunehmen kommen, der diesen gerade vor einer Torchance gerettet hatte. Doch ich verfehle, stürze und schlage hart auf dem Boden auf. Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass jegliche Luft aus meinen Lungen gepresst wird und für einen Weiteren bleibe ich einfach liegen. Das Eis kühlt meinen in Flammen stehenden Körper und ich frage mich ernsthaft, was dagegen spräche, einfach liegen zu bleiben. »AUFSTEHEN HAYES! DAS HIER IST DOCH KEIN MITTAGSCHLÄFCHEN!« Jetzt weiß ich wieder was dagegenspricht. Coach Carter widerspricht man nicht. Coach Carter gehorcht man. Nach meinem Vater ist Coach Carter die nächsthöhere Instanz, der ich mich unterzuordnen habe und er geizt nicht damit, dass mich und den Rest des Teams es Abend für Abend spüren zu lassen. Schlitternd kommt Adam Corey, unser Junior aus der linken Abwehr neben mir zum Stehen und reicht mir die behandschuhte Hand, um mir aufzuhelfen. Doch ich lehne das freundliche Angebot ab, in dem ich seine ausgestreckte Hand ignoriere und allein aufstehe. Ich muss mich nicht umsehen, um zu wissen, dass die Augen meines Vaters jede Bewegung mitverfolgen. Ob er stolz darauf ist, dass ich keine Hilfe anzunehmen brauchte?, frage ich mich in einem Moment und im nächsten Ach, was kümmert es mich, was er denkt?

»Bist du okay?«, versuchte Corey es weiter mit seiner unerträglichen Freundlichkeit. »Verpiss dich, Corey!« Nun, wie sage ich es am einfachsten? Ich bin nicht nett und ich brauche auch nicht sein geschleimtes Gehabe. Noch bin ich Captain des Teams und dies wird sich auch vorerst nicht ändern! Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, lasse ich meinen Nacken kreisen, um diesen ein wenig zu lockern und widme mich dem Spiel. Doch immer wieder verschwimmt meine Sicht und ich blinzele heftig. Ob die Beleuchtung greller geworden ist? Umso länger wir spielen, umso verbissener will ich beweisen, dass ich auf niemandes Hilfe angewiesen bin und dränge Corey mehr als einmal gegen die Bande, sobald er in Puck Besitz gerät und ich diesen zurückerobern will. Doch egal wie sehr ich mich bemühe, heute ist nicht mein Tag, was dem Coach natürlich nicht entgeht und er mich für einige Minuten auswechselt, um mir eine Standpauke vom feinsten zu halten. »Verdammt, reiß dich zusammen Hayes! Spiel mir nicht den Schwächling vor! Du bleibst jetzt fünf Minuten hier sitzen, trinkst was und reißt dich zusammen!« Wortloses Nicken, dann nehme ich von unserem Teammanager meine Wasserflasche entgegen. Sobald ich mich auf die Bank setze, beginnen meine Beine zu zittern und ich bereue es mich hingesetzt zu haben, denn ich sehe schwarze Punkte, die sich in mein Gesichtsfeld drängen und das Zittern nimmt zu. Gleichzeitig rinnt mir der kalte Schweiß den Nacken hinab. »Raus mit dir!« Raunzt Coach Carter mich an und gibt mir einen heftigen Schlag gegen die Schulter, als ich aufs Eis hinauswill. Eben dieser Schlag wird mein Untergang werden. Einer der ersten Dominosteine, der umkippte und die Dominosteine würden nicht mehr aufhören zu fallen. Dieser Schlag reichte aus meinem wackeligen Gleichgewicht zum Zusammenbrechen zu bringen. Und wieder machte ich Bekanntschaft mit dem Eis heute. Dieses Mal bleibe ich liegen. Wen kümmert es schon? Aber anscheinend kümmert es doch wen, denn umso länger ich mich weigere aufzustehen und nicht auf die Fragen antworte, die jetzt auf mich von allen Seiten einprasseln, umso mehr Sorgen werden laut. Ich bin der Captain und ich bin die größte Hoffnung des Coaches in der Liga aufzusteigen und dieses Jahr unter die Frozen Four zu kommen. Erst als ich neben mir auf dem Eis die blank polierten Budapester sehe, deren Klang ihrer Schritte mich in meine Albträume verfolgen, weiß ich, dass ich mich nicht länger weigern kann. Es kommt mir sowieso langsam kindisch vor. Und jetzt ist auf einmal von Krankenhaus die Rede und genau dorthin werde ich gebracht.

Fakt ist: Es ist immer eine Übertreibung vonseiten des Autors, wenn geschrieben wird, dass man sich nie an die Fahrt ins Krankenhaus erinnern kann. Fakt ist: Ich erinnere mich an alles.

Ich wurde nicht mit Blaulicht und Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht, sondern von unserem Chauffeur und musste eine Ewigkeit in der Notaufnahme warten, trotz dessen, dass ich privat versichert bin. Ich erinnere mich an alles und werde es auch immer, denn auf alles was folgt, habe ich keinen Einfluss mehr und es wird geschehen und ich werde mich fügen. Ich füge mich immer. Und deshalb zeige ich auch keinerlei Anzeichen von Besorgnis, als mein behandelnder Arzt einen Kollegen zu sich ruft und weitere Tests angeordnet werde. Ich glaube, ich sehe nicht mal wirklich geschockt aus, als mir ins Gesicht gesagt wird, dass ich anscheinend Krebs habe. Ups? Wo kommt der denn auf einmal her? Ich sollte doch nur auf eine Gehirnerschütterung von den zwei Stürzen untersucht werden. Klingt es Morbide, wenn ich sage, dass das Krankenhaus anscheinend eine Sonderaktion veranstaltet? Kommen Sie mit ein wenig Kopfschmerzen zu uns und gehen Sie mit einer Krebsdiagnose nach Hause. Heute auch zum halben Preis.

»Wenn Sie noch irgendwelche Fragen habe, Mister Hayes, stehe ich Ihnen natürlich zur Verfügung. Aber wie es nach den ersten Tests aussieht, befindet der Tumor sich in einem noch sehr frühen Stadium. Sie haben wirklich Glück gehabt.« Ach ja? Habe ich das?

Puck you!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt