Wir sind wie Schneeflocken

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Ich ließ mich auf einen Holzhocker in Opas kleiner Werkstatt sinken. Er hob nur kurz den Blick, ehe er an seinem Holzfigürchen weiterschnitzte. „Du, Opa?"

„Hm...?"

„Wie haben Nana und du es geschafft, so lange glücklich verheiratet zu sein?", fragte ich und stützte mich auf meinen Oberschenkeln ab. Noch immer hatte ich nicht mit Eduard gesprochen. Und noch immer tat es so schrecklich weh, wenn ich an ihn dachte und daran, dass ich vielleicht niemals die richtigen Worte finden würde.

Der alte Mann legte das Messer aus seinen Händen und pustete kräftig auf das Holzstück, drehte es herum. Dann griff er erneut nach dem Messer und schnitzte weiter daran herum. „Deine Großmutter und ich geben dem anderen so viel Freiraum wie er braucht. Wir schenken einander unendliches Vertrauen und sind ehrlich. Und reden." Er hob seinen Blick und lächelte mich an. „Ich glaube nicht, dass es da Grundlagen gibt, die in jeder Beziehung funktionieren. Jede Freundschaft ist auf die Menschen angepasst, die diese Freundschaft leben. Natürlich könnte ich dir einen Vortrag halten, wie du sie zu führen hast. Aber ob das in deiner Situation hilft, kann ich nicht wissen. Denn diese Gefühle zwischen zwei Menschen gehen niemanden etwas an, außer dieser beiden. Du musst immer auf dein Herz hören. Lauschen, was es sagt und wenn es nichts sagt, dann ist es das nicht wert. Denn dann ist es dir egal."

Ich betrachtete meinen Großvater. Meistens redete er nicht so viel. Aber wenn er es tat, waren es wirklich schöne Worte. Wahrscheinlich hatte er auch damals einfach die richtigen Worte gefunden, um Nana für sich zu gewinnen.

„Habt ihr beide euch je gestritten?"

„Oh ja. Aber sie hat mir immer verziehen. Und ich ihr." Er nickte leicht, um seine Aussage zu unterstützen.

„Und was hast du getan, um dich bei ihr zu entschuldigen?"

„Junge, weißt du, auch dafür gibt es wahrscheinlich keine Faustregel. Auch da solltest du immer auf dein Herz hören. Denn wenn du die Person kennst, bei der du dich entschuldigen möchtest, wirst du die richtigen Worte und Gesten finden, die die Aufrichtigkeit deines Anliegens ausdrücken." Der alte Mann legte seine faltige Hand auf meine Brust. „Es kann sehr wehtun. Aber wichtige Entscheidungen sind meiner Meinung nach immer eine Sache des Gefühls und nicht der Logik."

Ich legte meine Hand auf die seine. „Ich hab echt Mist gebaut. Und ich hab keine Ahnung, wie ich das wieder geradebiegen soll", flüsterte ich.

„Du liebst ihn, hab ich Recht?" Ich hatte Opa nie davon erzählt, was da zwischen mir und Eduard war. Auch Nana und Lily werden nichts gesagt haben. Aber er war eben nicht blind und dumm sowieso nicht. Ed war öfter bei uns gewesen und hatte Nana beim Kochen geholfen und ihm muss aufgefallen sein, wie ich diesen Jungen angesehen hatte.

„Ich liebe ihn so sehr, dass es mich zerreißt."

Seine Hand fuhr in meinen Nacken, welchen er sanft drückte. „Du wirst deinen Weg finden, Bennet." Mein Großvater öffnete meine Hände mit seiner zweiten und legte sie geschnitzte Holzfigur hinein. „Wenn du ihn so sehr liebst, wie du sagst, dann findet ihr einen Weg zu zweit." Er erhob sich ächzend von seinem Schemel und schlenderte mit seinem Gehstock aus dem Schuppen.

Mein Blick fuhr auf die hölzerne Schneeflocke in meinen Händen.

„Wir sind wie Schneeflocken, Junge. Lass dich nicht in eine Form pressen", hörte ich meinen Opa beim Rausgehen sagen.

Losers [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt