Kapitel 6

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Mit pochendem Herzen ging ich langsam auf die Tür zu. Es klopfte erneut.
"Liebes?" Ich erkannte die Stimme sofort und öffnete die Tür. Die alte Dame lächelte mich unruhig an.
"Ja bitte?"
"Entschuldigen Sie vielmals die Störung, aber gestern Abend... Sie hatten wieder Besuch?". Ich seufzte zustimmend, sie konnte ja nur Hisoka meinen. Sie zog mich in eine herzliche Umarmung: "Hach, ich bin so stolz auf Sie"
"Warum das denn?", fragte ich verwundert. Die Dame löste sich von mir und legte den Kopf schief.
"Na weil Sie ihm doch endlich gesagt haben, dass es so nicht weitergehen kann". Ich schüttelte bloss den Kopf. Wie kommt die denn auf diese Idee.
"Aber, er war doch nur so kurz da und als er ging war er sichtlich verärgert. Haben Sie ihm denn nicht endlich Ihre Meinung gegeigt?". Diese Frau war ja schlimmer als jede Überwachungskamera.
"Nein, es lag lediglich ein Missverständnis vor"
, antwortete ich und zupfte unbewusst an meinem Verband herum. Sie riss die Augen auf.
"War er das!?". Ihr Aufschrei liess mich zusammenzucken.
"Was? Nein! Ich habe mich geschnitten". Sie hörte mir nicht mehr zu, ihr Blick hatte die Blutspur eingefangen und liess sie nicht mehr aus den Augen.
"Wenn ich diesen Mann hier noch einmal sehe, kann der was erleben!" Ihr Kopf rauchte beinahe schon, so wütend war sie.

Eine halbe Stunde später hatte sie sich beruhigt und war zurück in ihr Appartement gegangen. Währenddessen überlegte ich mir, wie ich Hisoka erklären sollte, woher meine Nachbarin diesen unglaublichen Groll gegen ihn hegte. Ich beschloss ihm nichts davon zu erzählen, klemmte die Herz-4 Karte diagonal zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie im Kreis. Da Tamaki nun eindeutig tot war, konnte sie zwei Dinge bedeuten. Ich entschied, mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen und stattdessen ein Buch zu lesen. Mit einem kitschigen Roman in der Hand setzte ich mich aufs Sofa und stürtzte mich in die verzwickte Liebesgeschichte. Hisokas Karte verwendete ich dabei als Buchzeichen.

Mit Studium und Training vergingen weitere Tage und ich fühlte mich schon fast wieder wie zuvor. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich die Einladung zur Auktion vielleicht besser in meinen Safe legen sollte. In der Tasche wühlend fand ich die Karte und die kleine Box, die mir Illumi für Hisoka mitgegeben hatte. Ich war hin- und hergerissen, ob ich ihm nun eine Nachricht senden sollte oder nicht. Entschieden hatte ich mich schlussendlich dafür.

Ich: Hast du heute Zeit?
Auf seine Antwort musste ich nicht lange warten.
Hisoka: Für dich mache ich mir Zeit
I  : Gut, dann 14 Uhr bei mir?
H: Geht klar
I  : Und verspäte dich nicht!
H: Hat da jemand etwa Sehnsucht?
I  : Sei einfach pünktlich...
H: Werd ich schon sein ;)

Ich legte mein Handy weg und betrachtete meine Hände. In den letzten Tagen hatte ich meine Fähigkeit fleissig genutzt, aber dennoch blieb eine Narbe sichtbar. Ich beschloss sie zu behalten, sodass sie mich auf Ewig an meinen ersten Versuch meine Fähigkeit einzusetzen erinnerte. Es waren noch ein paar Stunden bis zu unserem Treffen und dennoch war ich nervöser als je zuvor. Ich versuchte die Zeit mit Training totzuschlagen, aber das funktionierte nur begrenzt. Dann begab ich mich in mein Schlafzimmer, richtete das Bett her und öffnete den Kleiderschrank. Was sollte ich bloss anziehen? Die Wettervorhersage für heute sagte strahlende Sonne voraus, deshalb entschied ich mich für ein gelbes Sommerkleid. Die Uhr in meinem Schlafzimmer zeigte 13.05 an. Also noch knapp eine Stunde.

In gelben Sandalen und einem grossen Sonnenhut lief ich den kurzen Weg über die Strasse zum Park. Dort legte ich mich in die Sonne und genoss die Musik, welche durch meine kabellosen Kopfhörer in mein Kopf projeziert wurde. Meine Gedanken schwebten mit den wenigen kleinen Wattewolken umher und ich dämmerte langsam weg.

Geweckt wurde ich von sensationsgeilen Menschen, die sich in der Nähe meines Hauses um eine Aurakugel versammelt hatten und andere zu sich riefen. Ich war schon beinahe wieder eingeschlafen, da fiel mir ein, dass ich ja noch mit Hisoka verabredet war. Die riesige Standuhr in der Mitte des Parks zeigte 13.45. Glückskind, dachte ich, stand auf und klopfte meinen Hintern ab. Ich rannte zurück zu meinem Wohnkomplex und schob mich durch die Menschenmenge zum Eingang hin. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Da stand Hisoka, so gelassen wie immer und erstaunlicherweise ging die Aurakugel nicht von ihm, sondern von meiner alten Nachbarin aus. Sie redete lautstark auf ihn ein, dass er verschwinden und nie wieder hier auftauchen sollte. Der Angesprochene hingegen stand nur regungslos da, nach hinten gelehnt und die Hände in den Hosentaschen. Er genoss ihren Wutausbruch sichtlich. Doch Hisokas belustigtes Grinsen machte die alte Frau nur noch wütender.

"Entschuldigung", murmelte ich und drängelte mich an den tuschelnden Schaulustigen vorbei in die Mitte des Kreises. Dort hakte ich einen Arm in seinen und zog ihn mir hinterher.
"Deine Nachbarin will mich nicht reinlassen!", schmollte er beleidigt ohne mir den Blick zuzuwenden.
"Und du fragst dich wirklich weshalb?", antwortete ich sarkastisch und drückte mich an der Frau vorbei, die bis vor kurzem noch versuchte, Hisoka vom Haus fernzuhalten.
"Sie hat was besseres verdient!", schrie sie uns noch hinterher.
"Etwas besser als mich?!", grinste Hisoka sie an. Seine Antwort jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Im Aufzug sah er mich das erste Mal an.
"Wieso verziehst du so das Gesicht? Ich bin doch pünktlich." Verständnislos starrte ich zurück. "Dir fällt echt nichts ein. Ich geb dir ein paar Beispiele". Wir stiegen aus dem Lift, ich öffnete genervt die Haustür und drückte ihn am Rücken in meine Wohnung. Er funkelte mich kurz an. Ich wusste, dass er es nicht mochte, wenn jemand so mit ihm umging, aber das war mir gerade herzlich egal.
"Ich kann jetzt froh sein, wenn ich keine Verwarnung von der Hausverwaltung bekomme. Die Leute werden darüber sprechen und ich sags dir, Leute wie diese reden viel. Ganz zu schweigen von den Gerüchten um unsere Beziehung..."
"Welche Beziehung?", unterbrach er mich und setzte sich auf mein Sofa.
"Genau das meine ich ja",
versuchte ich ihm klar zu machen.
"Was denkst du wie lange es dauert, bis der erste deiner Neider denkt, er könne durch mich an dich herankommen!?"
Er schüttelte bloss den Kopf.
"Was sollte dann passieren? Du bist mein Spielzeug. Geht ein Spielzeug kaputt, muss man sich ein neues suchen." Seine Gleichgültigkeit traf mich härter als erwartet. Aber er hatte Recht. Wie war ich bloss auf die Idee gekommen, mehr für ihn zu sein. Mein Blick schweifte durch den Raum und blieb auf Zoldycks Box hängen. Ich stand auf und überreichte sie Hisoka.
"Was ist das?" Ich zuckte die Schultern und erklärte ihm, dass es von Illumi stammte. Er betrachtete sie kurz desinteressiert und stellte es neben das Buch auf dem Wohnzimmertisch.

Ich entnahm die Karte aus dem Roman und hielt sie Hisoka hin.
"Ich will versuchen es aufzulösen", gab ich stehend bekannt. Er nickte gelangweilt und wies mir mit einer Handgeste anzufangen.
"Das Herz und die Vier ",
setzte ich zu meiner Erklärung an,
"sind zwei Symbole, die geteilter Meinung, zusammem einen Sinn ergeben sollen. Die Vier ist nach japanischem Aberglaube ein Anzeichen für den Tod und bei dieser Bedeutung bleibe ich auch. Beim Herz dachte ich zuerst an die allgemeinste Erklärung: Die Liebe. Aber ich konnte keinen Zusammenhang zwischen den beiden finden, bis im Fernseher über Tamakis Mord berichtet wurde und mir die Worte auf deinem Zettel wieder einfielen. Da wurde mir bewusst, dass das Herz nicht für die Liebe, sondern das Leben steht. Ein Leben das du genommen hast, Hisoka!" Nach dieser Anschuldigung hielt ich kurz inne um Luft zu schnappen und wartete auf eine Reaktion, aber er rührte sich nicht.
"Meine Deutung der Karte ist dementsprechend die folgende: Kein anderer als du entscheidet über Leben und Tod!"

Hisoka hatte sich seit dem Start meiner Rede keinen Millimeter bewegt. Nach einer Weile löste er sich aus seiner Starre.
"Es stimmt. Alles. Ich habe Hinamura Tamaki getötet." Er strahlte eine bedrohliche Ruhe aus.
"Er wollte dich, aber du gehörst mir! Dass Überleben des Stärkeren ist und bleibt ein Naturgesetz." Ich presste die Lippen zusammen. Hisoka war mir mit einem Schlag noch unheimlicher geworden und ich stellte fest, dass meine Nachbarin Recht behielt. Ich war bloss eine weitere Marionette in seinem Leben, die er herumkommandieren und dessen Leben er achtlos wegwerfen konnte, sobald er keine Lust mehr auf sie hatte.
"Man sollte zuerst fragen bevor man die Spielzeuge anderer nutzt", gab er von sich.
"Dann darf ich mir jetzt was wünschen?", fragte ich angespannt. Er brummte zustimmend, lehnte sich zurück und legte seinen Arm auf die Kopfstütze.
"Was willst du?". Er sah zu mir hoch. Seine stechenden gelben Augen schienen mir direkt in die Seele zu schauen und ich musste schlucken. 

"Ich wünsche mir, ..." Ich stockte, nahm all meinen Mut zusammen und vervollständigte den Satz.
"Ich wünsche mir, dass du aus meinem Leben verschwindest!"

Why him...  // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt