Kapitel 36

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"Ich gebe dir Zehn Sekunden Vorsprung. Danach werde ich dir folgen und versuche dich damit zu treffen. Du darfst dich die ganze Zeit überall im Raum aufhalten. Dabei ist dir nur erlaubt auszuweichen, dein Nen darfst du aber nicht einsetzen und du darfst mich nicht zurück angreifen", erklärte Feitan, während er einen halben Meter langen Holzstab in die Hand nahm.
"Wenn du zehn Sekunden lang nicht von mir getroffen wirst, beenden wir die Übung. Schaffst du mehr, darfst du mich damit schlagen." Verwirrt sah ich ihn an. Was wollte er damit bezwecken.
"Zehn"
"Neun", begann er die Sekunden zu zählen.
"Was meinst du damit, du versuchst mich zu treffen?"
"Acht"
"Feitan?"
"Sieben"
"Sechs"
"Fünf" Als er nicht aufhörte runter zu zählen rannte ich los. Gab es hier einen Ort an dem ich mich verstecken konnte?
"Vier"
"Drei" Ich hatte mich hinter einem Geröllhaufen positioniert. Wenn er kommt werde ich ihm ausweichen.
"Zwei"
"Eins"
Kaum eine Sekunde später erschien Feitan wenige Zentimeter vor meinem Gesicht. Der Stock landete hart in meiner Seite. Der Schlag kam mit einer solchen Wucht, dass ich von den Füssen gerissen wurde, wodurch ich überrascht aufkeuchte. Jetzt wusste ich was er mit treffen meinte und er war verdammt schnell.
"Zehn", startete der Schwarzhaarige den Countdown erneut. Diesmal sprintete ich sofort los. Nur Verstecken reichte nicht, ich musste wirklich vor ihm davonlaufen. Vor Aufregung zitternd rannte ich durch den ganzen Raum und dann die Treppe zum Indoorbalkon hoch. Wenn er mir die gleiche Zeit Vorsprung gab, wie ich ihm ausweichen musste, dann könnte ich ja einfach die Zeit in Distanz zwischen uns bringen. So bräuchte er die Zeit mich zu erreichen.

Vorsichtig näherte ich mich der kniehohen Brüstung, um Feitan zu sehen, wenn er kommt.
"Du bewegst dich viel zu langsam", hörte ich plötzlich seine Stimme hinter mir. Etwas knallte kraftvoll auf mein Kreuz. Die Stärke des Schlages warf mich über die schützende Eisenstange und ich fiel zwei Meter zu Boden. Ich landete so hart auf meinem Rücken, dass mir für kurze Zeit der Atem wegblieb. Wie ein Ertrinkender sog ich Luft in meine Lungen und setzte mich auf.
"Fünf", hörte ich Feitan zählen. Wie kann ich ihm entkommen!? Die nächste Idee, die mir in den Sinn kam, war immer in Bewegung zu bleiben. Doch der Countdown war beinahe wieder vorbei. Ich entschied mich, in eine Ecke zu sitzen und mit meinen Armen den Kopf zu schützen. Zum einen konnte ich so die Angriffsrichtung beeinflussen und seine Position für die nächste Runde wäre ganz am Rande des Raumes.
"Eins"
Das Holz kollidierte gewaltsam mit meinen Armen. Leidend biss ich die Zähne zusammen, rappelte mich aber gleich darauf auf. Dreissig Minuten lang versuchte ich mich vor ihm zu verstecken oder davonzurennen. Aber Feitans ungeheure Geschwindigkeit vereitelte meine Pläne. Mein ganzer Körper schmerzte von den Hieben.

"Zehn" Feitans gleichgültigen Blick ignorierend, lief ich erneut los. Diesmal würde ich aber nicht stoppen. Er hatte mir zwar verboten Nen einzusetzen, aber ich konnte doch seine Aura nutzen, um seinen Standpunkt im Raum zu lokalisieren. Ich teilte meine Konzentration aufs Weglaufen und aufs Lokalisieren. Ich spürte sie plötzlich ganz deutlich hinter mir. Daraufhin liess ich mich auf den Boden fallen und rollte mich unter einem Rohr durch. Dahinter kam ich blitzartig wieder hoch und rannte weiter.
"Nicht schlecht", sprach er neben mir und schmetterte den Stab rücksichtslos gegen meinen Busen. Schmerzerfüllt drückte ich meine Hände an meine Oberweite, überwand mich aber weiterzumachen und brachte erneut Distanz zwischen mich und meinen Jäger.

Meine Lunge brannte wie Feuer. Seit zwei Minuten sass ich am gleichen Ort und bekam alle zehn Sekunden einen skrupellosen Hieb gegen meine Arme oder Beine nach dem anderen. Blaue Flecken zierten meinen ganzen Körper, doch ich konnte nicht mehr. Ich musste zuerst wieder zu Atem kommen.
"Zehn", begann Feitan einen neuen Countdown, als ich mich wieder erhob. Unfähig zu rennen, ging ich aus seinem Sichtfeld. Wieder würde ich versuchen, durch die Bewegung seiner Aura festzustellen, wo er sich aufhielt und so seinen Angriffen ausweichen. Ich konnte seine Körperposition hinter mir genau fühlen. Die nächste Attacke würde meine Schulter treffen. So konnte ich dem ersten Schlag ausweichen, sah den zweiten aber schon kommen. Er traf mich erbarmungslos an der Schläfe. Benommen sank ich zu Boden. Meine Sicht war leicht verschwommen. Im Wissen was in wenigen Sekunden wieder passieren würde, positionierte ich mich wie zuvor ohne grosse Angriffsfläche auf dem Boden. Der Holzstab knallte gegen meine tauben Arme.

Ich wartete, bis ich mich wieder einigermassen unter Kontrolle hatte. Dann erhob ich mich beim Start einer neuen Vorsprungssequenz. Die Zeit nutzte ich, um mich so schnell und so weit von Feitan zu entfernen, wie ich konnte. Ich konzentrierte mich. Augenblicklich fühlte ich seine Anwesenheit. In diesem Moment konnte ich ihn sogar über eine wenig grössere Distanz erspüren. Ich änderte meine Richtung entgegengesetzt zu der, aus der Feitan angeschossen kam. Zwei übereinandergelegene Rohre versperrten mir den weiteren Weg, zwischen ihnen war gerade genug Platz, dass ich mich flach durchbewegen könnte. Feitan war beinahe bei mir. Ich sprang mit einer Hechtrolle durch den Spalt, griff mit den Händen nach der unteren Leitung und zog mich mit einer kräftigen Bewegung dahin zurück, wo ich hergekommen war. Der Schwarzhaarige hatte die Abkürzung über die Röhren genommen und stand jetzt auf der anderen Seite. Sofort raffte ich mich wieder auf und sprintete weiter und wieder die Treppe zum Balkon hoch. Ich spürte ihn bereits hinter mir ausholen, als ich ihm einen Strich durch die Rechnung machte und von selbst vom Balkon wegsprang. Ich versuchte oben auf einem Trümmerhaufen zu landen, hatte aber zu viel Schwung nach vorne, wodurch ich dann unsanft den Berg hinunterrollte. Auf meine Ellenbogen und Knie gestützt verharrte ich. Neben mir sah ich bereits wieder Feitans Schuhe und wartete auf den Schlag.

"Du hast Zehn Sekunden geschafft. Wir sind fertig" Er wandte sich ab und verliess den Raum. Erledigt wältzte ich mich auf den Rücken. Alles tat mir weh. Meine Arme und Beine waren blau aufgeschwollen. Ich blieb liegen und atmete tief durch. Wie spät es wohl ist? Feitan hatte bestimmt vier Stunden damit verbracht auf mich einzuprügeln. Grummelnd meldete sich mein Magen zu Wort. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Energielos lag ich da und starrte an die graue Decke. Draussen wurde es langsam dunkel.

Ich weiss nicht, wie lange ich unbewegt dagelegen hatte. Aber mittlerweile war es stockfinster. Die Tür öffnete sich und jemand rief suchend mein Name.
"Ich bin hier, Phinks", antwortete ich kraftlos. Mit einer Taschenlampe in der Hand schritt er durch den Raum. Der Lichtschein glitt über die Trümmerhaufen und fing schliesslich meinen geschundenen Körper ein.
"Ojee", seufzte der Blonde. Vorsichtig schob er einen Arm unter meine Kniekehlen und den anderen unter meinen Rücken. So hob er mich hoch und trug mich in sein Zimmer. Zu meinem Glück trafen wir auf dem Weg keinen der anderen, sodass mich niemand in dieser peinlichen Situation sah. Behutsam legte er mich ins Bett.
"Erwartet Chrollo mich noch?", fragte ich unruhig. Das hatte ich total vergessen. Doch Phinks schüttelte bloss den Kopf.
"Feitan meinte beim Abendessen, dass du dich wahrscheinlich nicht mehr rühren kannst." Er betrachtete mich kurz.
"Was offensichtlich auch stimmt. Dafür sollst du morgen Vormittag beim Boss vorbeischauen. Das hier soll ich dir noch geben, mit viel Liebe von Kortopi." Grinsend reichte mir der Blonde einen Teller mit Gemüse und Reis. Ich verschlang das Essen sofort.
"Jetzt solltest du dich besser ausruhen. Nachmittags machen Uvogin und ich mit dir weiter, wo wir heute aufgehört haben. Feitan will dann am Abend wieder mit dir trainieren." Ich nickte schwach.
"Ich gehe wieder zu den anderen, versuche aber leise zu sein, wenn ich zurückkomme." Mit einem aufmunterndem Lächeln, schloss er die Tür hinter sich. Total erschöpft fielen mir die Augen zu. Ich fühlte mich hundeelend. Aber es war schön, dass sich jemand um mich kümmerte. 


Why him...  // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt