20. Wachwechsel

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Ich wachte auf, weil mir jemand sanft über die Wange strich und mich ansprach. "Lilly. Wach auf. Kannst du weiter Wache halten?" verwirrt setzte ich mich hin und wusste im ersten Moment nicht, wo ich war. Dann sah ich in Phil's Gesicht und mir fiel es wieder ein. Na klar. Wie konnte ich die Entführung und die anderen Ereignisse nur vergessen?
"Ja klar. Wie geht es Florian?" murmelte ich schlaftrunken.
"Unverändert. Aber ich bin froh, dass das Fieber nicht schlimmer geworden ist."
Phil sah ziemlich fertig aus. Wie lange er wohl schon Wache gehalten und ich geschlafen habe? Ich verlor hier drin so langsam das Zeitgefühl.
Ich schüttelte den letzten Rest Müdigkeit ab und machte Phil auf der Matratze Platz, damit er sich hinlegen konnte. Ich saß auf einer kleinen Ecke der Matratze und lehnte mich an die Wand, den Blick unverwand auf Florian gerichtet.
"Wenn sich bei Florian irgendetwas verändert, dann weck mich sofort. Egal ob es ihm besser oder schlechter geht. Ok?" bat mich Phil.
"Ja mach ich. Und jetzt leg dich hin. Du siehst total fertig aus." sagte ich sanft zu ihm.
Das ließ sich Phil nicht zweimal sagen. Er legte sich hin und war offenbar sofort eingeschlafen. Ich sah hinüber zu Florian. Er lag dort und schlief. Man sah ihm an, dass er krank war. Aber Phil hatte Recht gehabt. Es schien zumindest nicht schlimmer zu werden. So saß ich einige Zeit dort und hing meinen Gedanken nach. Dann regte sich Florian etwas. Ich ging zu ihm hinüber, kontrollierte mit meiner Hand seine Temparatur und sprach ihn an. "Florian? Alles ok?"
"Hmmm. Mal abgesehen davon, dass ich mich fühle wie ausgekotzt, ja. Ich bin nur kurz aufgewacht." Er sah mich an.
"Was ist das da eigentlich zwischen Phil und dir?" fragte er mich.
Ich sah ihn verdutzt an. "Was soll denn da sein? Ich weiß gerade nicht, was du meinst."
"Ach komm. Läuft da was zwischen euch? Ich bin doch nicht blöd. Nur weil ich die Augen zu habe, heißt das nicht automatisch, dass ich die ganze Zeit schlafe. Außerdem hab ich das unterschwellig schon gemerkt, als ich hier ankam. Du müsstest mal sehen, wie ihr euch anguckt." Er lächelte amüsiert.
"Ich weiß doch selber nicht, was das ist." gestand ich ihm. "Die Bedingungen, unter denen wir uns kennengelernt haben, waren ja alles andere als normal. Ich frage mich, ob wir uns da draußen nach unserem Aufeinandertreffen im Wald überhaupt nochmal gesehen hätten, wenn uns unser Entführer nicht mitgenommen hätte."
Florian sah mich einen Moment nachdenklich an. "Also wenn ich das richtig sehe, dann mag Phil dich wirklich sehr. Und mir kannst du da glauben. Ich kenne ihn schon sehr lange und weiß, wie er tickt. Er mag deine Art, dein Wesen, deinen Dickkopf. Phil hat mir von der Aktion des anderen Typen erzählt und wie es schlussendlich dazu kam, dass du dir die Schulter ausgekugelt hast. Er sagte, dass du keinen Ton von dir gegeben hast. Du hast die Schmerzen einfach ertragen. Ich glaube, das hat ihn beeindruckt." "Meinst du?" fragte ich skeptisch. "Ja definitiv. Glaub mir, ich kenne ihn sehr gut."
Bei seinen Worten spürte ich ein kribbelndes Glücksgefühl in meiner Brust. Ich dachte, ich müsste gleich platzen vor Glück. Phil mochte mich also. Das war auf jedenfall ein Anfang.
Florian hatte erschöpft die Augen geschlossen. Ich kehrte auf meinen Platz neben Phil zurück und beobachtete ihn beim schlafen. Jetzt konnte ich ihn in aller Ruhe betrachten, ohne Angst zu haben, er könnte sich beobachtet fühlen.
Mein Blick streifte über sein Gesicht und blieb an seinen wuscheligen Haaren hängen. Wie gerne würde ich ihm mit der Hand durch die Haare fahren. Aber ich hatte zu sehr Angst davor, dass er davon aufwachen würde. Das wäre mir dann doch zu peinlich. Deswegen ließ ich es bleiben und sah ihn einfach weiter an. Ich war wohl irgendwann eingeschlafen. Denn ich erwachte davon, dass Florian sich hin und her wälzte. Ich stand auf und ging zu ihm herüber. Er war wach aber in einer Art Fieberwahn. Ihm stand der Schweiß auf der Stirn und er nahm mich nicht wirklich war.
"Scheiße. Phil!!!" rief ich.
Phil zuckte zusammen und saß sofort senkrecht auf der Matratze. Oje der Arme. Ich wollte ihn nicht so erschrecken.
"Was ist los? Ist was mit Florian?"
"Ich glaube es geht ihm schlechter. Er schwitzt sehr stark und ist irgendwie nicht ganz da."
Phil sprang auf und kam sofort zu uns herüber.
Er untersuchte Florian soweit ihm das mit den gegebenen Mitteln möglich war. Anschließend sah er mich an.
"Wie lange geht das schon so?" fragte er mich. Ich zog den Kopf etwas ein. "Ich weiß es nicht. Ich bin eingeschlafen und erst aufgewacht, als er sich schon so herumgewälzt hat. Es tut mir Leid. Das hätte nicht passieren dürfen." ich sah zerknirscht zu Boden.
"Ok. Gut ist das nicht. Das weißt du selber. Aber wir können es jetzt nicht mehr ändern. Wir müssen ihn irgendwie kühlen. Er bekommt eine von unseren Decken. Die ist etwas dünner als seine. So verschwitzt wie er ist, will ich ihn nicht ohne Decke liegen lassen. Dafür machen wir ihm aber Wadenwickel."
"Aber wir haben doch noch keine Handtücher" warf ich ein.
"Aber Florian's nasse Klamotten von gestern. Ich denke wir können das T-shirt und die Swetjacke zweckentfremden. Wir haben auch noch etwas Wasser. Ich hoffe, dass das reicht, bis unser Entführer Nachschub bringt." sagte Phil.
Bevor wir Florian Wadenwickel machten, zwang Phil ihn eher weniger erfolgreich noch etwas zu trinken. Als wir mit den behelfsmäßigen Wadenwickeln fertig waren, kam unser Entführer mit den Handtüchern und dem Wasser. Auch Fiebersenkende Medikamente hatte er organisiert. Es sah fast so aus, als hätte er es aus irgendeiner Notaufnahme geklaut. Aber so genau wollte ich es garnicht wissen. Phil gab Florian das Medikament. Unsere Wadenwickel ließen wir erstmal wo sie waren. Florian sollte mal etwas zur Ruhe kommen können. Phil meinte zu mir ich könne mich hinlegen und er würde weiter Wache halten. Traute er mir jetzt nicht mehr?
Ich weigerte mich und blieb bei Florian sitzen. Ich saß auf seiner Matratze, hatte seinen Kopf auf meinen Schoß gebettet. Mit einem kleinen, feuchten Handtuch tupfte ich ihm immer wieder die Stirn ab. Mich plagte mein schlechtes Gewissen. Wenn ich besser aufgepasst hätte, dann hätten wir viel früher reagieren können. Ich sah zu Phil.
"Meinst du er schafft es?"
"Das wird die Nacht zeigen. Schaffst du es wach zu bleiben? Dann würde ich mich noch ne Runde hinlegen." sagte Phil. Ich nickte. "Ja. Versprochen. Das passiert mir bestimmt kein zweites Mal." versicherte ich ihm.
Phil legte sich also wieder hin und ich blieb wo ich war, kümmerte mich um Florian und hoffte, dass das Fieber sinken und er die Nacht überstehen würde.

Der Amoklauf, der mein Leben veränderteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt