23. Der Sturz

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Der Klettergriff löste sich von der Wand und Phil stürzte, mit dem Klettergriff in der Hand, in die Tiefe. Mir entfuhr ein entsetzter Schrei. Florian reagierte zum Glück geistesgegenwärtig und lehnte sich in das Seil, um Phil's Sturz abzufangen. Der Sturz dauerte nicht lange. Das Seil spannte sich, Phil's Sturz wurde gebremst und durch den Schwung wurde er gegen die Wand geschleudert.

Mir stockte der Atem. Ich sah zu Phil nach oben. Er hing noch in ca. 2,5 Metern Höhe und bewegte sich nicht. Zum Glück wurde er durch den Klettergurt und das Seil in einer sitzenden Position gehalten.
"Phil?!" rief ich zu ihm nach oben. Doch er reagierte nicht. Er war ganz offensichtlich bewusstlos. Ich sah panisch zu Florian. "Was machen wir denn jetzt? Er reagiert überhaupt nicht."
"Ich lasse ihn jetzt ganz langsam und vorsichtig herunter und wenn er nah genug am Boden ist, dass du herankommst, dann hälst du ihn fest und legst ihn vorsichtig auf den Boden. Ok?" sagte Florian.
Ich nickte, stellte mich unter Phil und griff nach ihm, sobald ich ihn erreichen konnte. Ich legte ihn vorsichtig auf dem Boden ab. Phil hatte die Augen geschlossen und eine Platzwunde an der Stirn.
"Heyy. Phil. Wach auf. Bitte! Wach auf!!" mir liefen die ersten Tränen über die Wange. Florian hatte sich aus der Sicherung gelöst und kam zu uns rüber gelaufen. Er kniete sich neben Phil und tastete seinen Kopf ab. "Ok. Es scheint nichts gebrochen zu sein. Aber die Platzwunde ist schon recht ordentlich. Die muss versorgt werden. Ich versuch mal, ob ich ihn wach bekomme."
Daraufhin setzte er Phil einen Schmerzreiz. Doch er reagierte nicht darauf. Da wurde Florian etwas energischer und Phil's Augenlider begannen zu flattern. "Hey Kumpel. Da bist du ja wieder. Musst du eigentlich immer mit dem Kopf durch die Wand?" fragte Florian an Phil gewand. Dieser lächelte nur gequält und erwiderte erstmal nichts, sondern schloss die Augen wieder. "Heyy. Phil! Hier bleiben! Hast du verstanden?!" Florian zwang Phil dazu die Augen offen zu halten und fragte ihn, ob er noch irgendwo Schmerzen hätte. Da Phil dies verneinte, halfen wir ihm in eine sitzende Position.
Phil lehnte erschöpft den Kopf gegen die Wand und atmete tief durch.
"Alles klar bei dir?" fragte ich ihn besorgt. "Es ging mir schonmal besser. Aber unter den gegeben Umständen geht es mir gut." Phil lächelte mich an. Und als er meinen skeptischen Blick sah fügte er noch hinzu: "Ok. Abgesehen von den hämmernden Kopfschmerzen und dem Schwindel geht es mir gut. Jetzt zufrieden?" Ich lächelte und nickte. Das klang schon realistischer. Zumal Phil gerade ziemlich lädiert aussah.
"So. Jetzt mal Schluss mit dem Kindergarten Geplänkel und den Doktorspielen. Euer Freund ist ja wieder Fit. Ich bring euch jetzt zurück in euer schönes Zimmer und hole euch zu unserer nächsten Spielerunde dort wieder ab. Also los jetzt. Ich hab nicht ewig Zeit." Ich hatte das Gefühl, dass Erik absolut keine Empathie besaß. Wenn doch, dann hielt er sie sehr gut verborgen. Dank ihm mussten wir jetzt zusehen, dass wir Phil irgendwie zurück bugsierten. Er konnte alleine keinen Meter geradeaus laufen. Also zog Florian ihn hoch und legte sich Phil's rechten Arm über die Schulter. Ich trat auf die andere Seite und legte mir seinen linken Arm über meine Schulter. Da Florian recht groß und ich eher klein war, hatte unsere Formation nach links ziemliche Schlagseite. Sehr zu meinem Leidwesen, da der Großteil von Phil's Gewicht auf meinen Schultern lastete. Phil war nicht schwer. Aber mit jedem Schritt den ich tat, fühlte er sich schwerer an und ich betete innerlich, dass ich genug Kraft aufbringen könnte, um Phil bis zu unserem Gefängnisraum zu stützen. Ich befand mich innerlich in einer Art Tunnel. Ich konzentrierte mich immer nur auf den nächsten Schritt und achtete nicht weiter auf meine Umgebung. Daher war ich sehr überrascht, als wir uns plötzlich schon vor der Tür befanden, die zu unserem Gefängnis führte. Erik schloss uns auf und schickte uns hinein. Als wir drei im Raum standen, schloss er kommentarlos die Tür und verriegelte diese. Wir würden also einfach warten müssen, bis er das nächste mal kommt um mit uns zu spielen.
Ich konzentrierte mich wieder auf Phil. Florian und ich legten ihn auf der Matratze ab und Florian legte ihm noch seine zusammengefaltete Jacke unter den Kopf. Dann begann er damit, die Wunde zu säubern.
"Ich glaube du hast Glück Phil. Die Wunde muss nicht genäht werden. Das sah vorhin schlimmer aus, als es jetzt auf den zweiten Blick ist." Phil lächelte nur müde. Man merkte ihm an, dass er den Schlag gegen den Kopf nicht einfach so wegsteckte. Wenn dem so wäre, dann hätte er bereits wieder Witze gerissen. Aber das er so schweigsam war, machte mir schon Sorgen.
Wir gönnten Phil seine Ruhe und zogen uns in die andere Ecke des Raumes zurück. Dort vertieften wir uns in eine Unterhaltung, in der es hauptsächlich um mich und mein bisheriges Leben ging. Florian wollte gefühlt alles über mich wissen. Es war mir fast etwas unangenehm. Aber er meinte nur schulterzuckend, dass wir ja nun schon ein paar Tage zusammen eingesperrt seien und er gerne wüsste, mit wem er da eigentlich eingesperrt ist. Da er Phil schon vorher kannte, wäre es nur logisch, dass er mich jetzt ausfragen müsse. Dieser unschlagbaren Logik ergab ich mich und erzählte ihm einige Eckpunkte aus meinem Leben. Viel war es nicht. Immerhin stand ich mit meinen 19 Jahren noch am Anfang meines Lebens, hatte gerade mal mein Abitur gemacht und war nun mitten in der Ausbildung. Im Anschluss löcherte ich Florian mit Fragen. Das fand ich absolut fair, nachdem ich ihm meine Lebensgeschichte erzählt hatte.
So verging der restliche Tag. Bevor wir uns schlafen legten, sah Florian nochmal nach Phil. Da der aber seelenruhig schlief, legten wir uns auch hin. Da ich Phil nicht stören wollte, teilte ich mir in dieser Nacht die Matratze mit Florian.

Der Amoklauf, der mein Leben veränderteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt