Sie sind da

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Der zweite Tag brach an. Es war erst sechs Uhr in der Früh und Tessa war bereits in der Küche. Sie bereitete das Frühstück vor, denn schon um zehn Uhr standen der Butler Mister Carrywinter und die Hauswirtschafterin Agnes vor der Tür. Sie hatten das Haus nach dem Tod von Tessas Onkel zunächst verlassen, jedoch hatte Tessa ihnen versprochen, dass sie sie weiterhin im Haus beschäftigen würde. Sie waren beide schon recht alt und immer für Tessa da gewesen, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie nun ohne Job dastehen lassen und ihnen auch noch ihr Heim wegnehmen, das konnte Tessa nicht. Auch wenn sie es eigentlich lieber mochte, Dinge selbst zu erledigen. Doch Tessa wollte sie auch da haben, um etwas Gesellschaft zu haben.

Sie selbst war Schriftstellerin und arbeitete die meiste Zeit von zu Hause aus, nebenbei studierte sie Journalismus auf einer Fernuniversität. Nathan jedoch studierte ganz normal und würde bis zum Ende des Studiums nur am Wochenende dort sein, die restliche Zeit würde er aufgrund der Entfernung auf dem Campus der Uni verbringen. Dieses große Haus konnte auch für einen Erwachsenen sehr schnell, sehr einsam werden, weshalb Tessa froh war, dass Mister Carrywinter und Agnes zugestimmt hatten wieder auf das Anwesen zu ziehen. Es war sowieso groß genug und bot genug Zimmer für sie alle und mehr. Es gab auch ein kleines Gästehaus in der Nähe des Sees, doch für die erste Zeit würden die beiden mit Tessa und Nathan im Haupthaus leben, so wie sie es auch früher getan hatten. Tessa war sehr aufgeregt, sie hatte die beiden immerhin ebenfalls seit Jahren nicht mehr gesehen, an der Beerdigung hatte Tessa leider nicht teilnehmen können. Ihr Onkel wurde auf dem Anwesen beigesetzt, auf einem kleinen Familienfriedhof im Wald.

Als es an der großen Eingangstür klopfte, erschrak Tessa für einen Moment, doch dann rannte sie zur Tür und als sie diese öffnete und Mister Carrywinter und Agnes sah, umarmte sie die beiden und begrüßte sie freudestrahlend. Der Bann war sofort gebrochen, trotz all der Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten, war es so als wäre Tessa nie weg gewesen. Vor allem Agnes freute sich wahnsinnig. Sie war schon immer die gute Seele des Hauses und wie eine Mutter für Tessa gewesen. Sie bat die beiden rein und setzte sogleich eine Tasse Tee auf. Sie setzten sich an den Tisch in der Küche und unterhielten sich stundenlang über alte Zeiten und über alles, was in der Zeit von Tessas Abwesenheit passiert war.

Irgendwann stieß dann auch Nathan dazu und begrüßte die beiden freundlich. Instinktiv hörten sie auf zu reden und sahen Nathan an. "Das ist Nathan, mein Freund. Er wird mit uns hier wohnen, zunächst allerdings nur an den Wochenenden", erklärte Tessa. Sie war über die Reaktion der beiden verblüfft, immerhin hatte sie ihnen bereits vorher von Nathan erzählt. "Nur keine Scheu, er ist ein netter junger Mann, wirklich. Nathan, setz dich doch zu uns", versuchte Tessa diese quälende Stille zu unterbinden. Für Agnes und Mr Carrywinter musste dies eine komplett neue Situation gewesen sein. Sich daran zu gewöhnen, dass es nun einen neuen Hausherren gab, der noch dazu so jung war. Das war nicht einfach zu akzeptieren, sie waren immerhin in all der Zeit auch zu guten Freunden von Tessas Onkel geworden und wollten sein Andenken in Ehren halten. "Es freut mich sie beide kennenzulernen, ich bin mir sicher, wir werden uns gut verstehen", sagte Nathan und reichte beiden die Hand. Beide nahmen seine Hand an, danach verabschiedete er sich, da er Besorgungen zu erledigen hatte in der Stadt.

Als Nathan das Haus verlassen hatte, lockerte sich die Stimmung wieder auf. Tessa verstand nicht wirklich wieso sie so reagiert hatten, da sie sonst doch so herzensgute und liebe Menschen waren. "Nathan und ich wollen das Haus auf Vordermann bringen. Neue Tapeten, einen neuen Anstrich für den Boden, neue Möbel... das wird sicher toll...", erzählte Tessa. Mr Carrywinter sah sie erschrocken an: "Du hast doch nicht etwa vor den roten Raum zu öffnen?" "Nein Mr Carrywinter, natürlich nicht, ich habe es Onkel Archibald doch versprochen. Der Raum wird versiegelt bleiben. Und selbst wenn ich ihn öffnen wollen würde, ich habe doch überhaupt keinen Schlüssel. Was ist damit eigentlich passiert? Wurde er mit ihm begraben?", fragte Tessa. "Nein, das nicht. Dein Onkel gab ihn mir kurz vor seinem Tod. Er ahnte, dass er nicht mehr lange leben würde und ich musste ihm schwören, den Raum verschlossen zu halten und den Schlüssel mit meinem Leben zu verteidigen", erklärte Mr Carrywinter.

"Aber was ist denn nur in diesem Raum? Was hat Onkel Archibald solche Angst gemacht? Ist es etwas Gefährliches? Sind es Artefakte von seinen Expeditionen? Ihr wisst doch bestimmt etwas darüber." "Nein mein liebes Kind, auch wir wissen nicht, was sich hinter diesem Raum verbirgt", beteuerte Agnes. Wir haben lange Jahre mit deinem Onkel hier gelebt und selbst uns hat er nie etwas darüber erzählt. Als er noch reiste, lagerte er dort wichtige Exponate, die er verwahrte bis sich ein Käufer dafür gefunden oder das Land es für eine Ausstellung im Museum abgeholt hatte. Doch irgendwann veränderte sich etwas... er arbeitete damals oft bis spät in die Nacht hinein und lief durchs Haus. Es hat mich manchmal wahnsinnig gemacht. Doch dies hörte schlagartig auf. Eines Nachts, nachdem dein Onkel wieder mal von einer Expedition zurückgekehrt war, hörte ich einen markerschütternden Schrei.

Agnes stockte für einen kurzen Moment, dann erzählte sie weiter: "Ich lief sofort runter ins Foyer, doch als ich den Raum erreichte, schlug er die Tür zu und kam zwei Tage lang nicht wieder raus. Er sagte immer wieder nur, dass er nicht gestört werden wolle. Das respektierten wir selbstverständlich, trotz aller Freundschaft war er ja immer noch der Herr des Hauses und wir seine Angestellten.

Nach diesen zwei Tagen kam er früh morgens aus dem Raum heraus, verschloss die Tür und öffnete sie nie wieder. Seitdem hat er das Anwesen nie wieder verlassen und ließ niemanden auch nur in die Nähe der Tür." Als Agnes fertig war mit ihren Ausführungen, wusste Tessa nicht was sie sagen sollte. Was war dort bloß passiert und warum hatte er nie jemandem erzählt, was in jener Nacht geschehen war?

Die rote TürWo Geschichten leben. Entdecke jetzt