Teil 12

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Irgendwann wachte Ava mit Schmerzen im Nacken wieder auf. Sie rieb sich die betroffene Stelle und streckte sich umständlich in dem zum Schlafen viel zu kleinen Sessel. Dabei rutschte ihr die Decke von den Schultern. Verwundert blickte sie auf ihren Schoß. Das war doch die Decke, die sie Chris heute Nacht gegeben hatte?

„Na, auch mal wieder wach?" Sie sah auf und begegnete Chris' amüsiertem Blick. „Wie spät ist es?", fragte sie ihn gähnend und streckte sich dabei erneut. „Fast 15 Uhr.", entgegnete er ihr.

„Hast du auch noch einmal geschlafen?" Er nickte und Ava bemerkte, dass seine Haare mittlerweile nicht mehr in alle Richtungen abstanden. „Ich bin auch erst vor einer halben Stunde aufgewacht und habe mir einen Espresso gemacht und mir einen Apfel genommen, ich hoffe, das war in Ordnung." „Klar" antwortete Ava, „und danke für die Decke. War dir nicht kalt?" Chris schüttelte nur den Kopf und richtete seinen Blick auf den Fernseher, wo nach wie vor die Nachrichten liefen. Eine Weile sahen beide nur stumm in Richtung des Bildschirms und verfolgten das Geschehen. Dann stand Ava auf und lief zur Küche, um sich ebenfalls einen Espresso zu machen. Da fiel ihr zum ersten Mal auf, dass sie noch gar nicht aus dem Fenster gesehen hatte, um zu sehen, wie es draußen wirklich aussah. Der Anblick war überwältigend. „Ganz schön heftig, nicht wahr?", hörte sie Chris von der Couch aus sagen.

Von Avas Apartment aus, hatte man einen wunderschönen Ausblick auf den Prospect Park. Sie hatte den Park schon oft im Winter bewundern dürfen, doch jetzt war es irgendwie anders. Selbst auf die Entfernung hin, sah man, dass die Bäume unter den Schneelasten förmlich ächzen mussten und man konnte keinen Unterschied zwischen Gehweg und Wiese erkennen. Bei einem Blick nach unten auf die Straße war sofort klar, dass es wohl noch eine ganze Zeit dauern würde, bis sie das Haus wieder verlassen konnten. Dann traf Ava die Erkenntnis wie ein Schlag: Sie saßen hier fest!

Natürlich hatte sie die Worte zuvor auch verstanden, doch langsam aber sicher wurde ihr klar, was das wirklich bedeutete. Chris war hier und sie saßen gemeinsam in ihrem Apartment fest. Einem Apartment, das eigentlich ein kleines Loft war. Alles war in einem Raum, Küche, Wohnzimmer und Schlafbereich. Die einzigen zwei Türen, die es hier gab, waren die Wohnungstür und die Tür zum Badezimmer. Sie konnte ihm also nicht einmal wirklich aus dem Weg gehen, ohne den ganzen Tag im Bad zu verbringen oder sich bei irgendwelchen Nachbarn einzuquartieren. Eine Stimme riss Ava aus ihren Gedanken. „Ich würde schnell unter die Dusche springen, wenn das in Ordnung ist. Und hast du vielleicht zufälligerweise noch eine unbenutzte Zahnbürste? Ich habe zwar Wechselklamotten in meiner Tasche, die ich zum JFK angezogen hätte, aber der Rest meines Gepäcks wäre für mich direkt vom Hotel aus zum Flughafen gebracht worden, damit ich das nicht am Set dabeihaben muss."

Erst jetzt fiel ihr auf, dass Chris noch immer sein Filmoutfit trug und ihre Gedanken schweiften zu dem Karton in der hintersten Ecke ihres Schrankes, in dem noch einige wenige Kleidungsstücke von Chris waren, die darauf gewartet hatten, abgeholt oder von Ava vergessen zu werden. Dann erinnerte sie sich an die ihr gestellte Frage. „Natürlich, du weißt ja, wo alles ist", murmelte sie und hielt dann kurz inne, um zu überlegen. „Es sollte noch eine frische Zahnbürste in dem kleinen Schränkchen über der Waschmaschine sein." Chris bedanke sich und war kurz darauf im Bad verschwunden. Ein wenig unbeholfen stand Ava immer noch am Fenster und blickte ins Leere. Irgendwie fühlte sie sich unwohl.

Erst als sie hörte, wie das Wasser aufgedreht wurde, löste sie sich langsam aus ihrer Starre. Wir sitzen hier zusammen fest, schoss es ihr immer wieder durch den Kopf. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Seufzend ließ sich Ava auf die Couch fallen und nahm ihr Handy zur Hand. Drei entgangene Anrufe ihrer Großmutter wurden ihr angezeigt, also wählte sie schnell ihre Nummer. Bereits nach dem zweiten Freizeichen stand die Verbindung und Ava begrüßte ihre Großmutter: „Ciao, Nonna!" Weiter kam sie gar nicht, denn ihre Großmutter fiel ihr ins Wort:

„Finalmente, Paola! Come stai?" Obwohl Ava die Besorgnis in ihrer Stimme hörte, musste sie schmunzeln. Ihre Nonna, wie man seine Oma in Italien nannte, hatte sich schon immer geweigert, ihre Enkelin bei ihrem 'amerikanischen Namen' zu nennen. Stattdessen benutzte sie seit jeher und ausschließlich Avas italienischen Zweitnamen: Paola.

Nachdem Ava ihre Großmutter beruhigen und ihr versichern konnte, dass es ihr gut ging, unterhielten sie sich noch eine Weile und Ava genoss jede Minute davon. Seit Ava arbeitete, konnte sie ihre Großmutter nicht mehr so oft besuchen, manchmal nicht mal einmal im Jahr und die Zeitverschiebung machte es auch nicht immer einfach, eine für beide passende Zeit zum Telefonieren zu finden. Früher hatten Ava und ihr Bruder jedes Jahr die gesamten Sommerferien bei ihren Großeltern auf Sizilien verbracht. Das Geld hatte nicht immer für alle vier Familienmitglieder ausgereicht, aber wenigstens jedes zweite Jahr war die ganze Familie gemeinsam nach Italien geflogen. Und manchmal sogar noch an Weihnachten. Diese Erinnerung stimmte Ava ein wenig traurig, denn Weihnachten stand bevor und wegen eines Wasserschadens in ihrer Wohnung zu Beginn des Jahres, konnte sie es sich nicht leisten, ihre Großmutter zu besuchen. Und Lucia Di Gennaro würde auch nicht zu ihren Enkeln in die Staaten fliegen, denn seit ihr Mann, Avas Großvater, vor neun Jahren verstorben war, traute sie es sich nicht zu, alleine in ein Flugzeug zu steigen.

Ava war so vertieft in das Telefonat, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass Chris inzwischen aus dem Bad zurückgekommen war. Sie bemerkte ihn erst, als er neben ihr in dem Sessel, in dem sie zuvor noch geschlafen hatte, Platz nahm. Am anderen Ende der Leitung war es im Hintergrund inzwischen lauter geworden, denn scheinbar war unerwarteter Besuch gekommen und so verabschiedete sich Ava, denn sie wusste, dass ihre Großmutter sehr viel Wert darauflegte, eine gute Gastgeberin zu sein. „Ti voglio un mondo di bene! Arrivederci."

Mit einem langen Seufzer legte sie auf. „Deine Nonna?", fragte Chris und Ava antwortete: „Sie hat durch die Nachrichten von dem Blizzard erfahren und hat sich Sorgen gemacht."

Chris nickte verständnisvoll.

Eine Weile sagte niemand etwas und das Einzige, was zu hören war, war der Reisverschluss des Kissenbezuges, mit dem Chris nervös herumspielte. „Ich habe nachgedacht", sagte er dann auf einmal, sprach dann jedoch nicht weiter. Ava ahnte, worauf er hinauswollte und überlegte fieberhaft, wie sie diese unangenehme Situation umgehen konnte, als sie plötzlich noch ein anderes Geräusch wahrnahm. Ihr Bauch knurrte so laut, dass selbst Chris es hörte und erst jetzt bemerkte Ava, wie hungrig sie war. Chris schmunzelte. „Vielleicht sollten wir erst etwas essen!"

You would smile and that would be enough (Chris Evans ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt