Vael Storm ist ganz anders als mein Heimatdorf, das war mir bereits bewusst, als ich gemeinsam mit meinen Eltern in die Kutsche gestiegen bin. Die ganze Fahrt über habe ich mir ausgemalt, wie wohl das Reich des ersten Prinzen von Lythanica wohl sein würde. Ich kann nicht sagen, was ich erwartet hatte, schließlich habe ich zuvor Kyrae nie verlassen. Dennoch ... in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht vorstellen können, was sich gerade vor mir bot.
Prinz Dorians Schloss nimmt meine ganze Aufmerksamkeit ein, als ich aus der Kutsche steige. Die weißen Backsteine, die das Gerüst des Gebäudes bildeten, scheinen wie unzählige kleine Diamanten zu glimmern. Ob der Palast in der Nacht noch atemberaubender ist?
»Eure Königliche Hoheit.« Meine Mutter rempelt mich an der Schulter an, während ihre Augen nur auf einen Mann gerichtet sind, der vor uns steht. Der hellblaue Umhang des Mannes flattert umher, während er langsam auf uns zukommt.
»Lady Aelyn.« Ich zucke zusammen, als ich den Namen meiner Mutter aus dem Mund des Prinzen höre. Niemand darf sie so nennen. Nicht mein Vater und erst recht nicht ich. Während ich jedoch darauf warte das meine Mutter ihn zurechtweist, schenkt sie ihm nichtsahnend ein Lächeln, das mein Blut in den Adern gefrieren lässt.
»Ich hoffe ihr hattet einen angenehme Reise.« Die Augen des Prinzen huschen von meiner Mutter zu meinem Vater, bis sie letztendlich an mir haften bleiben. Er mustert mich von Kopf bis Fuß und lässt sich dabei so viel Zeit, dass ich beinahe klein bei gebe, indem ich meinen Blick abwende.
»Eure Königliche Hoheit.« Ich mache einen höflichen Knicks, derweil ich in Prinz Dorians Augen starre. Es spielt überhaupt keine Rolle, wie edel die Person vor mir gekleidet ist oder wie menschlich sie aussehen mag - ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass im Inneren des Prinzen ein Tier wütet, das die Baumkronen von Kyrae überragen würde und mehr zerstören würde, als es ein Dämon jemals könnte. Denn das macht die königliche Schicht aus: Sie sind alle Drachen.
»Ihr müsst Lady Davina sein.« Der Prinz greift nach meiner Hand und drückt seine Lippen sanft auf meinen Handrücken, während seine Augen mich weiterhin fixieren. »Ich habe schon viel von euch gehört.« Ich kämpfe gegen den Drang an ihm meine Hand zu entziehen und versuche mein Herz, das wild gegen meine Brust schlägt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von der Kreatur vor mir gehört wird, zu ignorieren.
»Seva.« Die Stimme des Prinz ertönt nicht lauter wie das Flüstern des Windes, als er meine Hand loslässt und ein violetter Rauchschwaden hinter ihm entsteht.
»Mein Prinz.« Eine junge Frau, die in einem schwarzen Dienstmädchenoutfit gekleidet ist, durchschreitet den Rauch und macht einen kleinen Knicks hinter den Prinzen. »Begleite unsere Gäste in ihr Schlafgemach.« Prinz Dorian klingt nicht überheblich oder gebieterisch, sowie ich es eigentlich von der königlichen Schicht erwartet hätte.
»Begleitet ihr mich noch ein Stück?« Die Frage, die er eindeutig an mich gerichtet hat, würde ich am liebsten verneinen. Ich weiß wie Werwölfe, die den Drachen direkt unterstellt sind, Menschen wie mich behandeln und ich wage es kaum mir auszumalen, wie Kreaturen, die ganz oben in der Rangordnung stehen, mich behandeln würden. In diesem Fall ist jedoch mein Verlangen, nicht einen Moment länger als unbedingt nötig mit dem Prinzen Zeit zu verbringen, absolut belanglos, denn der stechende Blick meiner Mutter, der sich in meine Schulter brennt, erinnert mich daran, wie ich zu reagieren habe.
»Es wäre mir eine Ehre, eure Königliche Hoheit.« Die Lüge fällt mir überraschend leicht über die Lippen, als ich einen weiteren Knicks mache und dem Prinzen in sein Schloss folge. Im Inneren sieht sein Wohnsitz noch atemberaubender aus. Die Wände sind mit feinen goldenen Mustern bestrichen, sodass in mir der Drang entsteht, dass ich sie näher betrachten will.
»Wisst ihr, ich war noch nie in Kyrae.« Prinz Dorian unterbricht die aufkommende Stille, als wir die Treppen, die in den zweiten Stock führen, emporsteigen. »Wie ist es dort so?« Die Frage überrumpelt mich mehr, als ich mir gerne eingestehen würde.
»Es ist ein ruhiges Dorf.« Wenn man die Verspottungen und Hänseleien nicht beachtet. Ich weiß nicht, was der Prinz von mir hören will, weswegen ich versuche so neutral wie nur möglich zu klingen – das hoffe ich zumindest.
»Und deine Eltern?«
»Was soll mit ihnen sein?« Frage ich nach kurzem Zögern. Ich bin froh, das Prinz Dorian vorausläuft und somit nicht bemerkt wie ich mir mit meiner Hand um den Hals greife, um mich zu beruhigen. Noch nie zuvor hatte mich ein Gespräch so nervös gemacht wie dieses.
»Wie sind deine Eltern so?«
Ich zucke mit den Schultern und vesuche mit aller Kraft, meine zittrigen Hände zu bändigen. Nur keine Panik, Davina. Du wirst nun antworten und dabei nicht stottern, sage ich mir in Gedanken, ehe ich das Wort ergreife.
»Wie alle anderen auch. Liebevoll und fürsorglich.« Ich achte sehr genau auf meine Wortwahl, damit mein Herz meine Worte, nicht als Lüge straft. Ich bin mir nicht sicher, ob Prinz Dorian ahnt, das ich nur meinen Vater beschrieben habe, doch seine schlichte Antwort lässt mein Blut in den Adern gefrieren.
»Verstehe.« Abrupt bleibt der Prinz vor einer Tür stehen, öffnet diese und legt seine Hand auf meinen Rücken, um mich sanft hineinzuschieben.
»Du hattest Recht«, wispert er, bevor er sich umdreht und mich alleine in diesem Raum zurücklässt.
»Davina.« Die samtweiche Stimme durchflutet meinen Körper und lässt all meine Sorgen davonschwimmen. Es fühlt sich an, als würde die Zeit still stehen, als ich mich halb umdrehe und einen jungen Mann auf dem Bett sitzen sehe. Mit dem weißen Hemd und der blauen Stoffhose hätte ich ihn beinahe nicht wiedererkannt, doch seine roten lockigen Haare und das eisblaue Augenpaar hat ihn verraten.
»Kova.« Kaum ist mir sein Name über die Lippen gekommen, haben sich schon meine Beine verselbstständigt. Meine langen Schritte hallten durch den Raum und mit jedem Meter, den ich den Abstand zwischen Kova und mir verkleinerte, beschleunigte sich mein Herzschlag ein Stückchen mehr. Lachend warf ich mich in die Arme meines Kindheitsfreunds, der den Schwung scheinbar unterschätzt hatte, sodass wir lachend auf dem Bett landeten. Die Stimme meiner Mutter hallt in meinem Kopf wider. Das schickt sich für eine Lady nicht. Mit aller Macht verbanne ich die Schimpftirade im hintersten Eck meines Kopfes. Diesen Moment der Euphorie darf auch meine Mutter nicht zerstören. Nicht diesmal. Ich spüre Kovas Arme, die mich eng umschlungen halten. Ich seufze.
»Wenn deine Mutter uns sehen würde.« Lachend schubse ich Kova von mir, sodass er endgültig auf dem Bett liegt und ich weiterhin auf seinem Schoß sitze. Eine wahrlich missverständliche Pose.
»Wie läuft es in Kyrae?« Ich schüttle meinen Kopf während ich langsam von Kova heruntersteige und mir mein Kleid glatt streiche. »Nein«, flüstere ich. »Wir reden jetzt nicht über Kyrae, wenn du mir stattdessen lieber etwas von Vael Storm erzählen könntest!«
Kova stößt sich elegant vom Bett ab, während er seufzend an mir vorbei auf ein Fenster zu geht. »Was willst du denn wissen?« Er stützt seinen Ellenbogen auf dem Fensterbrett ab und bettet sein Kinn in seine Handinnenfläche.
»Gefällt es dir hier?« Kova zuckt mit seinen Schultern. »Meistens schon.«
Ich runzle meine Stirn. So kenne ich ihn gar nicht. Für gewöhnlich ist er stets gut gelaunt und findet in den banalsten Kleinigkeiten so viel Freude. Jedenfalls war es früher so.
»Was ist los?«
Kova seufzt als ich mich neben ihn stelle und mit ihm aus dem Fenster schaue. »Es ist Krieg.« Kova schüttelt den Kopf. »Zwischen den Vampiren, Dämonen und Drachen herrscht schon seit Jahren eine eisige Stimmung.«
Ich presse meine Lippen fest zusammen. In Kovas Gesichtszügen haben sich Sorgenfalten gebildet, die ihn viel älter wirken lassen, als er tatsächlich ist. Mein Bedürfnis diese mit irgendeiner geheimen Macht wegzuwischen ist groß, doch egal wie sehr ich es mir wünsche, egal wie sehr ich etwas dagegen unternehmen wollte, ich konnte nichts dagegen tun. Ich hatte immer angenommen das Frieden in Lythanica herrscht, seit der 1. Thronkrieg zwischen den Menschen und Drachen vorbei ist. Ich weiß, dass die Menschen, meine eigentliche Rasse, unglücklich sind mit ihrer Situation, aber warum sträuben sich die Vampire und Dämonen? Ihre Stellungen sind hoch angesehen, weshalb sollten sie Krieg führen wollen?
»Warum?« Ich habe das Gefühl, das ich eine dumme Frage gestellt habe, als Kova mich von der Seite betrachtet und seufzend den Kopf schüttelt.
»Warum ...« Meine Frage bleibt unbeantwortet im Raum stehen, als Kova sich selbst unterbricht und seine Aufmerksamkeit etwas anderem gehört. Ich folge dem wachsamen Blick meines Freundes, der zwei Fremde auf dem Hof fixiert. Mit einem lodernden Gefühl im Magen trete ich näher ans Fenster, lege meine Hand auf die Fensterscheibe und betrachte schweigend die Szene, die sich auf dem Hof abspielt. Den Mann auf der rechten Seite erkenne ich beinahe sofort: Prinz Dorian. Obwohl ich mich vor Fremdes fürchte und mir Prinz Dorian so etwas wie vertraut vorkommt, kann ich nichts gegen den Drang unternehmen, mir den fremden Mann genauer anzusehen. Soweit ich das von hier oben beurteilen kann, scheint er den Prinzen, um ein oder zwei Köpfe zu überragen und wirkt auch in seinem enganliegenden, blauen Hemd breiter. Obwohl Prinz Dorian die höchste Stellung in Vael Storm hat, kann ich meinen Blick nicht von dem Fremden abwenden. Es wäre einfach zu sagen, dass das an seiner mysteriösen und attraktiven Erscheinung liegt, aber die Wahrheit ist viel verrückter. Eine schwache Stimme, die kaum lauter als das Peitschen des Windes ist, drängt mich dazu diesen Mann nicht aus den Augen zu lassen. Selbst als er sich von dem Prinzen abwendet und augenscheinlich zu mir nach oben schaut, kann ich meinen Blick nicht abwenden. Es sollte mir unangenehm sein, dass er mich dabei erwischt hat, dass ich ihn beobachtet habe, doch dieses Gefühl blieb aus. Das einzige Gefühl, das ich momentan verspüre ist, das ich dieses Zimmer verlassen, die Treppen hinunter und ihm entgegen laufen will. Doch so schnell dieses Gefühl, dieser Drang gekommen ist, ist er auch verschwunden, als Kovas besorgte Stimme erklang.
»Etwas stimmt nicht.«
Es fällt mir schwer, den Blick abzuwenden und mich auf meinen Freund zu konzentrieren.
»Wir sollten gehen.«
Ich nicke und frage nicht nach warum oder wohin wir gehen sollten. Meine Gedanken kreisten nur noch um einen Mann und die einzige Frage, die ich beantwortet haben will, ist, wer ist dieser Fremde?***
Ich fühle mich komplett verloren, als Kova die Treppe herunter sprintet, während er mir zuruft, dass ich bis zum Ende des Flur entlang laufen soll und in das Zimmer auf der linken Seite gehen soll. Seufzend lasse ich meine Schultern sinken. Die Freude, Kova wiedergesehen zu haben, ist wie weggeblasen und zurückblieb nur das Gefühl der Einsamkeit, das mich schon mein ganzes Leben lang begleitet.
»Haben Sie sich verlaufen, Liebes?« Die tiefe Stimme, mit der ich ganz eindeutig nicht gerechnet habe, lässt das Blut in meinen Adern gefrieren und mich stocksteif umdrehen. Ein großer Fehler! Hätte ich gewusst, wem diese Stimme gehört, hätte ich erst seine Frage beantwortet, bevor ich mich umgedreht hätte. Nun bleiben mir meine Worte im Hals stecken, als ich den fremden Mann, den ich wenige Augenblicke zuvor vom Fenster aus beobachtet hatte, anstarre. Ich kann froh sein, dass mir meine Augäpfel nicht herausfallen und sich meine Kinnlade nicht verselbstständigt. Doch das er nun denkt, dass er es mit einem stummen Abschaum zu tun hat, gefällt mir auch nicht. Egal, was er ist, er müsste sofort bemerkt haben, was ich bin. Doch die abfällige Bemerkungen oder die abschätzigen Blicke bleiben aus. Stattdessen wandert einer seine Augenbrauen nach oben und ich könnte unser Land darauf verwetten, das er mich am liebsten Frage würde: Willst du mir nicht antworten?
»Nein.« Noch nie fühlte ich mich so klein wie in diesem Moment und dementsprechend leise ist auch meine Stimme gewesen.
»Was machen Sie dann hier?«
Sie. Aus einem mir unerklärlichen Grund gefällt es mir nicht das er mich siezt, obwohl das vollkommen üblich ist. Gleichzeitig setzt sich etwas tief in meinem Inneren freudig in Bewegung, das seine ganze Aufmerksamkeit mir gilt.
»Davina. Mein Name ist Davina.« Meine leisen Worte haben ihm ein Schmunzeln entlockt, das direkt mein Herz höher schlagen lässt. Ich hoffe er besitzt kein ausgeprägtes Gehör, sodass er mein Herz und somit meine Nervosität bemerkt.
»Was machen Sie dann hier, Liebes?«
Es hat nicht geholfen. Er tut es immer noch.
»Ich wollte in mein Schlafgemach gehen.«
Der Fremde, der mir immer noch nicht seinen Namen verraten hat, nickt. »Ich halte euch nicht auf.«
Ich kämpfe gegen den Drang an, frustriert auf meine Lippe zu beißen und drehe mich um, um eilig davon zu gehen. Als ich am Treppenabsatz ankomme, muss ich stöhnend feststellen, dass das die falsche Richtung ist. Mist ...
Ich drehe mich nochmals um und bemerke enttäuschend das der Fremde immer noch auf der gleichen Stelle steht. Kurz bevor ich bei ihm ankomme, säusle ich: »Ich muss in die andere Richtung.« Obwohl ich versuche so schnell wie möglich an ihm vorbei zu gehen, kann ich sein leises Lachen hören. Obgleich ich so schnell wie möglich dieser unangenehmen Situation entkommen möchte, kann ich mich nicht gegen das Bedürfnis wehren auf halbem Weg nochmals stehen zu bleiben und mich umzudrehen.
»Ihr kennt meinen Namen. Dürfte ich auch erfahren wie Euer lautet?« Die grünen Augen, die mich auf fünf Meter Entfernung mustern, scheinen etwas an mir zu suchen. Ein Anzeichen dafür, das ich adlig bin? Ein Merkmal dafür, das ich ein Recht habe, seinen Namen überhaupt zu kennen? Egal, was es ist, irgendetwas scheint er gefunden zu haben.
»Rowan.« Obwohl seine Augen nur mich fixierten und seine Lippen zu einem schmalen Strich gepresst waren, kann ich an seinen kleinen Falten, die sich auf seiner Stirn gebildet haben, erkennen, dass er irritiert ist. Aber warum? Ist es so verwerflich das ich seinen Namen wissen will? Gerne hätte ich ihn das gefragt, doch diese grünen Augen, die mich so sehr an meine ovalförmige Halskette erinnerten, lassen mich innehalten. Ohne es wirklich zu wollen, lege ich meine Hand auf meinen Brustkorb und berühre durch den Stoff meines Kleides das kleine Schmuckstück ehe ich mich umdrehe und endgültig in mein Schlafgemach verschwinde.
DU LIEST GERADE
Dragonblood
Fantasy• 𝔼𝕣 𝕨𝕚𝕣𝕕 𝕖𝕟𝕥𝕨𝕖𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝔹𝕖𝕤𝕥𝕖 𝕗ü𝕣 𝕕𝕚𝕔𝕙 𝕤𝕖𝕚𝕟 𝕠𝕕𝕖𝕣 𝕕𝕒𝕤 𝕊𝕔𝕙𝕝𝕚𝕞𝕞𝕤𝕥𝕖 • Vor 10 Jahren haben sich die Drachen erhoben und den Menschen ihrer Macht, über das Reich Lythanica zu herrschen, entzogen. Seit jeher...