Wie man einen Kuss zur schlimmsten Erinnerung macht

605 45 0
                                    

Ich drehe mich auf die linke Seite und schlinge die Decke enger um meinen Körper, nur um das gleiche auf der rechten Seite zu wiederholen. Seit Stunden wiederhole ich diese Prozedur immer und immer wieder, ohne Erfolg. Mein Körper fühlt sich schlaff an und obwohl ich in einem himmlisch bequemen Bett liege, kann ich einfach nicht einschlafen. Meine Gedanken kreisen ausschließlich um den König. Es fühlt sich so an, als könnte ich seine Lippen immer noch auf meinen spüren.
     Wieso hat er das getan?
     »Was machst du denn da?«
     Im Bruchteil einer Sekunde sitze ich kerzengerade im Bett und scanne den Raum ab. Der schwarze Umhang, der mir schon so vertraut vorkommt, wie mein eigenes Spiegelbild, ist das erste, was mir ins Auge fällt. Aedion stößt sich von der Wand ab und kommt langsam auf mich zu. Seine Bewegungen sind geschmeidig und lange nicht so einschüchternd, wie es für einen Dämon üblich wäre. Sein Gesicht liegt versteckt in den Schatten und nur seine eisblauen Augen geben mir Aufschluss darüber, das seine ganze Aufmerksamkeit mir gehört. Hörbar schlucke ich.
     »Wieso bist du hier, Aedion?« Es ist das erste Mal, das ich seinen Namen laut ausspreche, was den Dämon, aus einem mir unbekannten Grund, dazu bewegt stehen zu bleiben. Seine Augen huschen von meinem Gesicht zu meinem Hals und bleiben letztendlich an meinen Brüsten hängen. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Beschämt, von der Tatsache das ich nur ein dünnes Negligé trage, ziehe ich die Decke bis zu meinem Kinn hoch. Aedions Augen kehren zu meinen zurück.
     »Was ist passiert? Deine Kette ...« Der Dämon schüttelt den Kopf. Ohne das er es bemerkt, lasse ich meine Hand unter der Decke nach oben gleiten und taste nach der Kette, die schon seit ich denken kann meinen Hals schmückt, als wäre sie ein Teil meines Körpers. Ich fühle den kalten Stein an meinen Fingern.
     Sie ist noch da.
     »Hat er ...« Aedion stammelt. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass er, ein Dämon, unsicher sein kann. Seit ich ihn kenne, hat er stets ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und einen Hauch von Arroganz ausgestrahlt. Doch mit einem Mal ist das weg. Ihn so zu erleben macht mir mehr Angst als alles andere, was mir zuvor passiert ist. Der Tod meiner Mutter. Die Ermordung Kovas. Meine Träume. All das, hat mein Körper nicht so zum Beben gebracht, wie der Anblick dieses Dämons. Ich kann das Zittern nicht verstecken, meinen hörbaren Herzschlag nicht unterdrücken und nicht aufhören meine schwitzige Hände gegeneinander zu reiben.
     »Es ...« Aedion senkt seinen Blick und legt seine Hand auf meine Wange. Sein Daumen umkreist eine Stelle auf meiner Haut, die sich sofort so anfühlt, als würde sie in Flammen stehen. »Davina, es tut mir leid.« Ich verenge meine Augen. Nicht fähig seine Entschuldigung mit etwas in Verbindung zu bringen, das er getan hat. Was hatte er schon Großartiges verbrochen? Er hatte mein Leben gerettet, mich von meinen quälenden Träumen befreit. Das Einzige, was ich ihm übel nehmen konnte, war, dass er immer wieder ungebeten in meinem Zimmer auftaucht.
     Er zieht seine Hand zurück und hinterlässt eine kalte Leere auf meiner Haut. Aedion lehnt seine Stirn gegen meine. Diese Geste fühlt sich gleichermaßen vertraut als auch befremdlich an. Seine blauen Augen fixieren mich. Ich bin nicht fähig, meinen Blick von diesem Meer aus Eis abzuwenden. »Es tut mir so schrecklich leid. Das musst du mir glauben.« Seine Stimme ist kaum lauter als ein Flüstern und dann ... geschieht es. Das Einzige, das ich noch mehr als den Tod fürchte. Alles verschwimmt. Der Raum. Aedions Gesicht. Die eisblauen Augen. Bis nichts anderes außer pure Schwärze zurückbleibt.
     »Nein.« Vergeblich schreie ich, als könnte allein der ohrenbetäubende Laut, den ich aus meiner Kehle presse, das Unvermeidliche verhindern. Doch nichts hiervon konnte ich aufhalten. Niemand konnte das.
Anders als sonst, bin ich nicht für längere Zeit in Dunkelheit gehüllt. Kaum befinde ich mich in dem allbekannten Nichts, blendet mich ein Licht. Als ich die Augen wieder aufschlage, sehe ich mich. Mich und Rowan.
     »Ich komme langsam auf dich zu.« Meine Augen weiten sich, als ich das tiefe Timbre höre, das ich vor nicht allzu langer Zeit selbst gehört habe – mit der gleichen Wortwahl. Mein Blick huscht zu meiner Doppelgängerin. Sie macht einen Schritt zurück, während sie mit zittriger Stimme fragt: »Warum?«
     »Wenn ich schneller gehen würde, wärst du versucht wegzulaufen.« Ich blinzle, will diesen Moment noch mehr aufsaugen als beim ersten Mal. »Und das würde ich nur allzu gerne vermeiden.« Als er diese Worte damals flüsternd über seine Lippe gleiten ließ, hatte es sich angefühlt, als würde die Welt stehen bleiben und die Zeit langsamer vergehen. Doch alles ging so schnell. Kaum blinzle ich, kann ich beobachten, wie Rowan seine Lippen auf meine, die meines Vergangenheit-ich, legt.
Tiefschwarze Schwaden legen sich über das küssende Pärchen und taucht wieder alles in Dunkelheit, nur um mich einen Moment später wieder mit einem grellen Licht zu blenden.
     »Noch einmal schwöre ich dir ...« Diese Stimme ... Hektisch schaue ich mich um. Meine Umgebung nehme ich immer noch verschwommen wahr, doch die zwei Personen, die sich hier befinden, kann ich deutlicher sehen als alles andere. Aedion kniet vor einer Frau, die ihren Rücken mir zugewandt hat. Sein Arm ruht auf seinem rechten Bein, das aufgestellt ist. »... mein Leben wird dein Schild sein, mein Körper wird dein Schwert sein.« Die Stimme des Dämons geht mir durch Mark und Bein und zwingt mich in die Knie. Mein gesamter Körper zittert. Ich weiß nicht wieso. Es ist, als würde er selbst entscheiden wollen, was ich fühlen sollte. »Bis zu dem Tag, an dem ich sterbe ...« Aedion hebt seinen Kopf und schaut in die Augen der Frau. Das eisige Blau seiner Augen leuchtet, wie damals die Augen von Rowan, als er mich geküsst hat. »... verspreche ich, ich werde dich nicht verraten.« Gemeinsam mit der fremden Frau vor mir zucke ich zusammen. Während mein Herz sich einfach nicht beruhigen will, scheint die Fremde sich schneller zu fassen. Sie dreht ihren Kopf zur Seite und blickt zurück. Sie schaut mich direkt an, als könnte sie mich genauso klar und deutlich sehen wie ich sie, doch das bezweifle ich. Wäre es wirklich so, würde sie sich genauso die Haare raufen wie ich im Moment. Diese Frau ist mein Ebenbild, mein Spiegelbild. Sie ist ich. Und nach allem, was ich bisher gesehen habe, kann ich nicht leugnen, dass diese Szene Wirklichkeit ist. Aedion hat mir noch nicht seine Treue geschworen und ich wüsste auch gar nicht, warum er das tun sollte. Doch es wird geschehen. Dieser Dämon wird mir eines Tages seine absolute Treue schwören und ich kann im Moment nichts anderes tun, als stumm zu weinen. Eine so mächtige Kreatur gibt alles, was er ist und was er hat auf und wofür? Für einen Menschen wie mir?
     Dunkle Schwaden umgeben die zwei Personen vor mir und umhüllen sie in absolute Dunkelheit, ehe mich ein grelles Licht wieder blendet und ich mich in meiner gewohnten Umgebung befinde.
     Hektisch schaue ich mich im Raum um, kann jedoch Aedion nirgends entdecken. Ich höre das Knallen einer zufallenden Tür, das mir verrät das der Dämon erst vor kurzem das Zimmer verlassen hat.
     Wohin geht er?
     Ganz gleich ob ich mich in unpassender Kleidung befinde, um mein Zimmer verlassen zu können, möchte ich dem Dämon folgen. Eilig tapse ich zu der Tür und lege meine Hand auf den Türknauf. Noch ehe ich ihn drehen kann, nehme ich Stimmen wahr, die mich innehalten lassen.
     »Was soll der Scheiß, Rowan.« Aedions Stimme bebt. Ich habe ihn noch nie zuvor so erlebt, doch er scheint ziemlich wütend zu sein. Aber warum? »Du küsst sie?!«
      Meine Augen weiten sich. Konnte er ... Konnte er etwa sehen, was ich gesehen habe?
     »Das geht dich nichts an, Dämon.« Rowans tiefes Timbre löst trotz der Kälte in seiner Stimme einen angenehmen Schauer auf meiner Haut aus. Ich reibe mir über meine nackten Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben.
     »Weiß sie es?« Für kurze Zeit herrscht Stille, ehe der Dämon schneidend fortfährt. »Wenn du es ihr nicht sagst, werde ich es tun.«
     »Sehr dünnes Eis, Aedion«, warnt Rowan.
     Ich höre den Dämon verächtlich schnauben. »Wenn du meinst sie zu küssen, hat sie ein Recht zu erfahren, das du nicht zu haben bist. Davina hat ein Recht zu erfahren, das du mit Reyna verlobt bist.«

«

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
DragonbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt